«In Chile vermisse ich die Demokratie der Schweiz»
Die 17-jährige Mittelschülerin Francisca Espinoza ist überzeugt, dass die Bürger in einer direkten Demokratie mehr Möglichkeiten haben, ihre Ideen in die politische Agenda einzubringen. Sie ist eine der Stimmen der jungen Fünften Schweiz, die sich im neuen Jugendparlament der Auslandschweizer engagiert. In einer Serie stellen wir elf leitende Mitglieder vor.
swissinfo.ch: Was wollen sie als Mitglied des neuen Jugendparlaments der Fünften Schweiz erreichen – erstens in der Schweiz und zweitens in ihrem Land?
Francisca Espinoza: Für die Schweiz möchte ich, dass die Jungen mehr über unsere Länder erfahren und im Rahmen der Möglichkeiten hier Jugendliche mit sozialem Engagement unterstützen, die nicht über die notwendigen Mittel verfügen. Ich wünsche mir auch, dass junge Schweizer mehr reisen und sich mit Auslandschweizern treffen.
Für Chile möchte ich, dass Jugendliche schweizerischer Abstammung die Kultur und die Lebensweise der Schweizer besser kennenlernen; sich mit verschiedenen Aktivitäten mit Menschen gleicher Abstammung treffen und neue Kontakte knüpfen können. Die Idee ist, dass wir uns alle auf ein gemeinsames Anliegen – die Schweiz – einigen und über die sozialen Medien Kontakt haben können.
swissinfo.ch: Wie sieht es punkto direkter Demokratie in ihrem Wohnland aus? Gibt es Instrumente, die ihnen besonders gefallen? Und auch solche, die sie vermissen?
F.E.: Leider verfügen wir in Chile über keine Instrumente direkter Demokratie. Einige Gemeinden haben begonnen, Volksbefragungen zu Themen zu organisieren, welche die Leute interessieren. In Chile haben wir eine repräsentative Demokratie, womit die Bürger keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Parlaments haben. Meines Erachtens fördert die repräsentative Demokratie die Teilnahme der Jungen an Entscheidungsprozessen nicht. In Chile vermisse ich die Art Demokratie, welche die Schweiz hat.
swissinfo.ch: In den meisten Ländern gehen die Jungen weniger wählen und abstimmen als die anderen Altersgruppen. Ist nicht gerade die direkte Demokratie das Mittel für die Jungen, um ihre Bedürfnisse und Vorstellungen politisch einzubringen?
F.E.: Ich glaube nicht, dass die direkte Demokratie der ausschlaggebende Faktor ist, der Junge vom Urnengang abhält. Die niedrige Stimmbeteiligung gibt es auch in anderen Ländern wie Chile, die ein anderes demokratisches System als die Schweiz haben. In der Mehrheit der Länder besteht dasselbe Problem. Meiner Meinung nach liegt der Grund darin, dass sich die Jungen nicht für Politik interessieren und sich um andere Dinge kümmern, die sie wichtiger finden.
Ich selbst bin überzeugt, dass die Bürger in einer direkten Demokratie mehr Möglichkeiten haben, ihre Ideen in die politische Agenda einzubringen als in einer repräsentativen Demokratie.
swissinfo.ch: Seit den Anschlägen in Paris steht Europa im Banne des IS-Terrors. Ist der Kampf gegen die islamistischen Extremisten, der die Einschränkung individueller Freiheiten bedeutet, eine Gefahr für die Demokratien?
Neue Plattform für junge Auslandschweizer
Das Jugendparlament der Auslandschweizer ist selbst noch blutjung, besteht es doch erst seit wenigen Monaten. Tagungsort der rund 350 Mitglieder, die über alle Kontinente verstreut sind, ist das Internet, findet doch der Austausch über soziale Medien statt.
swissinfo.ch hat 11 junge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die dem Leitungsgremium des neuen Jugendparlamentes angehören, zur direkten Demokratie in ihrem Wohnland und jener in der Schweiz befragt.
F.E.: Sicher schränkt der Kampf gegen den Terrorismus einige individuelle Freiheitsrechte ein, unterzieht die Bürger unzähligen Sicherheitsmassnahmen und führt zum Freiheitsverlust an Orten grosser Menschenansammlungen wie Flugplätzen, Stadien und nun auch Theater und Vergnügungszentren. Angesichts der Drohung von Attentaten ist es notwendig, Vorsichtsmassnahmen zu treffen. Wir müssen uns bewusst sein, dass islamistische Terroristen Selbstmordattentäter sind und bei Anschlägen nicht zwischen Frauen, Männern oder Kindern als Opfer unterscheiden.
Für die Demokratie bedeutat dies eine grosse Gefahr. Die Gefahr eines möglichen Attentas schränkt die Bewegungsfreiheit und die individuellen Freiheiten ein. Die Bevölkerung bekommt Angst, ihrem normalen Leben nachzugehen. Dies beeinträchtigt die Entwicklung und die Wirtschaft eines Landes, da ein Attentat in allen Städten eine Auswirkung hat und nicht nur dort, wo es verübt wurde.
Leider werden Muslime als Terroristen stigmatisiert, obwohl die Verantwortlichen der blutigen Anschläge in grossen Städten der Welt eine kleine und fanatische Minderheit sind.
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)
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