Schweizer Demokratieförderung im autoritären Tadschikistan – was nützt das?

Während die Regierung des Langzeit-Diktators in Tadschikistan repressiver wird, engagiert sich die Schweiz weiterhin für Menschenrechte und Digitalisierung – ein Drahtseilakt.
Tadschikistan hat diesen Frühling ein neues Parlament gewählt, zum ersten Mal ohne unabhängige, internationale Beobachtung.Externer Link Aber wie zuvor unter zweifelhaften Umständen: Die grösste Oppositionspartei ist schon 10 Jahre lang verboten.
Tadschikistan ist ein zentralasiatisches Land mit um die 10 Millionen Einwohner:innen. Seit 25 Jahren ist die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit dort aktiv.
Fast jede zehnte Person hat in Tadschikistan dank der Schweiz Zugang zu Wasser. Mit Projekten für die Grundversorgung, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene gab es Erfolge.
So habe die Schweiz – gemäss einem Sprecher des Aussenministeriums EDA – «eine Schlüsselrolle» bei der Verabschiedung eines Gesetzes zur Prävention häuslicher Gewalt gespielt und half bei der Schaffung eines «kostenlosen Rechtshilfesystems für gefährdete Bevölkerungsgruppen».
Von 2022 bis 2025 fliessen 20 Millionen Franken aus der Schweiz in Projekte im Bereich «Regierungsführung, Menschenrechte und Dienstleistungen» von Tadschikistan.
Es stellt sich in diesem Bereich – wie bei anderen Diktaturen auch – die Frage, inwiefern Entwicklungszusammenarbeit das bestehende System stabilisiert. Denn: Good Governance ist für Diktaturen nicht weniger wichtig als für Demokratien.
Die «Grundsätze guter Regierungsführung und die wirksame Erbringung öffentlicher Dienstleistungen» seien «die wichtigsten Indikatoren einer demokratischen Gesellschaft», heisst es hingegen auf einem aktuellen Infoblatt zum Schweizer Engagement in Tadschikistan.
Tadschikistan, wo sich der starke Mann Emomalij Rahmon schon seit 1994 an der Macht hält, gilt schon lange als ein autoritär geführter Staat. Freiheiten und Menschenrechte sind weiterhin auf dem Rückzug.
Alleine 2022/2023 wurden über 700 Externer LinkNGOs im Land aufgelöst. Während sogenannten «Anti-Terror-Einsätzen» darf die Regierung legal Internet und Telefonsystem blockieren. Viele Menschenrechtsverteidiger:innen und Journalist:innen sind in Haft.
Zum Beispiel der Anwalt Manuchehr KholiqnazarovExterner Link, dem 2024 in Abwesenheit ein Menschenrechtspreis in Genf verliehen wurde. Und kritische Tadschik:innen im Ausland werden bedroht und ihre Familien unter Druck gesetzt.
Das Regime geht immer rigoroser vor
Zu den Schweizer Projekten gehören solche zur Digitalisierung der Behörden – und sogenannte «Human Rights Grants». Zwei Millionen Franken sollen in Form von Grants lokalen und internationalen NGOs und Medien zu Gute kommen. Doch angefragte Kenner:innen des Landes sind skeptisch, ob es diese noch gibt.

2008 war SWI swissinfo.ch im Land. Bereits da liessen sich lokale Expert:innen bloss anonym zitieren. 2015 wurde der damalige Oppositionsführer in Istanbul erschossenExterner Link, seine Partei verboten.
Der tadschikische Machthaber hiess die ganze Zeit Rahmon – und wird wohl weiter diesen Namen tragen.
Denn momentan bereitet Emomalij Rahmon die Machtübergabe vor. Der Vater wolle seinem Sohn ein «aufgeräumtes Land» überlassen, «ohne Opposition und mit möglichst wenig Widerstand», sagt der Anthropologe Till Mostowlansky. Er ist Forschungsprofessor am Graduate Institute in Genf und zeichnet das Bild einer Kleptokratie, die nun auch Familiendynastie werden soll.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärte sich Tadschikistan 1991 für unabhängig. Darauf brach im Land ein Bürgerkrieg aus, der bis 1997 andauerte. Ab da begab sich Tadschikistan in einen Friedensprozess.
«Im Friedensabkommen war – auch ohne freie Wahlen – eine festgeschriebene Beteiligung der Opposition enthalten.» Nach einigen Jahren der Öffnung in den Nullerjahren sei der Opposition jegliches Gewicht genommen worden, führt Mostowlansky aus.
Heute geht er davon aus, dass Rahmon nie den langfristigen Plan einer Demokratisierung verfolgte. Mit der russischen Besatzung der Krim und Beginn des Kriegs in der Ostukraine 2014, sei es in der Region geopolitisch «einfach wieder salonfähig» geworden, die Opposition auszuschalten.
Die USA habe im Land, aus dem viele Arbeitsemigrant:innen nach Russland gehen, «seit längerem an Einfluss verloren». Die an ihre Familien geschickten Gelder aus Russland sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im armen Land.
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Die andere wirtschaftlich bedeutende Kraft im Land ist China, das gemäss Mostowlansky seine Beziehungen mit Tadschikistan intensivieren will. Das autokratische China war denn auch jenes Land, das 2025 WahlbeobachtendeExterner Link ins Land geschickt hat, um die zweifelhafte Wahl zu legitimieren.
Eine lange UNO-Liste mit Kritik
Mostowlansky war bis 2019 immer wieder in Tadschikistan. Als Anthropologe arbeitete er besonders im ländlichen Raum – vor allem in der Gebirgsegion Gorno-Badakhshan.

