Mit staatlicher Medienförderung ins Digitalzeitalter?
Journalistische Leistungen verkommen zum Nischenprodukt: So sieht das Szenario "Verarmung" der Eidgenössischen Medienkommission in einem Zukunftspapier aus. Diesen Worst Case für die Schweiz Medienlandschaft will die Kommission mit einer stärkeren staatlichen Medienförderung verhindern. Profitieren sollen auch Internet-Plattformen.
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Die ausgewogene Berichterstattung mit Pro und Kontra zu einer Volksinitiative, die Recherche zu Ungereimtheiten im Auswahlverfahren für einen neuen Kampfjet der Schweizer Luftwaffe, der Kommentar zum Ausgang einer Abstimmung: Solche Pressegeschichten werden in zehn bis 15 Jahren kaum mehr in einer Schweizer Zeitung zu lesen sein.
Die Verlage haben sich dannzumal, so das pessimistische Szenario der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK), vom Zeitungsgeschäft verabschiedet. Der Grund: Die Einnahmen aus dem Inseratenverkauf und den Abonnementen sind unaufhaltsam weggebrochen, Printmedien lassen sich nicht mehr finanzieren.
Eidgenössische Medienkommission (EMEK)
Ende Oktober haben die Kommission und deren Präsident Ottfried Jarren ihr Perspektivenpapier «Zukunft der Medien- und Kommunikationsordnung Schweiz: Trends, Szenarien, Empfehlungen» vorgestellt. In drei Szenarien zeichnen die Autoren ein Bild, wie die Medienlandschaft Schweiz in zehn bis 15 Jahren aussehen könnte.
Gleichzeitig skizzieren sie, wie eine staatliche Medienförderung im Zeitalter der Digitalisierung aussehen könnte.
Die EMEK wurde 2012 von der Schweizer Regierung eingesetzt. Hintergrund war die Disruption in der Medienlandschaft Schweiz. Die EMEK besteht aus verwaltungsexternen Expertinnen und Spezialisten aus dem Medienbereich. Sie beobachten und analysieren Entwicklungen, geben Empfehlungen ab und beraten die Politik.
Worst Case nicht ausgeschlossen
- Im optimistischen Szenario «Evolution» nutzt der Journalismus die Digitalisierung und behält seine Bedeutung. Zwar spielen die klassischen Verlage keine grosse Rolle mehr, doch bleibt eine Nachfrage nach publizistischen Inhalten bestehen.
- Im realistischen Szenario «Substitution» wird der Journalismus durch alternative Angebote ergänzt und ersetzt. Dies sind Internetplattformen, Blogs, Bürgerjournalismus oder Bots. Journalistische Grundprinzipien sind aufgeweicht, eine unabhängige Meinungsbildung erschwert.
- Im erwähnten Szenario «Verarmung» verliert der Journalismus weitgehend seine politische und gesellschaftliche Bedeutung. An seine Stelle treten Angebote ohne publizistischen Anspruch. Unabhängige Information gibt es nur noch in Nischen, und zu einem hohen Preis.
Das pessimistische Szenario halten die Autoren für «nicht wünschbar für die Funktionsweise der Schweiz». Denn ein vielfältiges Medienangebot sei demokratiepolitisch notwendig und unabdingbar für den Zusammenhalt des Landes. Aber, so heisst es explizit: «Kein Szenario ist auszuschliessen.»
Paradigmenwechsel auch in der Medienförderung
Die Kommission schlägt einen institutionellen Rahmen vor, in dem der Staat eine starke Rolle spielt. Dies könne über eine Regulierungsbehörde oder eine Stiftung geschehen. Ihr Status wäre staatsunabhängig.
Dieses Gremium würde Mindeststandards für die Qualität festlegen. Als Messlatten werden genannt: publizistisch-redaktionelles Leitbild, redaktionelle Ausstattung, Redaktionsstatut, journalistische Infrastrukturen und Einhaltung von Qualitätsstandards.
Wer sie erfüllt, erhält Förderbeiträge. Neu wären zwei Dinge: Die staatliche Förderung flösse auch direkt. Heute ist das dem Staat untersagt. Und Nutzniesser könnten auch digitale Medien sein, also Online-Plattformen und Internet-Start-Ups.
Zertifikat markiert den Unterschied
Die EMEK bringt weitere Neuerungen ins Spiel, so ein Zertifikat. Damit liessen sich journalistische Inhalte, die Mindeststandards punkto Qualität erfüllen, von alternativen Angeboten wie Blogs oder digitalen Marketingstrategien (Content Marketing, Native Advertising, Branded Content etc.) abgrenzen.
