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Die Schweizer Schattendemokratie

Pssssst - in der Schweiz redet man nicht über Geld.
Pssssst - das Mantra in der Schweizer Parteienfinanzierung. GraphicaArtis/Getty Images

Mangelnde Transparenz über die Finanzierung von Parteien und Kampagnen: Das ist einer der wenigen Punkte, für den die Demokratie Schweiz international Kritik einstecken muss. "Über Geld spricht man nicht", lautet im Land ein geflügeltes Wort. Doch es mehren sich die Stimmen, die Licht ins Dunkel bringen wollen. Mit mehreren Volksinitiativen.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern nebst internen auch aussenstehende Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit jener von swissinfo.ch decken.

Im Januar 2015 sorgte ein ArtikelExterner Link der «Handelszeitung», einer wichtigen Schweizer Wirtschaftspublikation, für grosses Aufsehen: Erstmals wurde eine Umfrage zu Parteispenden von Schweizer Grosskonzernen durchgeführt und veröffentlicht. 

Man kann von einer Zäsur sprechen, denn bis dahin hatten sich die mächtigen Unternehmen bedeckt gehalten, was ihr Verhältnis zur Politik anbetraf.

Mit Millionenbeiträgen unterstützen sie ihren Angaben zufolge die politischen Parteien. Manche, etwa Nestlé oder die UBS, knüpfen ihre Zuwendungen an Bedingungen, konkret an eine wirtschaftspolitisch liberale Ausrichtung. Andere wiederum, so die Grossbank Credit Suisse, richten ihre Unterstützung an der Stärke der Parteien aus.

Spiel ohne Regeln

Können also finanzstarke Unternehmen, die ein grosses Interesse an günstigen Rahmenbedingungen haben, ohne Einschränkungen Geld in die politische Arena werfen? Ja, das können sie.

Auch mächtige Einzelpersonen können so viel an Parteien, Abstimmungskomitees oder einzelne Politiker spenden, wie sie wollen. Und sie können dies ohne jede Offenlegungspflicht tun. Die einzige gesetzliche Reglementierung betrifft die Behörden. Ihnen ist es untersagt, mit öffentlichen Geldern politische Kampagnen zu führen oder solche zu unterstützen.

Externer Inhalt

Doch braucht es überhaupt Transparenz bei der Finanzierung der Politik? Bringt es etwas, wenn man weiss, wer mit wie viel Geld in politische Entscheidungsprozesse hineinwirkt? Ja, finden Befürworter von Transparenz. Sie nennen im Wesentlichen zwei Gründe.

1. Geld als lenkender Faktor

Zum einen begründen sie dies mit der lebendigen, direktdemokratischen Kultur des Landes. In der Regel wird viermal pro Jahr über ganz unterschiedliche Sachthemen abgestimmt. Von der Frage, ob man die Hörner von Kühen besser schützen sollte bis zu komplexen Fragen der Unternehmensbesteuerung.

Naturgemäss besteht für Firmen oder Einzelpersonen ein legitimer Anreiz, sich im Abstimmungskampf zu engagieren, wenn sie von den Auswirkungen einer Vorlage besonders stark betroffen sind. Daran sieht kaum jemand etwas Verwerfliches.

«Transparenz-Initiative»

Im Oktober 2017 reichte ein überparteiliches Komitee die Transparenz-Initiative ein. Die Initiative sieht vor, dass Parteien ihre Jahresbilanz, die Erfolgsrechnung sowie Spenden von mehr als 10’000 Franken pro Jahr und Donator offenlegen müssen. 

Bei Abstimmungen und nationalen Parlamentswahlen müssten inskünftig Aufwendungen deklariert werden, die höher sind als 100’000 Franken. 

Die Schweizer Regierung lehnt die Initiative ab. Das Parlament hat noch nicht dazu Stellung bezogen. Die Schweizer Stimmbürger werden vermutlich 2019 darüber abstimmen.

Bereits vorher, nämlich am 4. März 2018, stimmen die beiden Kantone Freiburg und Schwyz über zwei Initiativen ab, die Finanztransparenz auf kantonaler Ebene fordern.

Gleichzeitig legen wissenschaftliche Studien aber nahe, dass grosse Aufwendungen vor allem bei knappen Abstimmungen das Potenzial haben, das Resultat entscheidend zu beeinflussen. Auch wenn von einer generellen Käuflichkeit von Abstimmungen nicht die Rede sein kann, können intensiv und professionell geführte Kampagnen die öffentliche Meinung stark lenken. 

Man muss jedoch anmerken, dass sämtliche Schweizer Studien zu diesem Thema auf vagen Einschätzungen und vereinfachten Modellen beruhen – eben gerade deswegen, weil es zur Politikfinanzierung in der Schweiz keine öffentlichen Daten gibt.

2. Das demokratische Recht auf Transparenz

Zum Zweiten machen die Befürworter von mehr Transparenz geltend, dass Bürger eines republikanisch verfassten Staates ein Anrecht darauf haben zu wissen, welche Akteure mit welchen finanziellen Mitteln versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Politik sei ein Forum der Öffentlichkeit, und die Entscheide, die dort gefällt würden, beträfen – mal mehr, mal weniger – jeden Einzelnen.

Eine Grossbank zum Beispiel würde laut Befürwortern kaum aus karitativen Gründen eine Million Franken an politische Parteien spenden, sondern erhoffe sich daraus durchaus einen gewissen Nutzen für das Unternehmen.

Wenn man solche Transaktionen schon nicht gesetzlich einschränke oder gar verbiete, sei Offenlegung das Mindeste. Auch wenn es viele nicht interessiert, so wird es dennoch einige kritische Bürger geben, die sich für solche Einflussnahmen sehr wohl interessieren und die diese Informationen in ihre Meinungsbildung einfliessen lassen werden. Sei es bei Abstimmungen oder bei Wahlen, sind die Transparenzbefürworter überzeugt.

Serie «Dunkelkammer der Demokratie»

Die Schweiz ist internationaler Spitzenreiter, was die Anzahl nationaler Abstimmungen betrifft. Aber auch angesichts des «Weltrekords» von über 620 Urnengängen (Stand 2017) ist die Musterdemokratie Schweiz nicht perfekt.

In der Serie wirft Sandro Lüscher einen kritischen Blick auf deren Problemzonen. Der Autor studiert Politikwissenschaften an der Universität Zürich und betreibt einen Blog zum politischen Geschehen in der SchweizExterner Link.

Das Stimmvolk muss es richten

Von einer gewissen Distanz aus gesehen könnten jedoch auch die Politiker selbst ein Interesse daran haben, die dunklen Ecken der Schweizer Demokratie auszuleuchten, wie die Luzerner Rechtsprofessorin Martina Caroni in einem NZZ-ArtikelExterner Link bemerkte: «Selbst wenn die These der Beeinflussbarkeit durch Geld nicht nachgewiesen werden kann, nagt der Zweifel der Käuflichkeit am Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie.»

Bislang hat das Parlament sämtliche Transparenz-Vorstösse schroff zurückgewiesen. Die Beharrlichkeit, mit der sich die Politik gegen jede Form der Offenlegung stemmt, nährt im Volk zuweilen den Verdacht, dass die These, die Politik sei käuflich, doch nicht ganz abwegig sei. 

Es ist dieses Unbehagen, das letztlich zu einer entsprechenden Initiative geführt hat. Das Volksbegehren verlangt, dass in der Schweiz künftig über Geld gesprochen wird. Wenigstens in der Politik.

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