Macht Demokratie glücklich?
Je mehr Mitsprache Bürger und Bürgerinnen haben, desto glücklicher sind sie – das sagen zumindest wissenschaftliche Untersuchungen. Sollten also alle Länder direkte Demokratie einführen, wie wir sie in der Schweiz haben? Ein Gespräch mit der Professorin für Vergleichende Politik, Isabelle Stadelmann-Steffen.
swissinfo.ch: Macht direkte Demokratie glücklich?
Isabelle Stadelmann-Steffen: Ich denke, dass die direkte Demokratie viele gute Seiten hat. Aber ich bin eher skeptisch, ob sie darüber bestimmt, wie glücklich jemand auf persönlicher Ebene ist.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.
Wissenschaftlich gesehen sind die Befunde nicht wirklich robust. Wir haben weitere Analysen gemacht, aufbauend auf dieser StudieExterner Link, auf die Sie sich wahrscheinlich beziehen. Dabei haben wir Folgendes festgestellt: Wenn man den Aspekt der Zufriedenheit mit der Demokratie in die Analyse miteinbezieht, verschwindet der positive Effekt der direkten Demokratie auf das Lebensglück.
Das scheint auch mehr Sinn zu machen. Wenn wir direkte Demokratie haben und die Leute das gut finden, wirkt sich das wahrscheinlich auf die Art und Weise aus, wie sie Demokratie wahrnehmen. Aber die Verbindung zum persönlichen Leben ist unwahrscheinlich, wenn wir davon ausgehen, dass Politik für die meisten Leute eher eine Nebenrolle im Leben spielt.
swissinfo.ch: Aber in Bezug auf Politik sind die Leute zufriedener, wenn sie mehr mitbestimmen können?
I.S.: Da gibt es einen leichten Zusammenhang – zumindest in der Schweiz. Man kann die Befunde aus der Schweiz aber nicht verallgemeinern.
Wenn wir in der Schweiz die direkte Demokratie abschaffen würden, wären die Leute unzufrieden, weil ihnen etwas fehlen würde. Aber umgekehrt kann man nicht davon ausgehen, dass die Einführung von direkter Demokratie in einem Land die Leute glücklicher macht.
Sie sehen das auch am Beispiel des Brexit: Man führte eine Abstimmung durch, weil man sich davon positive Effekte erhoffte. Aber wenn man einmalig Abstimmungen durchführt, ohne dass sie in das ganze politische System eingebettet sind, führt das zu Unklarheiten. Man hat sich beispielsweise im Vorfeld nicht überlegt, was passiert, wenn Schottland anders abstimmt als der Rest von Grossbritannien. Und diese Dinge scheinen mir sehr wichtig zu sein. Man kann nicht von einem generellen ‹Glückseffekt› der direkten Demokratie ausgehen.
swissinfo.ch: Was spricht gegen die direkte Demokratie?
I.S. Einer der Nachteile ist die Offenheit gegenüber Populismus. Man sieht häufig, dass in den Abstimmungskämpfen nicht nur über die Sache an sich diskutiert wird. Sondern es wird auch über ganz anderes debattiert und ein Bezug zu einer bestimmten Vorlage gemacht. Das ist sicherlich einer der Nachteile.
swissinfo.ch: Wenn ich als Bürgerin nicht mehr konkret über Themen mitbestimmen, sondern nur noch Personen wählen kann, würde mich das ehrlich gesagt unzufrieden machen. Wie kann ich Politikern und Politikerinnen vertrauen, dass sie meine Meinung auch tatsächlich vertreten?
I.S.: Die Frage ist: Müssen Sie vertrauen? Ein zentrales Element der Demokratie ist, dass Sie die Politiker und Politikerinnen auf irgendeine Art kontrollieren können.
In der Schweiz baut das System tatsächlich auf einem generellen Misstrauen auf: Dass ‹die in Bern› [Regierung und Parlament, A.d.R.] irgendwas machen und wir [die Stimmbürger, A.d.R.] dann über Initiativen und Referenden dafür schauen müssen, dass das Richtige herauskommt.
Aber auch in einer rein repräsentativen Demokratie haben Sie Kontrollmöglichkeiten – und vielleicht sogar die härteren Massnahmen. Die Transparenz und Verantwortlichkeit sind in einem repräsentativen Modell viel klarer.
Wenn Sie in einer repräsentativen Demokratie wie Deutschland eine Regierung wählen, und die macht dann eine Politik, die Sie nicht gut finden, dann können Sie die Regierung direkt bestrafen, indem Sie sie nicht mehr wählen.
In der Schweiz [mit sieben Regierungsmitgliedern von unterschiedlichen Parteien, A.d.R.] ist es manchmal ziemlich schwierig zu wissen, wer überhaupt verantwortlich ist. Das wirkt sich negativ auf die Möglichkeiten aus, zu bestrafen und das Misstrauen auszusprechen.
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