Skizziert wird auch eine staatliche Internetplattform, auf der private Anbieter ihre Inhalte publizieren könnten. Genau dieser Vorschlag liegt auch in Schweden auf dem Tisch. Als Teil des neuen Medienförderungsgesetzes, das Anfang 2018 in Kraft treten soll.
Auch sollen Anbieter von Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter künftig als Medien eingestuft werden. Um die globalen Akteure in die gesellschaftliche Verantwortung einzubinden, bedürfe es aber internationaler Abkommen, so die EMEK.
Regierung bereit für mehr Verantwortung
Um den rasanten Strukturwandel durch die Digitalisierung abzufedern, wird der Ruf nach mehr staatlicher Medienförderung lauter. Nicht nur von gewerkschaftlicher Seite wie dem Journalistenverband Impressum.
Auch die Schweizer Regierung selbst kann sich durchaus vorstellen, Online-Medien sowie die Schweizerische Depeschenagentur (sda) künftig direkt zu fördern. Dies liess der Bundesrat im letzten Frühling erkennen, in einer schriftlichen Reaktion auf die Schliessung des Westschweizer Wochenmagazins L’Hébdo und den zahlreichen Entlassungen bei der Zeitung Le Temps.
Demgegenüber ist für den Verband Schweizer Medien jeglicher Ausbau der staatlichen Medienförderung ein No go. Damit würden nur neue Abhängigkeiten geschaffen, so die Branchenorganisation der Verleger kategorisch.
Knapp 1200 Titel profitieren
Die bisherige, indirekte staatliche Presseförderung geschieht über folgende Hebel: ein tieferer Mehrwertsteuersatz von 2,5% statt 8%, verbilligte Zustellungstaxen seitens der Post sowie Werbebeschränkungen für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.
Die indirekte Presseförderung des Bundes beläuft sich auf 50 Mio. Franken pro Jahr. 2017 kommen 30 Mio. Franken insgesamt 142 Schweizer Regional- und Lokalzeitungen zu gut, deren Auflage zwischen 1000 und 40’000 Exemplare beträgt. Die Verbilligung der Posttaxen macht pro Exemplar 25 Rappen aus.
20 Millionen Franken sind für 1046 Zeitungen und Zeitschriften vorgesehen, die Organisationen, Verbände und Stiftungen ihren Mitgliedern schicken. Dafür verrechnet die Post 16 Rappen weniger als üblich.
Die Gebühren 2016
Die Einnahmen betrugen total 1,3 Mrd. Franken. Der Hauptteil, 1,24 Mrd. Franken, ist für die SRG. 67,5 Mio. Franken sind für private Medien. Nutzniesser dieses so genannten Gebührensplittings sind 34 Lokalradios und Regional-TVs. Für die Regional-TVs machen die Gebührenanteile 29-64% des Budgets aus. Für die Lokalradios sind es 23-48% ihrer Budgets.
Sagt das Schweizer Volk Ja zu «No Billag», sind auch die 34 Privatmedien davon betroffen. «Ohne diese Gebühren kann man in der Schweiz kein Regionalfernsehen machen», sagte André Moesch, Präsident von Telesuisse, dem Verband der Schweizer RegionalfernsehenExterner Link.
SRG Thema in der direkten Demokratie
Eine Sonderstellung nimmt die SRG ein. Sie ist ein privater Verein, dem der Staat einen Leistungsauftrag erteilt hat. Die SRG muss in allen vier Sprachregionen der Schweiz qualitativ hochwertige Radio- und Fernseh-Programme anbieten.
Diesen Service Public erachten Regierung und Parlament als wichtig für den Zusammenhalt des Landes und das Funktionieren der Demokratie mit vier Volksabstimmungen jährlich auf nationaler Ebene.
Wirtschaftliche Basis für den Service Public ist die Empfangsgebühr, die sämtliche Haushalte der Schweiz entrichten müssen. Soeben hat der Bundesrat diese von 451 Franken auf 365 Franken pro Jahr gesenkt (ab 2019).
Die jährlichen Gebühren werden von der Billag erhoben, einem Privatunternehmen. Ab 2019 wird neu die Firma Serafe die Empfangsgebühren einziehen.
Kritiker dieses Finanzierungssystems haben die Volksinitiative «No Billag» eingereicht. Mit einem Verfassungsartikel wollen sie dem Bund verbieten, künftig Gebühren in jeglicher Form für publizistische Inhalte zu erheben. Die Abstimmung über die Vorlage findet am 4. März 2018 statt.
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