In Gorno-Badakhshan kam es 2022 zu Unruhen, bei denen Sicherheitsbehörden 25 ProtestierendeExterner Link getötet haben. Seither schottet die Regierung das Gebiet ab, das mehr als 40% der Fläche Tadschikistans ausmacht.
Der Zugang dorthin ist Mary Lawlor, der UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverteidiger:innen, bei ihrem Besuch verwehrt worden.
Auch ohne Augenschein in Gorno-Badakhshan liest sich Lawlors Länder-Bericht zu Tadschikistan von März 2024Externer Link niederschmetternd. Bereits das Wort «Menschenrechtsverteidiger» trage eine negative Konnotation.
NGOs und Menschenrechtsverteidiger:innen können im Land «generell nicht frei operieren». Viele von ihnen sind Frauen – und deren Ruf wird mit «Fake- und/oder intimen Inhalten angegriffen».
Wer sich für Religionsfreiheit einsetzt, werde von der Regierung oft in die Nähe von «terroristischen» Aktivitäten gerückt. Gleichzeitig sei Engagement für sexuelle Minderheiten «eingeschränkt». Ganze 18 Behörden haben «das Recht Webseiten zu blockieren ohne richterliche Entscheidung oder Aufsicht».
Lawlors Bericht schildert ein Justizsystem, das von Willkür geprägt ist. «Verhandlungstermine werden oft erst 30 Minuten vor der Anhörung kommuniziert», heisst es und viele Anhörungen sind geheim oder finden in Haftanstalten statt. Der Justiz mangle es an Unabhängigkeit. Viele Richter:innen sind «schlecht ausgebildet und unerfahren». Sie erleben Druck von der Regierung; Korruption sei «weitverbreitet».
So drastisch Lawlor die Lage schildert, so klar ist ihre Empfehlung an die internationale Gemeinschaft: Sie solle «formelle und informelle Verbindungen mit Menschenrechtsverteidiger:innen und NGOs im Land» aufbauen. Dabei sollen genügend Mittel «für die regulären Aktivitäten von Menschenrechtsorganisationen» zur Verfügung gestellt werden, statt nur für einzelne Projekte.
«Das Land bekommt wenig internationale Aufmerksamkeit», heisst es in Lawlors Bericht. Darum gibt es auch wenig Aufmerksamkeit – und damit Schutz – für Menschenrechtsverteidiger:innen.
Die «Human Rights Grants» der Schweiz scheinen dem zu entsprechen, was die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Tadschikistan empfiehlt.
Die Gefahren der Digitalisierung
Ihr Engagement in Zentralasien geht auch darauf zurück, dass die Schweiz bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds eine Stimmrechtsgruppe anführt, der Tadschikistan und andere Länder der Region angehören. Auch Polen ist in dieser Gruppe, die «Helvetistan» genannt wird.

