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Illustration Schwesterrepubliken USA und Schweiz

Einst Geschwister: die Schweiz und die USA

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die USA und die Schweiz als «Schwesterrepubliken» bekannt. Wir haben der gemeinsamen Geschichte der beiden Länder nachgespürt und uns gefragt, was sie heute noch verbindet.

Die USA wählen am 5. November 2024 einen neuen Präsidenten oder – erstmalig – eine neue Präsidentin.

Diese Präsidentschaftswahl wird von beiden Seiten als schicksalshaft bezeichnet. Tatsächlich kann das Ergebnis das Land nachhaltig verändern. Ganz anders als die Schweizer Regierung: Sie muss bei vielen ihrer Entscheidungen damit rechnen, dass das Volk sie gleich wieder in einer Abstimmung stoppt.

Die Schweiz ist ein kleines neutrales Land in Europa. Das politische System ist stark auf Ausgleich aller Interessen ausgerichtet. Die fünf grössten Parteien stellen zusammen die siebenköpfige Regierung.

In den Vereinigten Staaten von Amerika hingegen ringen zwei Parteien um das Präsidentenamt und die Macht.

Im ersten, auch im zweiten Moment, wirkt es darum komplett absurd: Die USA und die Schweiz als «Schwesterrepubliken».

Die Schweiz und die USA sind in vielerlei Hinsicht nicht auf derselben Ebene.

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«Vielleicht ist ein Land von 8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern auch einfach weniger polarisierend als eines mit 330 Millionen», meinte der US-Amerikaner Tariq Dennison im Interview mit SWI swissinfo.ch. Dennison ist ein überzeugter Republikaner und lebt in der Schweiz.

Die USA erstrecken sich von der Ost- bis zur Westküste eines Kontinents. Die Schweiz, mit ihren 41300 km2, ist nur so gross wie die kleinen US-Staaten Massachussetts und Connecticut zusammen. Warum sollte man die Schweiz und die USA miteinander vergleichen?

Doch die beiden Länder teilen einen gemeinsamen Ursprung im liberalen Gedankengut der Aufklärung. Im Lauf ihrer Geschichte haben sich die USA und die Schweiz auch gegenseitig beeinflusst.

Die verwandten Ideen der Aufklärung


Die Ideen von Staat und Gemeinwesen, die ihre beiden Ursprünge prägten, sind eng verwandt: Schweizer Denker wie der Genfer Jean-Jacques Burlamaqui prägten im 18. Jahrhundert die Ideen der US-amerikanischen Verfassungsväter.

Das US-amerikanische Parlamentssystem war Vorbild für die Schweiz bei der Gründung des Bundesstaats 1848. Zehntausende Schweizer Männer bekundeten 1864 ihre Trauer über den Tod von Abraham Lincoln und drückten den USA ihr Beileid aus.

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Die historischen Ideen wirken sich zeitweise bis heute aus. Die Schusswaffenverbreitung und anhaltende Waffenbegeisterung im kleinen Alpenland und den USA hat Wurzeln im Ideal, dass (einst nur männliche) Bürger sich selbst verteidigen können sollen.   

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Messebesuchende stehen vor einer Wand, an der Gewehre aufgehängt sind mit Preisschildern

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Die Schweizer Einwanderung in die USA

Doch die gemeinsame Geschichte geht über Ideen hinaus. Zwischen 1700 und 2000 sind etwa 460’000 Schweizer:innen in die USA ausgewandert. Sie haben ihre Traditionen und Kultur mitgebracht und damit einige Landstriche ihrer riesigen neuen Heimat geprägt.

Manche haben auch als Individuen Geschichte geprägt. Zum Beispiel Albert Gallatin: Der US-Finanzminister mit der längsten Amtszeit von allen (1801 bis 1814) ist aus Genf ausgewandert. Oder die Psychiaterin und spätere Esoterikerin Elisabeth Kübler-Ross, die 1958 aus Zürich ausgewandert ist, und in den USA das Fünf-Phasen-Modell des Sterbens entwickelt hat.

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Zu jenen, die ihr Glück in der «neuen Welt» versuchten, gehörte Mitte der 19. Jahrhunderts auch der Schweizer Sozialist und Genossenschaftspionier Karl Bürkli.

