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«E-Campaigning steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen»

Dank digitalen Unterschriftensammlern wie wecollect.ch & Co. bald Geschichte? Standaktion des Initiativkomitees für den straflosen Schwangeraschaftsabbruch Anfang der 1970er-Jahre. RDB

US-Präsident Barack Obama sicherte sich 2012 die Wiederwahl auch dank seiner digitalen Kampagne im Internet. Deren "Superhirn" war Amelia Showalter. Die 32-jährige Expertin in digitaler Datenanalyse ist mit der Schweiz kaum vertraut. Aber ihr einzigartiges Know-how wird mithelfen,  das Schweizer System der direkten Demokratie aus dem 19. Jahrhundert in die digitale Gegenwart zu beamen.

Man braucht nicht Prophet zu sein: Kampagnen für Abstimmungen und Wahlen werden immer stärker im Internet geführt. Wer die Anhängerschaft mit digitaler Kommunikation, also E-Mails, Webseiten und Online-Werbung besser anspricht als die Konkurrenz, hat sehr gute Karten. Es geht nicht nur um Stimmen, sondern auch um Geldspenden und die Mobilisierung von freiwilligen Helfern. swissinfo.ch sprach mit Amelia ShowalterExterner Link darüber, was im digitalen Campaigning den Unterschied ausmacht.

swissinfo.ch: Was sind Ihre Erkenntnisse aus der erfolgreichen digitalen Kampagne 2012?

Amelia ShowalterExterner Link: In erster Linie, wie wertvoll die Erkenntnisse aus unseren experimentellen Tests mit all den E-Mails, Webseiten und Online-Inseraten waren. Wir machten stets Testreihen, wie bei medizinischen Tests im Labor oder in der wissenschaftlichen Forschung. Wir testeten immer viele verschiedene Versionen eines E-Mails, einer Internetseite und eines Werbeinserates.

Weilte schon zum vierten Mal als E-Campaigning-Coach in der Schweiz: Amelia Showalter. zvg

So konnten wir die digitale Kommunikation mit unseren Supportern enorm verbessern. Das führte auch zu einer höheren Rate von freiwilligen Helferinnen und Helfern und nicht zuletzt zu mehr Spenden. Insgesamt hatten vier Millionen US-Bürgerinnen und Bürger Geld für die Obama-KampagneExterner Link gespendet.

swissinfo.ch: Da waren Sie ja besonders erfolgreich!

A.S.: In der Tat. Wir sammelten über eine Milliarde Dollar. Rund die Hälfte davon stammte von Online-Spendern, die uns kleinere Beträge schickten.

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Unterschriften sammeln geht jetzt digital – und was es bedeutet

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ein Klick zur Wahl des politischen Begehrens, drei Felder zum Ausfüllen (Name, Vorname und E-Mail) – und Sie können ein Formular ausdrucken, unterschreiben, falten und in ein Kuvert stecken – Porto vom Empfänger bezahlt. Dann werfen Sie es in einen Briefkasten – fertig. Künftig könnte dies die Art sein, wie man Unterschriften für Initiativen und…

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swissinfo.ch: Wie konnten Sie diese Leute so gut erreichen?

A.S.: Darüber gaben uns die stetigen Tests Aufschluss. So zeigte es sich, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr gut funktionierte, später aber nicht mehr. Was sich aber immer bewährt hat: Mit einem persönlichen, menschlichen Ton erreichten wir, dass sich die Menschen in den E-Mails von Präsident Obama praktisch persönlich angesprochen fühlten. Das brachte uns grossen Erfolg.

swissinfo.ch: Haben sich die Leute nicht daran gestört, so viele E-Mails zu erhalten?

A.S.: Nein! Auch dies war Teil unserer Tests: Wir schauten, wie viele E-Mails wir an die Leute verschicken konnten. Es zeigte sich klar, dass die Supporter uns die Treue auch dann hielten, wenn wir sie wirklich mit Sendungen gewissermassen «bombardierten». Die Leute waren sich bewusst, dass es sich um eine Kampagne handelte, die dann auch mal zu Ende sein wird.

swissinfo.ch: Gibt es ein Erfolgsrezept, das Sie Schweizer Kampagnenführerinnen und -führern weitergeben können?

A.S.: Ein Hauptunterschied ist sicher, dass die Schweiz viel kleiner ist als die USA. Daher ist auch das digitale Publikum für politische Kampagnen und solche von Nichtregierungs-Organisationen viel kleiner. Das bedeutet weniger Testmöglichkeiten. Die Testreihen sollten daher eher langfristig ausgelegt sein. Sicherlich bleiben auch hier genügend spannende analytische Tests, aber die Kapazitäten zur Auswertung sind doch limitierter als die, welche wir in der Obama-Kampagne hatten.

swissinfo.ch: Sehen Sie digitale Kommunikation und Analyse auch als Teil von Kampagnen für oder gegen Volksinitiativen und Referenden?

