«Schweizer Demokratie in andere Länder tragen»
Die Parlamentswahlen vom 23. Oktober werden von einer OSZE-Mission beobachtet. "Wir kommen im guten Geist, einen konstruktiven Beitrag zu leisten", sagt der amerikanische Delegationsleiter Peter Eicher. Besonderes Interesse weckt ein E-Voting-Pilotversuch.
Bei den Parlamentswahlen vom 23. Oktober können erstmals gewisse Auslandschweizer per Mausklick wählen. Beobachter einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) würden den E-Voting-Pilotversuch gespannt verfolgen, sagt der amerikanischen Delegationsleiter Peter Eicher.
Nebst dem E-Voting nehmen die Demokratie-Spezialisten der OSZE auch die Kampagnenfinanzierung unter die Lupe.
Bei der Mission geht es nicht nur darum, Mängel zu orten und der Schweizer Regierung Verbesserungen vorzuschlagen. Es sei auch eine Gelegenheit, Bewährtes aus der Schweizer Demokratiepraxis in andere Länder zu tragen, sagt der US-Diplomat im Gespräch.
swissinfo.ch: Bei der ersten OSZE-Mission zur Beobachtung der Wahlen in der Schweiz 2007 stand die Information im Vordergrund. Ist das diesmal anders?
Peter Eicher: Das stimmt so nicht ganz. Schon 2007 hatte es sich um eine so genannte Election Assessment Mission gehandelt. Auch wir nehmen eine Beurteilung der Wahlen vor. Dies im Gegensatz zu einer Wahlbeobachtungs-Mission (siehe Extra rechts).
swissinfo.ch: Welche Themen stehen zuoberst auf Ihrem Fragebogen?
P.E.: Zuerst geht es um eine generelle Einschätzung. Wir prüfen die Wahlgesetze, die Wahlbehörden, den Ablauf sowie die Parteien und Kampagnen. Dazu legen wir das Augenmerk auf einzelne Gebiete wie die Rechte der Frauen oder die Finanzierung der Kampagnen.
Was uns diesmal besonders interessiert, ist das E-Voting. Erstmals bieten vier Kantone Schweizern im Ausland die Möglichkeit an, ihre Stimme im Internet abgeben zu können (siehe Extra). E-Voting ist generell noch sehr neu, daher wird es sehr interessant sein zu sehen, wie dieser Pilotversuch verläuft.
swissinfo.ch: Zahlreiche Schweizer im Ausland sind immer noch praktisch von den Wahlen ausgeschlossen, weil es noch kein E-Voting gibt und die Post die Wahlunterlagen zu spät zustellt. Ist das auch ein Thema für Sie?
P.E.: Wir befürworten weltweit das Wahlrecht, alle Menschen sollen das Recht haben, ihre Stimme abgeben zu können. Auch Bürger, die nicht im eigenen Land leben. Einer der Vorteile von E-Voting ist, dass mehr Menschen einfacher wählen und abstimmen können.
Es bedingt aber sehr hohe Anforderungen. Das System muss sicher sein gegen Hackerangriffe, und es braucht ein bestimmtes Mass an Transparenz und Verantwortlichkeit. Jeder Test, der fehlschlägt, würde den Prozess empfindlichen zurückwerfen.
Ich kann aber bereits lobend erwähnen, dass die Schweizer Regierung die Einführung von E-Voting sehr umsichtig betreibt und Risiken vermeidet.
swissinfo.ch: 2007 hatte die damalige Mission fehlende Transparenz bei der Kampagnenfinanzierung bemängelt. Getan hat sich nicht viel. Braucht es mehr internationalen Druck?
P.E.: Wir sind nicht hier, um Druck auf die Schweiz zu machen. Wir beobachten, evaluieren und geben am Schluss Empfehlungen an die Regierung ab, falls uns dies nötig erscheint.
Einer unserer Grundsätze lautet, dass Transparenz bei Wahlen positiv ist, und zwar in jeglicher Hinsicht, denn so können die Menschen besser verstehen, wie das System funktioniert.
Geld kann bei Wahlen ein sehr wichtiger Faktor sein, da sollen die Bürger wissen, wie viel Geld Parteien und Kandidaten für ihre Kampagnen einsetzen und woher es stammt.
In der Schweiz besteht ein Verbot von politischer Werbung an öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern. Das mindert den Einfluss des Geldes etwas.
