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Shutdown helvetique – Schweizer Stadt ohne Budget

Die Stadt Olten aus der Luft
Die Stadt Olten. Oberhalb des Flusses Aare ist der Bahnhof, der bekannteste Eisenbahnknotenpunkt der Schweiz. Keystone

Der von Präsident Trump herbeigeführte Shutdown der Verwaltung und dessen Folgen sind das grosse Thema in den USA. Shutdowns, wenn auch in Mini-Form, gibt es auch in der Schweiz: Wenn auf Gemeindeebene das Budget durch ausstehende Volksabstimmungen blockiert ist. Genau das ist momentan in der Stadt Olten der Fall.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern auch aussenstehende Autorinnen und Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit derjenigen von SWI swissinfo.ch decken.

400 Unterschriften hätten gereicht, aber mehr als doppelt so viele Bürger haben unterschrieben: Die Schweizer Kleinstadt Olten am Fusse der Juraketten startet ohne Budget ins Jahr 2019.

Der Grund: Zwei Gruppen haben Unterschriften gegen die vom Stadtparlament beschlossene Steuererhöhung gesammelt. Ein Bruchteil der Stimmberechtigten kann einen Mini-Shutdown herbeiführen.

Bis zu einem halben Jahr ohne Haushalt

Die Folgen dieses Shutdowns auf Gemeindeebene sind zwar absolut harmlos im Vergleich zu einem landesweiten Shutdown in den USA. Dafür aber dauert der Ausgabenstopp auch deutlich länger: Erst Ende März stimmt die Oltner Bevölkerung über das Budget für das laufende Jahr ab. 

Wird dieses angenommen, mussten die Oltner Behörden drei Monate überbrücken. Wird es abgelehnt, steht die 19’000-Einwohner-Gemeinde noch länger ohne Haushalt da.

Sozialhilfe wird trotzdem ausbezahlt

Dann dauert es wohl das gesamte erste Halbjahr 2019, bis ein gültiges Budget zustande kommt, schätzt ein Oltner, der sich im Alltag intensiv mit dem fehlenden Budget befasst: Stadtschreiber Markus Dietler. «Theoretisch dürften wir momentan kein Geld ausgeben – in der Praxis ist es natürlich anders. Die Sozialhilfe beispielsweise wird ausgezahlt und wir alle erhalten unsere Löhne», erklärt Dietler.

Alle Ausgaben, die über eine Gesetzesgrundlage, Verträge oder Leistungsvereinbarungen gebunden sind, tätigt die Stadt weiterhin. Vom Ausgabenstopp betroffen seien hingegen alle Neuausgaben, etwa der freiwillige Schulsport, das Mandat für die Jugendarbeit, die Revision der Ortsplanung und ein Beitrag an eine Freizeitsporthalle.

Das beeinflusst auch die langfristige Planung, wie der Stadtschreiber sagt. «Wir stehen jetzt drei Monate ohne Budget da. Das ist das eine. Aber was für uns in der Verwaltung entscheidend ist: Wir wissen nicht, was dann kommt. Wir können für die Zeit unmittelbar danach schlecht planen, denn es ist unklar, ob die geplanten Ausgaben im Budget bleiben.»

Wiederholung

Dietler erlebt das alles nicht zum ersten Mal. Bereits vor fünf Jahren stand die Stadt ohne Budget da. Damals mussten Museen Vernissagen absagen, Oltens Finanzprobleme machten national Schlagzeilen und der Imageschaden war perfekt. 

Das wiederholt sich diesmal nicht: Die Oltner Museen müssen laut Dietler bis auf weiteres keine Ausstellungen einstampfen.

Wenn es die Vernunft gebiete, darf die Stadtregierung aber auch Ausgaben bewilligen. Die Schülerskilager finden statt, weil die Unterkünfte bereits lange gebucht waren und ohnehin bezahlt werden müssen. 

Auch Reparaturen werden durchgeführt. Aber an eine neue Strassensanierung sei nicht zu denken. Deshalb seien auch private Unternehmen betroffen, denen nun Aufträge von der Stadt fehlen. 

Blick aus dem Bahnhof Olten hinaus
Der Bahnhof Olten, das Wahrzeichen der Stadt am Jurafuss. Keystone

«Das sorgt bei den Budgetgegnern teilweise für rote Köpfe, weil sie das Gefühl haben, der Stadtrat will die Abstimmung mit den nicht bewilligten Ausgaben beeinflussen», sagt Dietler. Er verfolgt auch die Debatten der Oltnerinnen und Oltner auf Social Media wie Facebook. «Man darf diejenigen, die das Referendum ergriffen haben, aber nicht verteufeln.» Denn das sei ihr direktdemokratisches Recht.

Wie Wiederholung Nr. 3 vermeiden?

Dietler setzt sich momentan mit der Frage auseinander, ob es möglich ist, dieses direktdemokratische Recht zu gewährleisten und gleichzeitig zu verhindern, dass es zu weiteren Mini-Shutdowns kommt. Soll das Stadtparlament in Zukunft zwei Monate früher über das Budget diskutieren, so dass die Stimmbürger noch vor Weihnachten darüber abstimmen können? 

