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Frankreichs Regionalisten reklamieren Demokratie

Um die Gemüter ein wenig zu beruhigen, hat die Nationalversammlung Strassburg zur Hauptstadt der künftigen Region ALCA erklärt. AFP

In der Schweiz werde zu oft abgestimmt, und das Volk müsse sich zu komplexen Themen äussern, heisst es oft. Mit solchen Fragen würden sich die französischen Regionalisten allzu gerne abgeben. Für sie ist das Problem gerade umgekehrt: Sie haben den Eindruck, nicht erhört zu werden. Ein Augenschein im elsässischen Dannemarie.

Mehr als zwanzig Personen haben sich in den Räumen des ehemaligen Ratshauses von Dannemarie versammelt. Der Ort liegt im Departement Oberrhein rund 40 Kilometer von Basel entfernt.

Um ein wenig den Puls zu fühlen, gehe ich auf einen Herrn in einem bretonischen Anzug zu. Kaum habe ich zwei Worte zur Begrüssung gesagt, verrät ihm mein Akzent meine Herkunft. Als Schweizer Journalist geniesse ich bei den französischen Regionalisten eine gewisse Sympathie, weil ich mich für ihr Anliegen interessiere, vor allem aber, weil die Schweiz das Land des Referendums schlechthin ist.

Mein Hinweis, dass es in der Schweiz genügt, 50’000 Unterschriften zu sammeln, um ein Referendum auf die Beine zu stellen, erstaunt meine Gesprächspartner. Und für Verwunderung sorgt meine Präzisierung, dass der Volksentscheid zum Referendum – wohlverstanden – sogar umgesetzt werde.

Eine umstrittene Fusion

Ein Referendum, das fordert ein Kollektiv von elsässischen Bürgern, das sich einer Neueinteilung seiner Region widersetzt. Am 17. Dezember des letzten Jahres hat die Nationalversammlung ein Gesetz gutgeheissen, das die Anzahl französischer Regionen, Departemente genannt, von gegenwärtig 22 auf 13 reduziert.

Die Region Elsass soll demzufolge mit Lothringen, der Champagne und den Ardennen zu einer neuen Region fusioniert werden, deren Namen bisher nicht bestimmt worden ist, die man aber gewöhnlich mit dem Akronym ALCA (Alsace-Lorraine-Champagne-Ardennes) bezeichnet. Im Dezember sollen die Parlamentsmitglieder der künftigen Region gewählt werden.

Im Elsass sorgt die Fusion für Ärger. «Diese Region wäre zwei Mal so gross wie Belgien», sagt Paul Mumbach, Bürgermeister von Dannemarie und Präsident der Demokratischen Elsässischen Föderation, einer unabhängigen Bewegung, welche die Opposition vereint. «Diese Grösse entfernt die Bürger von den Entscheidungsträgern. Vier Millionen Wähler bedeuten auch Wahlkampagnen mit Kosten von 5 oder 6 Millionen Euro. Es wird deshalb nur noch nationale Parteien im Einklang mit Paris geben. Das stört uns, weil die Regionen keine Stimme mehr haben werden.»

Jean-Georges Trouillet, Vizepräsident und Sprecher der regionalen Partei Unsri HeimetExterner Link stösst ins gleiche Horn. «Es gibt keine geografische, historische oder wirtschaftliche Kohärenz. In einer grösseren Gemeinschaft könnten wir kaum noch die Krümel dessen verteidigen, was uns in Bezug auf die sprachliche Autonomie geblieben ist.»

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Referendum: Volksabstimmung als Vetorecht

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Referendum, 1874 in der Verfassung verankert, ist untrennbarer Teil der direkten Demokratie in der Schweiz. Es ist das Vetorecht, mit dem das Volk Entscheide des Parlaments ablehnen kann. Es gibt ein fakultatives und ein obligatorischen Referendum. Die Details dazu liefert die folgende Animation. (Michele Andina, swissinfo.ch)

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Kein Referendum

Die Bewegung ist in den letzten Monaten stärker geworden. Sie fordert in erster Linie ein Referendumsrecht, das den Elsässern ein Mitspracherecht bei der Bildung der neuen Region ALCA ermöglichen würde. Um ihrem Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen, haben sie verschiedene Aktionen durchgeführt: Veranstaltungen, bei denen Elsässerinnen öffentlich die traditionelle Kopfbedeckung tragen und sich Mitglieder des Generalrats des Departements Oberrhein mit einem Mundknebel in den elsässischen Farben zeigen.