Der Plan eine neue, bessere Form des menschlichen Zusammenlebens im Dorf La Réunion in Texas zu schaffen, scheiterte. Stattdessen kehrte Bürkli nach Zürich zurück, prägte dort die Politik und wurde zum Vorkämpfer für Volksabstimmungen, direktdemokratische Instrumente wie Initiativen und Referenden.

Die Schwesterrepubliken der direkten Demokratie


Bürklis Buch, in dem er seine Forderung von direkter Demokratie ausbreitete, war ein durchschlagender Erfolg in den USA. Es hatte eine Wirkung auf jene Bewegung um 1900, die in vielen US-Bundesstaaten Initiativen und Referenden durchgesetzt hat.

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Heute sind die USA neben der Schweiz dasjenige Land, in dem am meisten Volksabstimmungen stattfinden – wenn auch nicht auf nationaler Ebene.

Der Genfer Politikwissenschaftler Julien Jaquet hat die «People’s Political Power in the Sister Republics of Direct Democracy», so der Name seiner Arbeit, erforscht. Dabei hat Jaquet herausgefunden, dass es in den USA dort mehr Volksabstimmungen gibt, wo Verzerrung durch strategische Wahlbezirksverschiebungen, sogenanntes Gerrymandering, und eine besonders grosse ideologische Kluft zwischen Abgeordneten und Wahlberechtigten zusammenkommen.

Im Gespräch mit SWI swissinfo.ch erläutert Jaquet auch, wie die sich immer steigernde Polarisierung mit einem anderen Wahlsystem gestoppt werden könnte. Drei Bundesstaaten stimmen zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen über dessen Einführung ab; drei andere haben es schon.

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Was bleibt von den Schwesterrepubliken Schweiz und USA?

Die Beziehungen zwischen der neutralen Schweiz und den USA, die eine Politik der Nichtintervention verfolgten, beruhten auf gemeinsamen politischen IdealenExterner Link. Ja, die USA sorgten einst sogar dafür, dass die Schweiz, genauer die Stadt Genf, überhaupt auf dem internationalen Parkett erscheint.

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Dies änderte sich bald nach dem Ersten Weltkrieg. Obwohl die Schweiz teilweise auch als Vermittlerin im Interesse der USA auftrat – etwa mit dem Verhandlungsmandat in Iran – sind die Schlüsselmomente der Aussenpolitik im letzten Jahrhundert eher konfrontativer Natur. Bereits 1941 forderten die USA von der Schweiz Sanktionen gegen Nazideutschland. Gut 50 Jahre später implodiert der Skandal um die sogenannten nachrichtenlosen Vermögen.


Die Spannungsmomente vermochten es aber nicht langfristig die grundsätzlichen Sympathien von Demokratie zu Demokratie zu unterlaufen.

Ende September 2024 hat der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis in einer Rede vor dem US-Aussenminister Antony Blinken in New York an die gemeinsame Geschichte appelliert: «Vom 17. Jahrhundert bis heute: Unsere Länder haben einander beeinflusst. Wir sind Schwesterrepubliken (…)».

Trotzdem ist die USA-Sehnsucht in der Schweiz heute zu einem grossen Teil Folklore. Während US-Gemeinden mit einer starken Schweizer Geschichte Fasnacht feiern, versammeln sich am «Trucker- und Countryfestival Interlaken» 45’000 Wildwest-Fans im Berner Oberland.

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Währenddessen sind die Demokratien beider Länder durch die digitale Globalisierung herausgefordert.

Vor den Präsidentschaftswahlen im November kursieren so viele manipulierte Videos und Nachrichten, dass 20 US-Staaten Massnahmen ergriffen und die US homeland security vor einer Störung der Wahlen durch Künstliche Intelligenz gewarnt haben. Die Schweiz gilt – auch wegen der vielen Volksabstimmungen – als besonders vulnerabel gegenüber KI-Manipulation.

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Editiert von David Eugster


Die beiden Länder haben sich einst geprägt. Denken Sie, sie können weiter voneinander lernen? Diskutieren Sie in unserer Debatte mit:

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Benjamin von Wyl

Was könnten die Schweiz und die USA heute voneinander lernen?

Erzählen Sie uns Ihre Ideen, wie die früheren Schwesterrepubliken voneinander profitieren können.

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