Schweizer:innen erkennen Fake News vergleichsweise schlecht, laut OECD-Studie
Eine OECD-Studie untersuchte, wie gut Menschen aus 21 Ländern falsche Informationen online erkennen. Die Schweizer:innen schnitten dabei schlecht ab. Expert:innen haben die Studie für uns eingeordnet.
Schweizer:innen scheinen nicht besonders gut darin zu sein, im Internet Wahres von Falschem zu unterscheiden.
Dies hat eine neue OECD-Studie ergeben, die Truth Quest SurveyExterner Link unter Leitung von Audrey Plonk mit 40765 Teilnehmenden. Im Vergleich der 21 Länder landeten die 1531 Teilnehmenden aus der Schweiz auf dem drittletzten Platz. Schlechtere Ergebnisse erreichten bloss Kolumbien und Brasilien.
Auch die USA und Frankreich landeten im hinteren Drittel des Ländervergleichs. Die besten Ergebnisse in der Truth Quest Survey erzielten hingegen die Teilnehmenden aus Finnland, Grossbritannien und Norwegen.
Satire ist am einfachsten zu erkennen
Die OECD-Studie präsentierte den Teilnehmenden falsche und wahre Aussagen aus den Themenbereichen Gesundheit, Umwelt und Internationale Beziehungen. Über alle Länder hinweg konnten die Teilnehmenden die Aussagen in 60% der Fälle korrekt als wahr oder unwahr identifizieren.
Es zeigte sich: Satire ist am einfachsten als unwahr zu erkennen. Dies gelang in 71% der Fälle. Darauf folgten gezielte Desinformation (64%) und Propaganda (58%).
Schwieriger war der umgekehrte Fall: Die wahren Informationen erkannten die Teilnehmenden nur in 56% aller Fälle. Hier haben die US-Amerikaner:innen (63%) am besten abgeschnitten. Die Japaner:innen bilden das Schlusslicht (51%).
Die Schweizer Teilnehmenden taten sich besonders schwer im Umgang mit Desinformation. Diese definiert die Studie als «Inhalte geschaffen und verbreitet mit dem Ziel zu täuschen».
Desinformation erkannten die Schweizer:innen in nur 55% der Fälle als falsch – und teilen sich deshalb mit Frankreich den letzten Platz. Für Teilnehmende aus anderen Ländern war es «generell einfacher», Desinformation als unwahr zu erkennen als andere Formen von falschen Inhalten.
Ebenso war es für die Teilnehmenden aus der Schweiz schwieriger, Inhalte zu erkennen, die auf irreführende Art aus ihrem Zusammenhang gerissen worden sind («Kontextuelle Täuschung») zu erkennen.
Hier landeten die USA und die Schweiz zusammen auf dem letzten Platz. In nur 50% der Fälle haben die US-Amerikaner:innen und Schweizer:innen diese Falschinformationen als unwahr erkannt.
KI-Aussagen sind einfacher zuzuordnen
Einen Teil der zu beurteilenden Aussagen haben Menschen erstellt. Andere wurden mitttels Künstlicher Intelligenz, dem Sprachmodell Chat-GPT4, generiert, aber von Menschen geprüft.
Die KI-Aussagen wurden in 68% der Fälle richtig als wahr oder falsch eingeordnet. Das liegt über der Erfolgsrate bei von Menschen erstellten Aussagen (63%). Entsprechend kommt die Truth Quest Survey zum Schluss, dass KI-generierter Inhalt durchschnittlich einfacher richtig zuzuordnen ist.
Dass falsche Inhalte, die mit Künstlicher Intelligenz generiert sind, leichter enttarnt werden, überrascht kaum. Auffälliger ist, dass von KI generierte wahre Inhalte öfter korrekt als wahr erkannt wurden – als jene wahren Inhalte, die von Menschen erstellt sind.
Schweizer:innen «resistent» gegen Falschinformationen?
Bisher galten die Schweizer:innen als besonders widerständig gegenüber Fake News im Internet.
Dies, weil die unabhängige Meinungsbildung wegen der vielen Volksabstimmungen eine weit zurückreichende Tradition hat. So heisst es im Fachbuch “Digitalisierung der Schweizer Demokratie”, dass die Schweizer:innen “durch Hunderte von beurteilten politischen Vorlagen und erlebten Kampagnen haben die Schweizer Stimmberechtigten in der Summe eine hohe Routine in der Beurteilung von diametralen Informationen» haben würden.
Dies «erhöht die Resistenz gegenüber zweifelhaften Informationen» unabhängig vom Kanal, so das Fachbuch von 2021.
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Der Faktor Vertrauen: Was ist seine Bedeutung für die Schweiz
Die OECD-Studie kommt zum Schluss, dass jene Länder, in deren Bevölkerung besonders viele ihre Nachrichten aus den Sozialen Medien beziehen, insgesamt schlechter abschneiden. Umgekehrt haben jene Länder das beste Ergebnisse erzielt, wo dieser Anteil am niedrigsten ist.
Doch auch hier fällt die Schweiz aus der Reihe. In der Schweiz liegt der AnteilExterner Link jener, die sich über die Sozialen Medien informieren gemäss dem Reuters Digital News Report 2024 bei nur 37%.
In Brasilien und Kolumbien, die auf dem letzten und zweitletzten Platz der Truth Quest Survey landeten, ist er viel höher: 51% in BrasilienExterner Link, gar 61% in KolumbienExterner Link.
Zudem hat die Schweiz auch einen ausgebauten öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ein verhältnismässig intaktes Mediensystem.
Expert:innen: Länderunterscheide nicht überbewerten
Die Kommunikationswissenschaftlerin Edda Humprecht, Professorin in Jena und davor lange an der Universität Zürich tätig, betont auf Anfrage von SWI swissinfo.ch, dass neben dem Medienkonsum auch weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Ein Faktor ist etwa die Kompetenz, Informationen aus bestimmten Themenfeldern richtig einzuordnen. «Beispielsweise wissen wir aus Untersuchungen zur Gesundheitskompetenz, dass diese in der Schweiz nicht besonders stark ausgeprägt ist», erklärt Humprecht.
Insgesamt relativiert Humprecht den Ländervergleich der OECD-Studie. Das Design der Studie nennt sie «insgesamt solide». Die Länderunterschiede seien «aber eher klein und nicht überzubewerten».
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Schüren die Sozialen Medien Populismus und Desinformation in der Schweiz so stark wie in den USA?
Humprecht kritisiert, dass unbekannt ist, welche genauen Beispielaussagen den Teilnehmenden der Truth Quest Survey vorgelegt worden sind.
Dies ist auch für den Kommunikationswissenschaftler Daniel Vogler von der Universität Zürich «ein zentraler Kritikpunkt». Er findet die Studie per se gut gemacht: «Die Studie scheint seriös gemacht zu sein. Sie ist gut in der internationalen Forschungsliteratur eingebettet. Das methodische Vorgehen ist transparent. Der verwendete Gamification-Ansatz ist ziemlich innovativ.»
Doch wie Humprecht betont auch Vogler, dass die «Unterschiede zwischen den Ländern zu gering und die Ungewissheit zu den abgefragten Beispielen zu gross» sei, «als dass ich die Aussagen des Berichts zu Länderunterschieden allzu stark belasten würde». Insgesamt haben die Spitzenreiter aus Finnland nur 8% mehr Aussagen richtig zugeordnet als die Schweizer:innen.
Editiert von David Eugster
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