Diese Mobilisierungskampagnen haben Früchte getragen. In weniger als 6 Wochen sind für die Referendums-Forderung mehr als 115’000 Unterschriften zusammengekommen. Aber das genügt nicht. Der Präsident der Region Elsass erachtet sich nicht als kompetent für die Organisation eines solchen Referendums. Der Präfekt der Region erinnert daran, dass das Gesetz über die Regionen kein Referendum vorsehe. Und der Verfassungsrat, bei dem ein Rekurs eingelegt worden war, hält fest, dass der Zusammenschluss der Regionen im Einklang mit der Verfassung stehe.

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Die Gegner der Fusion wollen ihren Widerstand auf juristischer Ebene mit einem Rekurs beim Staatsrat und beim Europarat weiterführen. Sie sind der Meinung, dass Frankreich die europäische Charta zur kommunalen SelbstverwaltungExterner Link nicht respektiere, die eine mögliche Volksabstimmung vorsieht, wenn die Struktur einer territorialen Einheit geändert werden soll.

Demokratie-Verweigerung

Dass die Durchführung eines Referendums verweigert wurde, hat in Dannemarie Frustration und Wut erzeugt. «Man hat uns das Referendum, die Demokratie vorenthalten, obwohl wir nur ein Anhörungsrecht verlangen. Die Franzosen haben die internationalen Verträge nicht respektiert, was einer Verweigerung der Demokratie gleichkommt. Es gibt wirklich ein sehr grosses Problem in Frankreich, die Demokratie ist nur noch ein wertloses Wort», ereifert sich Frédéric Turon vom Kollektiv elsässischer Bürger.

Manche Beobachter zeichnen seit einiger Zeit ein düsteres Bild des politischen Lebens in Frankreich, das mehr und mehr von Abstinenz oder Proteststimmen geprägt sei. Die Elsässer, die sich der Fusion der Regionen widersetzen, teilen diese Einschätzung.

«Wenn die Demokratie verweigert wird, wählt man entweder nicht mehr oder den Front National», sagt Jean-Georges Trouillet. «Es fehlt nicht mehr viel, bis es der FN in den zweiten Wahlgang schafft.»

«Die Wahlgesetze sorgen dafür, dass die Entscheidungen nicht mehr hinterfragt und die Bürger nicht mehr gefragt werden, sobald die Gewählten ihre Plätze belegt haben», kritisiert Paul Mumbach. «Das ist ein echtes Problem. Um etwas zu ändern, gäbe es zwar die Wahlen, aber wir glauben nicht mehr daran. Heute gehen in Frankreich 60% der Stimmberechtigten nicht mehr wählen. Das ist eine Katastrophe. Und unter den restlichen 40% wählen sehr viele den FN. Solche Proteststimmen können gefährlich werden, das hat uns die Geschichte gezeigt.»

Ein weiterer Mai 68?

Muss man befürchten, dass nach härteren Mitteln gegriffen wird, um sich Gehör zu verschaffen, wenn der Urnengang versperrt ist?

«Angesichts einer Demokratie-Verweigerung ist diese Frage berechtigt», antwortet Raphaël Quemere, Mitglied der ‹Bonnets rouges›, einer Protestbewegung, der es gelungen ist, die Einführung einer ökologischen Strassengebühr rückgängig zu machen. «Es hat viel Gewalt ausgelöst, weil die Bretonen merkten, dass die institutionellen und administrativen Verfahren nichts gebracht hätten. Deshalb haben sie rebelliert und die Ökosteuer abgeschmettert.»

«Direkte Demokratie bedeutet in Frankreich Kundgebung. Und wenn dies nicht genügt, Abbruch», beklagt sich Jean-Georges Trouillet. «Wenn man legale Mittel ergreift, wird man nicht erhört.» Und Frédéric Turon fügt hinzu: «Man muss auf einen Blitzschlag gefasst sein, der eines Tages eine Revolte auslösen könnte. Wir sind nicht mehr weit von einem Mai 68 entfernt, sei es im Elsass oder in anderen Regionen.»

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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