Die Soziologin und Journalistin Ludwika Wlodek ist Assistenzprofessorin an der Universität Warschau. Sie bedauert, dass sich Polen, welches in den Nullerjahren mit Tadschikistan Abkommen zur wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kooperation eingegangen ist, sich «heute aus dem Land zurückgezogen hat».
Wlodek war zuletzt vor 10 Jahren selbst in Tadschikistan und erlebte die Situation der Medien als lamentabel. Bis heute ist sie in engem Austausch mit tadschikischen Migrant:innen und Geflüchteten in Polen.
Für die Entwicklungszusammenarbeit in Tadschikistan hat Wlodek klare Empfehlungen: Die Zusammenarbeit mit der Regierung so klein wie möglich halten und auf eine Verzahnung mit lokalen Gemeinschaften setzen.
Sie betont, dass es vielen Tadschik:innen an Grundlegendem mangelt. «Es gibt Regionen in Tadschikistan, wo die Leute nicht einmal Zahnpflegeutensilien haben.» Dies betreffe besonders Regionen, wo überwiegend Frauen leben, weil die Männer emigriert sind, um Geld zu verdienen.
Nach dem digitalisierten Zivilstandsregister und der Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen gefragt, kommt bei Wlodek die Frage auf, ob ein digitalisiertes System der Regierung ermöglicht, die Bevölkerung genauer zu überwachen.
Den Staat transparenter machen
Die Schweiz gibt in Tadschikistan bis 2028 9,2 Millionen Franken für die «Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen» aus. Von 2020 bis 2025 hat sie 4,74 Millionen Franken investiert, um «das tadschikische Justizministerium dabei zu unterstützen», ein digitales Zivilstandsregister zu erstellen.
Dies solle der Bevölkerung, gemäss dem Schweizer Faktenblatt, bezahlbare und qualitative Services ermöglichen, aber auch «qualitative, lebenswichtige statistische Daten für den Staat» liefern.
In der Darstellung der Schweiz und dem UNO-Entwicklungsprogramm UNDP ermögliche das digitale System der Bevölkerung ihre Rechte durchzusetzen.
“Dies wird ihnen helfen ihre Rechte zu schützen und einzufordern im Hinblick auf Schule, Unterhalt, Migration, Gesundheit und sogar das Wählen», heisst es im Schweizer Faktenblatt zum Projekt.

Doch wie kann die Digitalisierung in einem hoch autoritären Land das Individuum gegenüber dem Staat stärken? Auf diese Frage antwortet ein Sprecher des Schweizer Aussenministeriums: «Die Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen kann die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärken und ihre Beteilung verbessern, indem sie die Dienstleistungen effizienter, transparenter und zugänglicher machen.»
Diese «Standardisierung» sei auch ein Beitrag, dass öffentliche Dienstleistungen «weniger anfällig für Korruption» werden.
Bürger:innen hätten leichter direkt Zugang zu ihren Daten, was «die Manipulation von Personendaten» verhindere. Dank der Reform seien neu 98% der Kinder offiziell registriert, was ihnen der Zugang zur Schule und zum Gesundheitssystem ermögliche. Im Hinblick auf Wahlen helfe die Digitalisierung sicherzustellen, «dass alle in den Wahlprozess einbezogen werden».
Ist die Schweizer Entwicklungshilfe gefährlich?
Der Anthropologe Mostowlansky erlebte bei seinen Besuchen im Land die Verwaltung als «extrem papierbasiert». Entsprechend sehe er Potenzial, wie Digitalisierung hier Effizienz schaffen kann. Doch es sei wichtig, dass die Schweiz sicherstellt, dass Technologien nicht zweckentfremdet werden.

Allgemein weist Mostowlansky auf die diplomatische Dimension des Schweizer Engagements hin: «Entwicklungszusammenarbeit war immer schon auch eine Art der Diplomatie, mit der man bilaterale Beziehungen mit einem Land etabliert und aufrechterhält.»
Mostowlansky verweist auf die «konkreten Interessen» als Teil der «Helvetistan»-Stimmrechtsgruppe, die 1992 von der Schweiz initiiert wurde.
Der Sprecher des Schweizer Aussenministeriums teilte generell mit, dass die Schweiz «ihre Besorgnis über die Menschenrechtslage in Tadschikistan in bilateralen Gesprächen, wie auch im multilateralen Rahmen (z.B. Menschenrechtsrat und OSZE) regelmässig» anspreche.
Einen Menschenrechtsdialog führte schon die damalige Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit dem tadschikischen Aussenminister Hamrokhon ZarifiExterner Link bereits 2011 in Bern.
Während Calmy-Rey längst in Pension ist, ist Zarifi Anfang 2025 bei einem nicht-öffentlichen Verratsprozess wegen einem angeblichen Putschversuch zu 27 Jahren HaftExterner Link verurteilt worden.
2011 wie 2025 liegt die Macht in Tadschikistan bei Rahmon. Womöglich gab der Langzeit-MachthaberExterner Link mit dem Verratsprozess Dritten ein Signal, dass sie nicht aufmucken sollen.

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