Eidgenössische Abstimmungen: Abstimmungsthemen besser verstehen, informiert abstimmen und einfach auf die Ergebnisse und Analysen der Abstimmung zugreifen. Abonnieren Sie unseren Newsletter.

A.S.: Durchaus. Es gibt aber noch wenige Aufschlüsse darüber, ob mit Online-Inseraten und E-Mails auch die Unentschlossenen erreicht werden können. Mit digitaler Kommunikation ist meist gemeint, dass sich Parteien und NGOs an jene wenden, die sie bereits unterstützen.

swissinfo.ch: Steckt die digitale Analyse in der Schweiz im Vergleich zu den USA noch in den Kinderschuhen?

A.S.: Ja. Ich bin zum vierten Mal in Zürich, um Kurse in digitaler Analyse und E-Campaigning zu geben, und es gibt hier immer noch Felder auf diesem Gebiet, die neu sind.  

Amelia Showalter

Die 32-Jährige war 2012 Leiterin Digitiale Analyse der siegreichen Kampagne Barack Obamas für seine zweite Amtszeit als US-Präsident.

Heute gibt sie u. a. Kurse für digitale Kampagnen, das so genannte E-Campaigning.

Ende April leitete sie in Zürich ein Training «Digitale Adressgewinnung», die vom KampagnenforumExterner Link veranstaltet wurde.

Praktisch zeitgleich startete in der Schweiz wecollect.chExterner Link, eine unabhängige Non-Profit-Plattform zur Sammlung von Unterschriften für politisch «umsichtige» Initiativen und Referenden. 

swissinfo.ch: Zum Beispiel?

A.S.: Im letzten KursExterner Link versuchten wir, wie wir mehr Anhänger gewinnen können. Man kann auf die Strasse gehen und Unterschriften für eine Petition sammeln. Oder man kann Online-Aufrufe und -Werbung schalten, etwa in den sozialen Medien. Aber das passiert hier noch selten.

swissinfo.ch: Was sind die Gründe? Kulturelle Skepsis oder Angst um die Datensicherheit?   

A.S.: Die Leute in der Schweiz sind definitiv besorgter über Datenschutz als in den USA. Und sie sind noch unsicher, andere Personen online um Geldspenden anzufragen. Ist man aber einmal über den Berg, wird sich das bestimmt ändern.

swissinfo.ch: Wie sehen Sie den Impact von digitaler Kommunikation auf die Demokratie?

A.S.: Soziale Netzwerke sind sehr gut darin, Ideen zu verbreiten, Menschen zu verbinden und Lebenserfahrungen zu teilen. In den USA gab es enorm viel Aktivismus aufgrund der Art, wie Menschen dunkler Hautfarbe behandelt wurden. Menschen stellten Videos online, welche die Brutalität der Polizei zeigten sowie die Proteste der Menschen dagegen. Ich halte das für eine sehr gute Sache.

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swissinfo.ch: Liegt die Zukunft der Demokratie in der digitalen Analyse?

A.S.: (lacht) Sie ist Teil der Zukunft! Es ist immer nützlich, über genauere Daten zu verfügen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Daten zum Verdauen. Unser Job ist es, aus all dem Lärm das Wichtige herauszufiltern.

swissinfo.ch: Was ist Ihre Botschaft, die Sie uns hier in der Schweiz in Bezug auf die digitale Analyse mitgeben?

A.S.: (lacht) Habt Spass damit! Beginnt mit einem Account bei Google Analytics, auch wenn ihr «nur» eine persönliche Webseite habt. Nutzt auch die Analysen auf euren Profilen bei Facebook, Twitter und anderen. Diese Analyse-Tools gibt es, also nutzt sie und macht euch mit den Daten vertraut! 

Neues Kampagnenzeitalter mit «Operation Libero»

Wie ausschlaggebend die neue «Operation Libero»Externer Link bei der Abstimmung vom 28. Februar 2016 war, ist umstritten. Fest steht aber: Die von Studierenden auf die Beine gestellte Bewegung hat das digitale Zeitalter für die Schweizer Demokratie definitiv eingeläutet. Erstmals hat eine Bewegung eine kritische politische Masse erreicht, die ihre Kampagne voll auf die sozialen Medien fokussierte.

Konkret: Das mit 60% überraschend klare Nein zur Durchsetzungsinitiative der rechtskonservativen und sieggewohnten Schweizerischen Volkspartei (SVP) wäre ohne die Facebook-Kampagne der Operation Libero in dieser Höhe wohl kaum möglich gewesen. 

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