Zwischen der Genfer Oligarchenvilla und finanzieller Unterstützung: Das Dilemma der Schweiz mit Moldau
Im Jahr vor dem EU-Referendum erhält die Republik Moldau enorme diplomatische und finanzielle Unterstützung von der Schweiz. Hingegen mussten die Moldauer Behörden auf die Beschlagnahmung der 30-Millionen-Franken-Villa des Ex-Machthabers vier Jahre warten. Eine Analyse.
Am 20. Oktober stimmen die Moldauer:innen über den Beitritt zur Europäischen Union ab. In der Bevölkerung bestehen sowohl Bindungen zu Westeuropa als auch zu Russland. Für das kleine Land steht viel auf dem Spiel. Moldau steht an einer entscheidenden Wegbiegung.
In diesem angespannten Umfeld positioniert sich die Schweiz als gewichtiger Verbündeter Chisinaus. Seit Jahren unternimmt die Schweiz erhebliche Anstrengungen, zur Unterstützung des Landes, mit dem sie einiges gemeinsam hat.
Doch mit dieser Annäherung gehen Widersprüche einher – insbesondere im Hinblick auf die Beschlagnahmung von Vermögenswerten korrupter ehemaliger Machthaber.
Die Behörden in Chisinau mussten vier Jahre warten, bis die Genfer Villa des Ex-Oligarchen Vladimir Plahotniuc beschlagnahmt wurde. Die Villa wird auf über 30 Millionen Franken geschätzt.
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Mehr Unterstützung, mehr Kontakt seit Beginn des Ukraine-Kriegs
Seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 ist auch die Republik Moldau ins Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit gerückt. Die Schweiz hat ihre Bemühungen in Form einer diplomatischen «Überaktivität» verdoppelt, wie die Zeitung Le Temps vor einigen Monaten schrieb.
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2024 verdoppelte die Schweiz ihre Hilfe für die Republik Moldau auf rund 25 Millionen Franken. Diese von Aussenminister Ignazio Cassis angekündigte Entscheidung war nur eine von vielen Gesten.
Innerhalb von zwei Jahren fanden nicht weniger als vier offizielle Treffen zwischen den beiden Ländern statt. Der Höhepunkt war der Staatsbesuch der moldauischen Präsidentin Maia Sandu in Bern im Oktober 2023. Vier Bundesrät:innen, darunter der damalige Bundespräsident Alain Berset, haben sie empfangen.
Der Schatten der Korruption
Bei all diesen scheinbaren diplomatischen Flitterwochen gibt es auch Schattenseiten, die das Image der schweizerisch-moldauischen Zusammenarbeit trüben.
Denn der Schweizer Finanzplatz diente jahrelang als Zufluchtsort für Gelder, die korrupte ehemalige moldauische Machthaber veruntreut hatten. Der symbolträchtigste Fall ist jener von Vladimir Plahotniuc, dem ehemaligen «starken Mann» in Moldaus Politik.
Bis 2019 galt Plahotniuc als eigentliche Machtinstanz in Moldau, die die Regierung, die Parlamentsmehrheit und die Justiz kontrollierte und dabei eine pro-europäische Ausrichtung an den Tag legte.
Eine unerwartete Allianz zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften hat es ermöglicht, ihn zu entmachten. Diese Allianz war geeint in ihrer Opposition gegen die als willkürlich empfundene Macht.
Die Genfer Villa von Plahotniuc
Plahotniuc befindet sich heute auf der Flucht und ist von internationalen Sanktionen betroffen, weil er «die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Stabilität oder die Sicherheit in der Republik Moldau gefährdet oder bedroht hat», wie es der Schweizer Bundesrat formulierte.
In einer aktuellen Enthüllung berichtet Le Temps über die entscheidende Entwicklung in diesem Fall. Laut dem Urteil des Bundesstrafgerichts, veröffentlicht am 24. September 2024, ist die Genfer Luxusvilla, die offiziell Plahotniucs Frau gehört, nun endlich beschlagnahmt.
Doch auch wenn für die Republik Moldau damit eine vierjährige Wartezeit endet: Bis zu einer Konfiszierung und einem Verkauf der Villa dauert es noch. Erst dies würde es der moldauischen Regierung ermöglichen, die veruntreuten Gelder zurückzuerhalten.
Der Wert der Villa ist höher als die in einem Jahr geleistete Hilfe der Schweiz. Sie soll einen Wert von über 30 Millionen Franken haben.
Das Schweizer Aussenministerium nennt die Beziehungen zur Republik Moldau «sehr gut» und schildert sie als zunehmend intensiver. Gemäss Aussenministerium gehört die Schweiz 2023 zu den «wichtigsten bilateralen Gebern der Republik Moldau».
Am längsten ist die Schweiz in Moldau im Gesundheitsbereich aktiv, weitere Felder sind wirtschaftliche Entwicklung und Lokalgouvernanz.
Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine kam die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge in Moldau hinzu. Schweizer Mittel fliessen unter anderem in den Demokratiebildungsunterricht, der seit fünf Jahren fester Bestandteil der Schulbildung ist.
