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«Politische Bildung fällt nicht einfach vom Himmel»

Junge diskutieren an der Soirée Politique in Bern
Wie Politische Bildung als Schulfach etablieren? Über diese Knacknuss haben die Teilehmenden an der Soiree Politique in Bern diskutiert. Valeria Pagani


Durchschnitt beim politischen Wissen, kaum Interesse an Politik, nur rudimentäre schulische Angebote: 1999 erhielt die Demokratie der Schweiz in einer Studie im Fach politische Bildung ganz schlechte Noten. Fortschritte sind zwar da, aber nur vereinzelt. An einer «Soirée Politique»Externer Link in Bern plädierten rund 50 Vertreterinnen und Vertreter aus Jungparteien und Jugendparlamenten für politische Bildung als eigenes Schulfach.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern nebst internen auch aussenstehende Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit jener von swissinfo.ch decken.

Es war ein arger Dämpfer gewesen, den die IEA-Studie der hochgelobten Demokratie Schweiz 1999 versetzt hatte. Seither gab und gibt es zwar Anstrengungen zur Verbesserung der Angebote. Doch von einem Durchbruch ist auch knapp 20 Jahre später wenig zu sehen.

Kein Wunder, war den Teilnehmenden der Veranstaltung des Dachverbands der Schweizer Jugendparlamente (DSJ) die Stossrichtung klar: Bessere politische Bildung an Schweizer Schulen. Und hinsichtlich Quantität und Qualität.

«Politische Bildung ist für alle wichtig, nicht nur für die sozialdemokratische Partei (SP) oder die Jungsozialisten (JUSO)», sagte Oxel Suarez Alvarez, Präsident des Jugendrats Fribourg und JUSO-Vertreter. «Nur schon die Tatsache, dass man jeden Morgen mit dem Zug von Zuhause an die Arbeit oder in die Schule fahren kann, basiert auf einem politischen Entscheid. Politische Entscheide wirken sich auf jeden einzelnen aus. Diese Mechanismen müssen über politische Bildung verständlich gemacht werden», sagte Suarez Alvarez.

Die Mehrheit der Lehrpläne auf allen Schulstufen beinhalten ein explizites zentrales Ziel für die politische Bildung. So auch der neue Lehrplan 21.

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Schweizer Kantone machen bei politischer Bildung Druck

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz verfügt über eine starke direkte Demokratie. Ein eigenes Schulfach «Politik» aber gibt es nicht. Doch jetzt kommt Druck von unten.

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Doch was die konkrete Verankerung politikrelevanter Inhalte im Unterricht betrifft, gibt es grosse Unterschiede – der Föderalismus lässt grüssen. In einzelnen Kantonen kommen Schülerinnen und Schüler in den Genuss eines Schulfachs Politik, dies vor allem in der Westschweiz. In anderen Kantonen, vornehmlich in der Deutschschweiz, wird Staatskunde über den Geschichtsunterricht abgewickelt.

Chamäleon in der Bildungslandschaft

Dabei bestehen systematische Unterschiede gemäss Schultypen (Gymnasien, Fachmittelschulen, Berufsfachschulen mit Berufsmaturität und ohne Berufsmaturität) und Sprachregionen (Deutschschweiz, Westschweiz und Tessin): Politische Bildung ist ein typisches Chamäleon der Schweizer Bildungslandschaft – und dies, obwohl alle Bürgerinnen und Bürger der Schweiz dieselben Voraussetzungen haben sollten, um ihre politischen Rechte wahrzunehmen.

Leroy Bächtold, Vorstandsmitglied der Jungfreisinnigen Schweiz, gab aus seiner Schulzeit folgende Anekdote zum Besten: «Ich musste die Jahrgänge der Bundesräte auswendig lernen. Das war nicht sehr ermutigend für ein weiteres politisches Engagement. Politische Bildung habe ich während meiner Schulzeit als sehr negativ empfunden. Entsprechend besteht noch viel Potential.»

Bewusstsein schärfen

«Awareness» bei den Lehrpersonen schaffen, sprich, mehr Bewusstsein für die Bedeutung dieses Bereichs: Dies ist für Bächtold zentraler Baustein in der Stärkung der politischen Bildung. Aber die inhaltliche Diskussion geht für ihn in die falsche Richtung. Natürlich gebe es die Vorgabe, dass der Inhalt nicht politisch gefärbt sei. 

Bildungs-Flickenteppich

In der föderalistischen Schweiz sind die 26 Kantone für die Bildungspolitik zuständig. Dieser so genannte Kantönligeist führt zu grossen Unterschieden.

Westschweiz: Politische Bildung ist vermehrt eigenes Schulfach (Sekundarstufe I).

Deutschschweiz: Im neuen Lehrplan 21 im Gefäss «Räume, Zeiten und Gesellschaften» enthalten.

Vorreiter: Kantone Tessin und Aargau. Dank Volksinitiativen wird dort politische Bildung fixer Unterrichtsteil. Tessin: mindestens zwei Stunden pro Monat in der Staatskunde (Stufe Gymnasium). Aargau: eine Lektion pro Woche (Oberstufe).

Im Kanton Basel-Stadt ist eine Volksinitiative zur Einführung des Fachs «Politik» der Jungfreisinnigen hängig.

Viel relevanter sei jedoch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die politische Bildung und die Schaffung genügender Gefässe. Was dann aber im Unterricht behandelt werde, sei Sache der Lehrpersonen und Lehrmittelexperten.

Corina Liebi von den Jungen Grünliberalen Bern (JGLP) stimmte mit Bächtold überein, legte den Finger aber auf die Qualität der politischen Bildung. «Im Kanton Bern haben die Lehrpersonen in Bezug auf die politische Bildung einen riesigen Gestaltungsfreiraum. Dies nicht zuletzt, weil Staatslehre im neuen Lehrplan 21 nicht als eigenständiges Fach aufgeführt wird und deren Stellenwert im Unterricht dem Ermessen der Lehrpersonen unterliegt.»

Präzisere Definition

Um den grossen Unterschieden in der Handhabe der Lehrpersonen entgegenzuwirken, hält Liebi eine präzisere Definition der zu vermittelnden Themengebiete im Lehrplan für wünschenswert. Zudem benötige das Fach auch bei der Ausbildung von Lehrpersonen mehr Gewicht.

In der Schweiz erfolgt die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen über die pädagogischen Hochschulen. Und diese gehören in den Kompetenzbereich der Kantone. Es ist also Sache der kantonalen Politik, hier Einfluss auszuüben und der politischen Bildung mehr Gewicht zu verleihen.

Die Langfrist-Perspektive war für die Jung-Politikerinnen und -Politiker klar: politische Bildung muss ein eigenes Schulfach werden. «Sie wird oftmals in andere Fächer hineingezwängt, obwohl sie ihren eigenen Platz verdient hat», sagte Corina Liebi.

Es ist ihnen aber bewusst, dass dies alles andere als ein politischer Selbstläufer wird. Oxel Suarez Alvarez: «Für eine Stärkung der politischen Bildung braucht es politisches Engagement; sie fällt nicht einfach vom Himmel.»

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