Eurovision-Abstimmung: Wie ein irischer Popstar im Basler Abstimmungsbüchlein landete
Der Eurovision Song Contest kommt definitiv nach Basel. Nach einem Entscheidungsprozess, der unglaublich langsam war – aber einen Spurt für die Institutionen der direkten Demokratie der Schweiz bedeutet hat.
Zwischen dem Auftritt von Nemo am Eurovision-Finale im Frühjahr 2024 und dem Ende der Telefon- sowie der Jury-Abstimmung lagen vielleicht zwei Stunden.
Damit war für das Fernsehpublikum in vielen Ländern klar: Der Eurovision Song Contest, der grösste Musikevent der Welt, wird 2025 in der Schweiz stattfinden. Das freute im Gewinner:innenland nicht nur Eurovision-Fans.
Doch bis die Entscheidung im Land mit den meisten Volksabstimmungen auch wirklich definitiv war, sollte es noch sechs Monate dauern. Nun hat die Bevölkerung von Basel mit grosser Mehrheit für den ESC gestimmt. Genauer gesagt: 66,6% der Abstimmenden im Kanton Basel-Stadt sprachen sich dafür aus, dass sich der Kanton an der Durchführung mit 37 Millionen Franken beteiligt.
Hätte eine Mehrheit dagegen gestimmt, wäre das Kantonsgeld nicht geflossen. Die SRG, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört, hätte Basel dann die Austragung des grössten Musikevents der Welt noch entziehen können – gemäss einer Recherche der Zeitung bz BaselExterner Link.
Die grösste, aber in diesem Fall mögliche, Eskalation wäre gewesen, dass die Eurovision Broadcasting Union eingreift und der Schweiz den ESC 2025 entzieht.
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Die Schweizer Demokratie wird für den Eurovision Song Contest zur Herausforderung
Anders als Zürich, Bern oder Genf – die sich ebenfalls um die ESC-Austragung beworben haben – bildet die Stadt Basel ein Kanton fast für sich allein. Deshalb waren beispielsweise die kritischen Stimmen in Bern politisch riskanter: Die tendenziell konservative Landbevölkerung des Kanton Bern übersteigt die Bevölkerung der Bundesstadt um ein Vielfaches. Auch, wenn die Stadtbevölkerung linker und progressiver ist als jene von Basel. Ein Referendum in Bern hätte bessere Chancen gehabt.
Erst Ende November ist definitiv, dass der ESC 2025 wirklich in Basel stattfindet. Zum Vergleich: Dass Malmö den ESC 2024 durchführt, war bereits Anfang Juli 2023Externer Link entschieden. Die direktdemokratischen Mühlen der Schweiz mahlen langsam.
Und doch ging alles schnell
Gleichzeitig war das Referendum gegen den ESC ein Spurt für alle Beteiligten: Das Basler Parlament bewilligte die 37.5 Millionen Franken für den ESC am 11. September. «Basel, zwölf Punkte. Freude herrscht!», eröffnete Joël Thüring, Präsident der Basler Finanzkommission und Kantonsparlamentarier der rechtskonservativen SVP, die Debatte. Am Ende gab es nur vier Gegenstimmen. Die Basler Politik war ziemlich einhellig für den Grossanlass.
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EDU ergreift Referendum gegen Eurovision Song Contest in Basel
Doch die Referendumsführer der christlich-konservativen EDU standen bereits in den Startlöchern. Mitglieder der kleinen Partei reisten aus der ganzen Schweiz fortan nach Basel-Stadt zum Sammeln der nötigen 2000 Unterschriften von Basler:innen. Eingereicht haben sie nur sechs Wochen später, am 28. Oktober, gut 4200 Unterschriften. Am 4. November hatten die Basler Stimmberechtigten bereits den Abstimmungszettel bei sich zuhause – inklusive fünf Seiten Informationen und Argumente zum ESC-Referendum. Wie ist das in so kurzer Zeit überhaupt möglich?
«Das Abstimmungsbüchlein und die Stimmzettel wurden vor dem 26. Oktober in zwei Versionen gedruckt – einmal mit der ESC-Vorlage und einmal ohne ESC-Vorlage», hat der Basler Regierungssprecher Marco Greiner auf Anfrage von SWI swissinfo.ch erklärt. Für die Basler:innen standen am 24. November nämlich noch weitere kantonale Abstimmungen an.
Der ESC einmal als «Imagewerbung» und einmal als «Imageverlust»
So war es also möglich, dass trotz der knappen Frist beide Seiten ihre Argumente im Abstimmungsbüchlein darlegen konnten. Die Basler Regierung warb für den Event wegen seiner «grosser Wertschöpfung». «Internationaler Aufmerksamkeit und Imagewerbung», die er bringe, und sprach – im Hinblick auf das Rahmenprogramm in der Stadt – von einem «Fest der Toleranz für die ganze Bevölkerung».
