Die Kanzlerin, die mit den Jungen spricht
Anja Wyden Guelpa zählt zu den aktivsten und innovativsten Köpfen der Schweiz, was Demokratieförderung betrifft. Ende April 2018 trat sie als Staatskanzlerin der Kanton Genf zurück. Wer ist die 45-Jährige, die mit Leib und Seele das Ziel verfolgte, Jungen die Sinne für die Demokratie zu schärfen?
Wir haben Anja Wyden Guelpa in Genf besucht. Zum Anfang hat sie sich gleich selbst charakterisiert.
Anja Wyden Guelpa
1973 im Kanton Wallis geboren. Studium der Politikwissenschaften in Tübingen (Deutschland) und Genf. Master-Abschluss in öffentlicher Verwaltung.
Sie wird Projektleiterin beim Staatssekretariat für Wirschaft (Seco) und arbeitet danach als Beraterin beim damaligen Computerriesen IBM.
Als Mitglied der sozialdemokratischen Partei engagiert sie sich im Kanton Genf in verschiedenen Behörden. 2009 wird sie als erste Frau Staatskanzlerin des Kantons Genf. Nach zwei Amtszeiten verlässt die den Posten auf Ende April 2018.
2009: Anja Wyden Guelpa wird als erste Frau Staatskanzlerin des Kanton Genf.
Als gebürtige Oberwalliserin, also Deutschsprachige und mit ihren jugendlichen 36 Jahren entspricht sie wohl nicht gerade dem typischen Profil für diese Funktion, die eher nach trockenen Protokollen und dem Jonglieren mit Sitzungsterminen tönt.
Das ist aber nicht die Welt der jungen Frau. Sie will mit den Menschen sprechen, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Besonders am Herzen liegen ihr die Jungen und ganz Jungen.
Ihnen will sie zeigen, dass das, was um sie herum passiert, im Quartier, in der Stadt, im Kanton, im Land, mit ihnen zu tun hat.
Ärmel hochkrempeln statt lamentieren
Denn die Realität sieht anders aus: 70% der 18- bis 25-Jährigen beteiligen sich in der Schweiz nicht an Abstimmungen. Dies aber nicht, weil sie keine Ahnung haben, sondern, weil sie sich nicht angesprochen und folglich nicht betroffen fühlen.
Hier setzt Anja Wyden Guelpa an: Sie will die Menschen wieder näher an die staatlichen Institutionen bringen. Weil sie aber nicht mit dem Rathaus zu den Bürgern gehen kann, öffnet sie das Rathaus, wo Regierung und Parlament tagen, für die Bürger.
So wird der Genfer Ratsaal zur Bühne für das Programm Institutions 3DExterner Link, das sich an Schulklassen richtet. Auf den Sesseln der Genfer Parlamentarier schlüpfen die Zehnjährigen in deren Rollen: Die Kids bringen eigens für sie vorbereitete Gesetze vor, über die sie anschliessend debattieren und abstimmen.
Weitere Projekte, die sie in Genf auf die Beine stellt: Die «Semaine de la démocratieExterner Link» (Demokratiewoche) oder CinéCivicExterner Link.
Letzteres ist ein Video- und Plakat-Wettbewerb für 10- bis 25-Jährige. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, vorgegeben ist bloss die implizite Message, dass der Beitrag andere Junge zum Wählen und Abstimmen zu motivieren soll. Bereits haben fünf andere Westschweizer Kantone den Wettbewerb übernommen.
Als es Klick gemacht hat
Woher aber rührt dieses grosse Engagement Wyden Guelpas. Gibt es das Schlüsselereignis, das ihr gewissermassen die Augen geöffnet hat?
Ja, der 7. Dezember 1983. Es ist der Tag, als die rechte Mehrheit im Schweizer Parlament verhindert, dass die Sozialdemokratin Lilian Uchtenhagen als erste Frau in die Schweizer Regierung einzieht. An ihrer Stelle wird ihr Parteikollege Otto Stich Bundesrat.
Das «poltische Selbst» der Bürger im Fokus
Wyden Guelpa geht es immer um die «Citoyenneté». Es ist dies die Befähigung der Menschen, sich als mündige, sprich selbstbewusste und informierte Bürger an den demokratischen Prozessen zu beteiligen. Dabei geht es ihr um mehr als Abstimmungen und Wahlen.
Wenn sie jetzt auf neun spannende Jahre zurückschaut als «Genfer Ministerin für praktische politische Bildung», als die man sie bezeichnen könnte – worüber ist sie besonders glücklich? Und was machte ihr am meinsten Mühe?
Jetzt bricht Anja Wyden Guelpa zu neuen beruflichen Herausforderungen auf. Man muss nicht Prophet sein, um zu sagen, dass sie auch in ihrer neuen Tätigkeit Vollgas geben wird.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern nebst internen auch aussenstehende Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit jener von swissinfo.ch decken.
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