Schweizer Aussenminister Cassis› Zuversicht zum EU-Rahmenabkommen
"Nichts ist gratis. Der Status Quo ist keine Option mehr, es gibt nur ein Ja oder Nein": So hat Aussenminister Ignazio Cassis am Donnerstag an den Aarauer Demokratietagen 2019Externer Link die Lage der Schweiz betreffend institutionelles Rahmenabkommen mit der EU skizziert. Im Interview mit swissinfo.ch zeigte sich der Bundesrat erfreut über die Zustimmung der vorberatenden Parlamentskommission zum umstrittenen Vertrag.
Betont nüchtern und glasklar: So präsentierte Ignazio Cassis dem Publikum im vollbesetzten Saal des Kultur- und Kongresshauses Aarau die Ausgangslage der Schweiz zum RahmenabkommenExterner Link. Dieses besagt, dass die Schweiz die Veränderungen im EU-Recht dynamisch übernimmt.
Ob Bundesrat vorne auf der Bühne, Publikum im vollbesetzten Saal oder die Menschen im Land: Allen ist klar, das Vertragswerk wird bis zur Volksabstimmung DIE grosse Knacknuss der schweizerischen Politik sein. Der Urnengang kommt laut Cassis frühestens 2021, «aber nur im besten Szenario».
«Öl im Getriebe»
«Es ist fast wie mit der Bibel: Den Inhalt des institutionellen Rahmenabkommens hat niemand wirklich gelesen», sagte der Aussenminister am Anlass des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA).
In seiner Auslegeordnung wies er darauf hin, dass Bern und Brüssel auch mit dem neuen Regelwerk wesentliche Bereiche wie bisher getrennt handhaben würden. Dies gelte für die Rechtsentwicklung, die Rechtsauslegung und die Überwachung. «Nur die Streitbeilegung geschieht gemeinsam – mit dem Schiedsgericht», sagte Cassis. Dieses ist paritätisch zusammengesetzt.
Er hob die Bedeutung der Union als wichtigste Wirtschaftspartnerin hervor. «Der Warenaustausch zwischen der Schweiz und der EU beträgt pro Tag eine Milliarde Franken, und das 220 Mal pro Jahr.» Mit dem neuen Regelwerk würde die Schweiz gleich lange Spiesse erhalten wie die EU. «Das Institutionelle Rahmenabkommen ist das Öl im Getriebe der Schweizer Wirtschaft», so Cassis. Die Haltung Brüssels sei: Unterschreibe die Schweiz nicht, erhalte sie auch keine neuen Abkommen, etwa jenes zum Strommarkt.
Der InstA-Fahrplan
Die Schweizer Regierung hat das Institutionelle Rahmenabkommen, mit der offiziellen Abkürzung InstA genannt, im Dezember den Parteien und weiteren interessierten Kreisen zur Konsultation vorgelegt.
Die Anhörung dauert bis Mai. Danach wertet der Bundesrat die Ergebnisse aus. Nach heutigem Stand wird die Schweizer Regierung versuchen, strittige Punkte im Dialog mit den EU-Behörden zu klären und zu präzisieren.
Danach durchläuft der Vertrag die gewohnten gesetzgeberischen Stationen: vorberatende Parlamentskommissionen, Parlamentsdebatte und Parlamentsentscheid.
Das Abkommen unterliegt dem fakultativen Referendum. Aussenminister Cassis rechnet mit einer Volksabstimmung frühestens 2021.
Bei einem Ja wäre mit einer Inkraftsetzung 2024/25 zu rechnen. Dies aber nur im optimistischen Szenario, wie Cassis betont.
Das Argument der Gegner, Freihandelsabkommen würden völlig ausreichen, um die Exportwirtschaft in Schwung zu halten, konterte der Aussenminister mit dem Verweis auf den Brexit. «Grossbritannien hat gemeint, Freihandelsabkommen würden genügen. Die Briten haben aber sehr rasch gemerkt, dass dem nicht so ist.»
swissinfo.ch: Die Signale aus Brüssel sind klar: Keine Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen mehr, kein Spiel mehr auf Zeit. Steht die Schweiz mit dem Rücken zur Wand?
I.C.: Sicher stehen wir unter Druck. Aber wir lassen uns auch nicht erpressen. Wir stehen in einem Dialog. Aber in einer direkten Demokratie nützt es nichts zu rennen, wenn wir nicht dazu bereit sind. Jeder Entscheid hat seine zeitliche Dimension. Das wird die EU früher oder später auch in geeigneter Art und Weise akzeptieren.
Wir werden am Ende der noch laufenden Konsultationen weiter im Gespräch mit der Europäischen Kommission bleiben. Ich bin zuversichtlich, dass wir vieles von dem, was jetzt in der Konsultation als strittige Punkte definiert wurden, nochmals besprechen können.
Dies nicht im Sinne einer Nachverhandlung – wir wissen, dass es keine solche mehr gibt. Aber es gibt auch noch die Möglichkeit, auf politischem Weg Korrekturen, Ergänzungen oder Präzisierungen vorzunehmen. Genau diesen Weg müssen wir gehen.
swissinfo.ch: Aus dem Parlament erhielten Sie diese Woche Rückenwind: Die Aussenpolitische Kommission (APK) des NationalratsExterner Link hat «Ja, aber» gesagt zum EU-Rahmenvertrag. Ist das der kleine grosse Schritt vorwärts, den Sie sich erhofften?
I.C.: Es ist ein wichtiger Entscheid, dass die Kommission den Bundesrat unterstützt. Dies im Sinne von «Gehen wir weiter, schauen aber die strittigen Punkte noch genauer an». Vor Weihnachten hätten sich auch die grössten Optimisten nicht erhoffen können, dass es überhaupt noch Spielraum für eine Verständigung mit einem «Ja» oder einem «Ja, aber» geben kann.
Wir haben in den letzten drei Jahren gesehen, dass die Debatte sachlicher und konstruktiver geworden ist. Auch kennt man den Preis für ein Ja oder Nein, denn es ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung.
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swissinfo.ch: Zum Brexit: Es dürfte mittlerweile allen klar sein, dass es für die Briten keinen guten und einfachen Weg aus dem Entscheid von 2016 gibt. Was heisst das für die Schweiz?
Ignazio Cassis: Je grösser die Spannungen zwischen Grossbritannien und der EU, desto schwieriger ist die Lage für uns. In einer gespannten Lage sind alle nervös und nicht bereit, Konzessionen zu machen. Ich hoffe, dass die Briten einen geordneten Weg des Brexits finden.
swissinfo.ch: Noch ein Thema, das die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer interessiert: Die Finanzkontrolle des Bundes stellt in einer jüngsten Überprüfung 31 kleine Botschaften der Schweiz in Frage. Auch solche in europäischen Staaten. Werden Sie diese Standorte schliessen? Können Sie sagen, was die Schweiz damit einsparen würde?
I.C.: Nein, wir planen nicht, diese kleinen Botschaften zu schliessen. Das Prinzip der Universalität ist für uns nach wie vor wichtig. «Laptop-Botschafter» sind für gewisse Länder die richtige Lösung. Wir brauchen nicht überall zehn Mitarbeiter. Manchmal ist schon die Präsenz an sich ein wichtiges politisches Signal und nicht die Anzahl der Vertreter, die dort arbeiten.
Der Autor auf TwitterExterner Link.
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