Die Argumente der Gegenseite im Abstimmungsbüchlein lasen sich geradezu spiegelbildlich. Sie sprechen von einer «Geldverschwendung» und sagten der Anlass bedeute für Basel einen «Imageverlust» – dies mit Verweis auf antiisraelische Proteste in Malmö und dem Verhalten von anderen ESC-Delegationen gegenüber der israelischen Sängerin Eden Golan. «Einem ESC, der solche judenfeindlichen Exzesse nicht ausreichend unterbindet, wollen wir kein Forum bieten.»
«Okkulte und satanische Beiträge»
Vor allem sehen die Gegner:innen den ESC jedoch als Spielfeld im Kampf zwischen Himmel und Hölle. So gebe es «unfaire Doppelstandards»: Denn eine Band der christlich-evangelikalen Heilsarmee, die die Schweiz vor gut zehn Jahren vertrat, durfte nicht unter dem Namen Heilsarmee antreten.
Hingegen würden «okkulte und satanische Beiträge (zum Beispiel von ‹Bambie Thug›) (…) toleriert und sogar gefeiert». Dies sei ungerecht.
Anders als die Heilsarmee ist Bambie Thug jedoch Popstar und – soweit bekannt – nicht Vertreter:in einer okkulten religiösen Vereinigung.
Zudem bezog sich der Song von Bambie Thug am ESC 2024 vor allem auf Harry Potter. «Avada Kedavra, I speak to destroy», sang der nonbinäre Popstar, der für Irland angetreten ist. «Avada Kedavra» ist der Todesfluch in der erfolgreichen Jugendbuchreihe. Da Bambie Thug von allen Werbespots im öffentlichen Verkehr entgegenlachte, ist davon auszugehen, dass es den Referendumsführenden vor allem darum ging – und weniger um die Basler Kantonsfinanzen.
Diese sind nämlich rosig. Der Kanton erzielt regelmässig Überschüsse in der Höhe von hunderten Millionen FrankenExterner Link.
Landesweiter Einfluss auf die Lokalpolitik?
Auf den Unterschriftenbögen des Referendums gegen den ESC war zwar vermerkt, man solle diesen bei der EDU Basel-Stadt einreichen.
Doch in der Öffentlichkeit traten immer Vertreter der EDU Schweiz auf – vor allem EDU-Präsident Samuel Kullmann aus dem Berner Oberland. Relativ transparent machte die Partei klar, dass es vor allem Aktivist:innen aus anderen Regionen sind, die diese Abstimmung in Basel-Stadt herbeiführen wollen.
Marc Bühlmann ist Direktor von Année Politique Suisse und Professor an der Universität Bern. Der Politikwissenschaftler teilt auf Anfrage mit, dass er keine Fakten dazu kenne, wie häufig es vorkommt, dass ein Referendum von Personen ausserhalb herbeigeführt wird. Doch: «Ich könnte mir vorstellen, dass das gar nicht so selten ist», sagt Bühlmann.
Immer wieder würden Themen von nationaler Bedeutung lokal zur Abstimmung kommen, die ausserhalb eines betroffenen Kantons interessieren. Zudem «teste» man nationale Themen – ob ein Mindestlohn oder die Transparenz der Politikfinanzierung – in Kantonen. Oft koordinieren das dann national organisierte Parteien via ihre kantonalen Sektionen.
Für eine Demokratie stellt das aber kein Problem dar, klärt der Professor der Politikwissenschaft an der Universität Bern. Bühlmann argumentiert, dass die Unterschriften ja von Basler:innen stammen. «Insofern ist es sehr wohl die kantonale Bevölkerung, die die Abstimmung auslöst. Und nur das ist die entscheidende Grösse, ob etwas zur Abstimmung gelangen soll oder nicht.» Je nach demokratietheoretischer Position könne man es positiv oder kritisch sehen, wenn die treibende Kraft hinter einer Abstimmung von ausserhalb kommt.
Aus einer «demokratietheoretisch-partizipatorischen Perspektive» könne es gar nicht genug Abstimmungen und Debatten zu einem Thema geben. Entsprechend könne man argumentieren, dass es zu begrüssen sei, wenn «gar ausserkantonale Akteure dafür sorgen».
Offen bleibt, ob Bambie Thug und die Fans in Irland und überall in Europa wissen, dass der Popstar zum Gesicht einer religiös motivierten Politkampagne gemacht worden war. Eine Mehrheit der Basler:innen haben diese Bedenken jedenfalls nicht überzeugt.
Editiert von Giannis Mavris
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