Soll man künftig wie im Kanton Aargau über jede Steuererhöhung abstimmen und die Abstimmung fix einplanen? Aber dann müsste man auch abstimmen, wenn das Budget komplett unbestritten ist.

Vermisste Kompromissbereitschaft

Endlich einmal eine Steuererhöhung, die nicht bestritten wird: Das wünscht sich Huguette Meyer. Meyer ist Lehrerin und sitzt für die Sozialdemokraten im Oltner Stadtparlament. «Das Budget wurde im Parlament intensiv diskutiert. Wir als Sozialdemokraten sind auch Kompromisse eingegangen, aber haben dem Budget schliesslich zugestimmt. Genauso wie eine grosse Parlamentsmehrheit.» 

Kompromisse einzugehen sei im Sinne des Gemeinwohls. «Mich stört, dass die Budgetgegner jetzt so tun, als wären sie sich den Konsequenzen nicht bewusst gewesen.»

Die öffentlichkeitswirksamsten Konsequenzen: Die Betreiber der Freizeitsporthalle rufen die Bevölkerung auf Facebook dazu auf, besonders häufig klettern und skaten zu kommen, um die ausbleibenden Gelder aus der Stadtkasse auszugleichen. 

Die Stadt richtete sich in einem Brief an Schulkinder und deren Eltern: «Aktuell sehen wir uns mit schmerzlichen Einbussen, welche auch unsere Kinder und Jugendlichen betreffen, konfrontiert.»

«Kindergartenzeug» mit Konsequenzen

Rolf Sommer, altgedienter Politiker der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und einer der Budgetgegner, nennt das «Kindergartenzeug» und sagt: «Es gäbe viele Möglichkeiten, um in Olten zu sparen. Das ist genau dasselbe wie der gestrichene Neujahrs-Apéro. Wenn die Stadt das nachher hervorhebt! Erst sollte man die hohen Löhne der Beamten streichen.»

Für Simone Scholtz ist das «Kindergartenzeug» ein ernstes Thema: Die Kindergärtnerin ihres jüngeren Sohns dürfe momentan kein Bastelmaterial einkaufen. Ihr älterer Sohn kam erst mit einem Brief nach Hause, der informierte, dass seine Schulklasse mehrmals Schlittschuhlaufen gehe. 

In einem nächsten Brief wurde den Eltern mitgeteilt, dass dieser sportliche Ausgleich gestrichen sei. «Dabei ist der Eintritt sogar gratis – es ging bloss um das Geld für die Busfahrt und die Schlittschuhmiete», sagt Scholtz. 

«Dank eines Privatsponsors kann die Klasse jetzt auf die Eisbahn, aber der Schulsport bleibt gestrichen und die Jugendbibliothek ist froh um jede Bücherspende.» Scholtz engagiert sich als Unabhängige für eine Annahme des Budgets.

Vision von der globalen Stadt im Herzen der Schweiz

Sie ist vor vier Jahren mit ihrem Mann, einem eingebürgerten Kanadier, nach Olten gezogen. Für Scholtz war der Umzug auch eine Rückkehr, die sie nicht bereut: Bereits ihre Jugend hat sie in der Kleinstadt verbracht. 

«Ich habe auf drei Kontinenten gelebt und bin in meinem Leben schon ein Dutzend Mal umgezogen, aber von hier will ich nicht mehr weg. Ich fühle mich in der Stadt sehr wohl.» Es gebe so viele private engagierte Leute, aber: «In der Politik dreht sich alles ums Sparen.»

Sparen ist für Scholtz der komplett falsche Fokus: Sie, die in Olten eine internationale Frauengruppe aufgebaut hat, ist überzeugt, dass Olten eigentlich zur «globalen Kleinstadt» bestimmt ist. «Als bei uns der Gedanke aufkam, nach Olten zu ziehen, informierten wir uns erst über das Freizeitangebot und die Infrastruktur. Das war für uns wichtiger als die Steuern.» 

Olten liegt in der Mitte von Zürich, Basel und Bern – an diesem Verkehrsknotenpunkt werden sich immer mehr Gutverdienende aus dem Ausland niederlassen, glaubt Scholtz. «Aber das passiert nicht, wenn sie hierherkommen und eine marode Stadt vorfinden. Wenn die Bevölkerung das Budget ablehnt, gerät Olten in eine Abwärtsspirale.»

Unterschiedliche demokratische Hürden 

Es bleibt ein demokratisches Dilemma: Rolf Sommer will, dass die Stadt spart, und die Kinder von Simone Scholtz spüren die Folgen des Ausgabestopps, bevor klar ist, was die Mehrheit der Bevölkerung möchte. 

In der Schweiz hat auch eine Minderheit das Recht, eine Volksabstimmung herbeizuführen. Die Hürden dafür sind je nach Gemeinde nicht gleich hoch: Gegen das Budget der Stadt Luzern, die mit 80’000 Einwohnerinnen und Einwohnern viermal so gross ist wie Olten, werden momentan Unterschriften gesammelt. Aber in Luzern reichen 800 Unterschriften für eine solche Volksabstimmung. Also nur doppelt so viel wie in Olten.

Für einen Mini-Shutdown braucht man im Verhältnis also deutlich weniger Luzerner als Oltner.

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