Die Entwicklung der Demokratie in Moldau wird also auch von der Schweiz mitgeprägt.
Vlad Filats Verbindungen in die Schweiz
Die Diskrepanz zwischen der demonstrativen diplomatischen Unterstützung Moldaus und der Langsamkeit des Schweizer Justizsystems ist auffällig, weil der Fall von Vladimir Plahotniuc nicht der einzige ist.
Ein weiteres Beispiel ist Vlad Filat, ein ehemaliger moldauischer Premierminister.
Im Jahr 2015 hatte Moldau die Schweiz um Unterstützung bei einer Untersuchung gegen Filat gebeten, der im Verdacht stand, rund 260 Millionen Franken an Bestechungsgeldern erhalten zu haben.
Im»Betrug des Jahrhunderts», wie er in Moldau heisst, verschwand eine astronomische Summe aus drei moldauischen Banken, was den Staat 2015 an den Rand des Bankrotts brachte.
Filat hatte enge Verbindungen zur Schweiz: Seine Kinder besuchten eine renommierte Schule am Genfersee und seine Ex-Frau wohnte in der Nähe von Genf.
Fast zehn Jahre nach dem Rechtshilfeersuchen hat das Verfahren immer noch nicht zu einer Beschlagnahmung zugunsten der Republik Moldau geführt.
Und das ist noch nicht alles. Vor kurzem haben die moldauischen Staatsanwälte ein neues Ersuchen an die Schweiz gerichtet, um 4,4 Millionen Franken zurückzubekommen. Diese soll Valeriu Triboi, ein ehemaliger stellvertretender Wirtschaftsminister, der wegen Unterschlagung angeklagt ist, in der Schweiz versteckt haben.
Schweizer Aussenministerium gibt sich bemüht
Angesichts dieser Gleichzeitigkeiten betont das Schweizer Aussendepartement (EDA) seine Bemühungen, die juristische Zusammenarbeit mit der Republik Moldau zu verbessern.
Gegenüber SWI swissinfo.ch teilt ein EDA-Sprecher mit, dass «das EDA die Konsultationen zwischen dem moldauischen Justizministerium und dem in Basel ansässigen International Centre for Asset Recovery (ICAR) erleichtert hat». Zudem ergänzt er, dass «ein Projekt zur Unterstützung der moldauischen Fähigkeit, unrechtmässig erworbene Vermögenswerte zu konfiszieren und einzuziehen, derzeit im Rahmen des Schweizer Kooperationsprogramms vorbereitet wird».
Die Schweiz sei sich bewusst, «dass die Fragen der Korruptionsbekämpfung und der Einziehung von Vermögenswerten für die moldauische Regierung sehr wichtig sind, und wir erkennen die diesbezüglichen Bemühungen der Regierung an.»
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Weiter teilt der EDA-Sprecher mit, dass der Bund derzeit «ein Projekt vorbereitet, das darauf abzielt, das Vertrauen, die Integrität und die Compliance zwischen kleinen und mittleren Unternehmen und dem moldauischen öffentlichen Sektor sowie innerhalb dieser Branchen zu stärken».
In Bezug auf die spezifischen Fälle von Vladimir Plahotniuc, Vlad Filat und Valeriu Triboi verwies das EDA SWI swissinfo.ch an die Bundesanwaltschaft (BA), die wiederum an die Behörden in Chisinau weiter verwies.
Der Botschafter Moldaus ist optimistisch
Der moldauische Botschafter in Genf, Vladimir Cuc, zeigte sich seinerseits dankbar und optimistisch.
Gegenüber SWI swissinfo betonte er, dass die bilateralen Beziehungen zwischen der Republik Moldau und der Schweiz «immer freundschaftlich und positiv» gewesen seien. Nach der unprovozierten Aggression Russlands gegen die Ukraine […] haben die Schweizer Behörden ihre politische und finanzielle Unterstützung für die Republik Moldau tatsächlich intensiviert.»
Der Botschafter räumt ein, dass die Frage der Rückführung veruntreuter Vermögenswerte ein wichtiges Thema ist: «Wir sprechen die Frage der Rückführung von Vermögenswerten in der Regel auf verschiedenen Ebenen an, und ich weiss, dass sie in der Vergangenheit auch auf höchster Ebene angesprochen wurde.»
Trotz der Dauer beurteilt Vladimir Cuc den Stand der Zusammenarbeit der Justiz als funktionierend: «Manchmal wollen wir schneller Ergebnisse und Feedback sehen, was für Moldau als betroffene Partei natürlich ist, aber wir verstehen auch, wie wichtig es ist, dass alle Verfahren eingehalten werden.»
Im Vorfeld des entscheidenden Referendums am 20. Oktober befinden sich auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und Moldau am Scheideweg. Nicht nur der Ausgang des Referendums, sondern auch die Art und Weise, wie die Schweiz sowohl diplomatisch als auch juristisch darauf reagiert, könnte die Zukunft der Beziehungen zwischen diesen beiden kleinen Ländern prägen.
Editiert und Übertragen aus dem Französischen von Benjamin von Wyl
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