«Auf der Suche nach den kleinen grossen Dingen»
Die UNO hat den 15. September zum internationalen Tag der Demokratie erklärt. Gelegenheit für swissinfo.ch, den Blick auf eine Weltregion zu richten, die nicht gerade als Demokratie-Paradies bekannt ist: Ostasien. In Sachen Bürgerbeteiligung und aktiver Bürgerschaft aber gibt es dort Erstaunliches, wie die Begegnungen von Korrespondent Bruno Kaufmann mit vier wichtigen Demokratie-Exponenten zeigt.
Sie haben sich wohnlich eingerichtet. Mit Feldküche, Schlafzelten und kraftvollen Lautsprecheranlagen. Die Mitglieder der rechtskatholischen Gruppierung, die seit diesem Sommer direkt vor dem Eingang zum Rathaus der südkoreanischen Hauptstadt Seoul logieren, wissen genau, was sie nicht wollen: «Unser Bürgermeister will die Rechte homosexueller Partnerschaften stärken, das ist eine Schande», donnert ein älterer Mann ins Mikrofon.
Dann ergreift er eine Trommel und legt mit einer Wucht los, dass die vielen Menschen, die von frühmorgens bis spätabends das Rathaus besuchen, es auch wirklich nicht verpassen können, dass hier jemand eine ganz besondere Botschaft vertritt.
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Liu Shih-chung
«Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist für uns grundlegend», sagt Park Won-soon, der der scharf angegriffene Bürgermeister Seouls, und fügt hinzu: «Gerade wenn es um abweichende Meinungen geht, müssen wir dafür sorgen, dass diese ihren Platz bekommen», sagt der 59 Jahre alte oberste Politiker einer der grössten Städte der Welt.
Seit 2011 im Amt, hat der ehemalige Dissident, der unter der bis 1987 dauernden Militärdiktatur monatelang im Gefängnis sass, in den letzten Jahren Vollgas gegeben in Sachen Demokratieentwicklung.
Am sichtbarsten wird dies im zentral gelegenen neuen Rathaus, das Park in ein eigentliches Bürgerhaus verwandelt hat.
Mehrere Etagen des markanten Glasbaues, in dessen Innern phantastische Gärten angelegt worden sind, sind nämlich für die politischen Aktivitäten der Seouler Bürgerschaft reserviert. Einzelpersonen, Gruppen, Vereine, Parteien können hier kostenlos Bühnen, Versammlungssäle, Ausstellungsräume und Arbeitsplätze nutzen.
Eine Hundertschaft von Gemeindemitarbeiter steht beratend zu Seite, so dass die Meinungen, Ideen und Vorschläge der Bürger von Seoul auch gehört werden. Folgerichtig hat die Megacity kürzlich auch ihr offizielles Logo den neuen Zeiten angepasst: es symbolisiert nun ganz einfach ein offenes Ohr.
Das Beispiel Seoul steht für ein kleines grosses Ding. Es sind dies solch spannende und konkrete Demokratisierungsschritte, die es wegen ihres oft lokalen und nicht sehr konfliktgeladenen Charakters aber kaum auf den Radar der Weltöffentlichkeit schaffen.
Stattdessen prägen seit Jahren zum Internationalen Demokratietag am 15. September Analysen und Berichte die Diskussion, dass es um die Macht der Bürgerinnen und Bürger schlecht steht.
Belege dafür sind das – mit Ausnahme Tunesiens – grandiose Scheitern des so genannten Arabischen Frühlings oder die wachsenden reaktionär-autoritären Kräfte in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
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