Fehlt Transparenz, könnten schlimmstenfalls ausländische Organisationen oder Regierungen die Wahlen beeinflussen. Ich nehme an, dass dies den Schweizern nicht so gefallen würde.
swissinfo.ch: In der Schweiz bleibt die Stimmbeteiligung meist unter 50%. Gehen Sie auch der Frage nach, woher diese Stimmfaulheit rührt?
P.E.: Wahlen sind ein Prozess, an dem die Bürger aktiv partizipieren können. Als Beobachter sind wir immer glücklich, wenn alle Menschen ihre Stimme abgeben wollen.
Ist dies nicht der Fall, fragen wir uns, weshalb. Im Bericht von 2007 wurden beispielsweise Informationsveranstaltungen für junge Wähler vorgeschlagen, insbesondere für Erstwählerinnen und –wähler.
swissinfo.ch: Die OSZE-Mission hat im Vorfeld für Kritik aus dem rechten Lager gesorgt. Stimmen fragten, weshalb die Schweiz als traditionelle Demokratie ihre Wahlen überwachen lassen müsse. Was antworten Sie solchen Kritikern?
P.E.: Es tut mir leid zu hören, dass wir kritisiert werden, bevor wir unsere Arbeit überhaupt begonnen haben. Wir sind aber auf Einladung der Regierung der Schweiz hier, die Mitglied der OSZE ist. Alle Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, Wahlen im eigenen Land durch Experten aus anderen OSZE-Staaten beobachten zu lassen. Dies gilt für die neuen Demokratien ebenso wie für die traditionellen wie die Schweiz.
Wir gehen davon aus, dass es die perfekten Wahlen nicht gibt, auch wenn sie gut verlaufen sind. Verbesserungen sind immer möglich.
Wir finden in der Schweiz aber auch sehr viele Punkte, die wir anderen Ländern empfehlen können. Unsere Mission bietet also auch eine Gelegenheit, Gutes und Bewährtes aus der Schweizer Demokratie in andere Länder hinaus zu tragen.
Um zum E-Voting zurück zu kommen: Das ist etwas Neues, deshalb wünschen sich alle den Durchbruch eines starken, funktionierenden Systems. In unserem Team haben wir auch Experten, die auf den Einsatz neuer Technologien bei Wahlen spezialisiert sind. Ich bin sicher, dass ihre Empfehlungen, haben sie denn welche, der Regierung nicht nur der Schweiz, sondern auch anderer Länder helfen werden, das System zu verbessern.
Wir kommen im guten Geist, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Wir haben keine Macht, der Schweiz etwas zu diktieren.
Die Beobachter-Mission der OSZE zu den Schweizer Parlamentswahlen weilt auf Einladung des Bundesrats im Land.
Die so genannte Election Assessment Mission dauert vom 10. bis 28. Oktober.
Eine Election Assessment Mission ist keine OSZE-Mission zur Wahlbeobachtung, sondern kleiner, hat einen engeren Auftrag und dauert weniger lang.
Ihr gehören elf Demokratie-Spezialisten aus den Ländern USA, Deutschland, Grossbritannien, Griechenland, Polen, Russland und Kanada an.
Das Kopenhagener Dokument von 1990 verpflichtet alle OSZE-Staaten, Wahlbeobachter einzuladen und Wahlstandards einzuhalten.
Besonderes Augenmerk legt die Kommission insbesondere auf das Thema E-Voting für Auslandschweizer.
In einem Pilotversuch bieten die Kantone Aargau, Basel-Stadt, Graubünden und St. Gallen ihren Bürgern im Ausland die Teilnahme an einer Wahl im Internet an. Bisher war dies nur bei Abstimmungen möglich.
Dazu sind Treffen mit Behörden, Kandidaten und Medienvertretern geplant. Am Wahltag selbst werden die Experten Abstimmungsbüros besuchen.
Die Bundeskanzlei hat die alle Wahlbehörden angewiesen, den Delegationsmitgliedern alle Türen zu öffnen.
Der US-Diplomat an der Spitze der OSZE-Delegation hat Schweizer Wurzeln. Die Spur zu seinen Vorfahren, die vor 200 Jahren in die USA ausgewandert waren, konnte Eicher nicht zurück verfolgen.
Eicher kennt die Schweiz von einem vierjährigen Aufenthalt in Genf, wo er für die UNO gearbeitet hatte.
Als langjähriger Leiter von OSZE-Wahlbeobachtungs-Missionen war Eicher unter anderem in Grossbritannien, Spanien, Italien, der Türkei und Tadschikistan im Einsatz.
2003 war er in Aserbaidschan bei Auseinandersetzungen nach den Präsidentschafts-Wahlen verletzt worden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch