Wahlsiegerin SVP mit doppeltem Glück
Die eindeutige Wahlsiegerin der Nationalratswahlen 2015 in der Schweiz heisst SVP: plus 2,8 Prozentpunkte Wähleranteil, plus 11 Mandate. Ihr Wähleranteil stieg auf den Rekordwert von 29,4 Prozent. Da auch die rechts der Mitte stehende FDP zu den Gewinnerinnen gehört und die Mitte sowie Links-Grün verloren haben, kann man von einem "Rechtsrutsch" sprechen. Zusammen mit zwei kleinen Rechtsparteien verfügt "die Rechte" nun sogar über eine Mehrheit im Nationalrat. Betrachtet man das Wahlergebnis freilich im historischen und im internationalen Vergleich, so stellt man fest, dass kein politischer "Erdrusch" stattgefunden hat.
Die Veränderungen entsprechen den normalen politischen Zyklen. Vor vier Jahren hat «die Rechte» verloren und die kleinen Mitteparteien haben gewonnen, nun ist es umgekehrt. Im internationalen Vergleich bleibt die Volatilität bei den Parteistärken in der Schweiz gering. Und auch nach dieser Wahl und der am 9. Dezember folgenden Wahl der Regierung wird die Schweiz zu den stabilsten politischen Systemen der Welt gehören. Die Börse jedenfalls hat sich am 19. Oktober nicht beeindrucken lassen.
Hauptursache waren die Flüchtlingsströme
Sucht man nach der Hauptursache für dieses Wahlergebnis, so ist diese schnell gefunden. Es war der grössere politische Kontext mit den aktuellen Flüchtlingsströmen in Europa und die Furcht, die Schweiz könnte ebenso zum Zielland werden wie Deutschland. Ohne die Flüchtlingskrise hätte die SVP die Wahl wohl auch gewonnen, aber nicht in diesem Ausmass. Nun findet jede Wahl vor einem grösseren politischen Hintergrund statt, den die Akteure nicht beeinflussen können. Dass aber ein Steilpass für eine Partei, welche dank den Themen «Flüchtlinge, Migration und Ausländer» zur stärksten politischen Kraft der Schweiz geworden ist, gerade auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes erfolgt, ist doch eher selten.
Die Agenda der Leitmedien der Schweiz war im September noch stärker von der Flüchtlingskrise geprägt als vom eigentlichen Wahlkampf. Etwa die Hälfte der Befragten erklärten im Wahlbarometer der SRG von Ende September, das Thema gehöre zu den drängendsten Problemen. Die Flüchtlingskrise hat also sowohl die Medien-, die Publikums- wie auch die politische Agenda geprägt, und sie war die Hauptursache für die gute Mobilisierung von Neu- und Wechselwählern bei der SVP. 40 Prozent der Neu- und Erstwähler erklärten gemäss Nachbefragungen, die SVP gewählt zu haben. Die SVP konnte schon wie bisher bei jungen Männern punkten, aber erstmals auch bei Frauen.
Das zufällige Zusammentreffen einer politischen Grosswetterlage mit den Wahlen hat also die politischen Kräfteverhältnisse in der Schweiz für vier Jahre bestimmt. Eine Wahlbeteiligung von knapp 50 Prozent mag im internationalen Vergleich gering sein; für schweizerische Verhältnisse war sie indessen vor dem Hintergrund des insgesamt eher lauen Wahlkampfes hoch. Im Gegensatz zu den beiden vorausgegangenen Wahlkämpfen gab es nämlich kaum grobe Angriffe auf die politischen Gegner; Dramatik wurde durch Entertainisierung ersetzt.
Proporzglück der SVP
Der Kontext war also der erste Glücksfall für die SVP. Das zweite Glück war das sogenannte «Proporzglück» bei der Verteilung der Restmandate. Vor vier Jahren hatte sie eher Pech, denn eigentlich sollte vom geltenden Mandatszuteilungsverfahren nach Hagenbach-Bischoff vor allem die stärkste Partei profitieren. Sie erzielte 2011 mit 26,6 Prozent Wähleranteil 27 Prozent der Mandate. Diesmal holte sie mit knapp 30 Prozent Wähleranteil fast einen Drittel der Mandate. Die Grünliberale Partei verlor zwar nur 0,8 Prozent, aber 5 ihrer 12 Sitze. Diese Verzerrungen zwischen Wähleranteil und Mandatsanteil gibt es in fast allen Staaten. In der Schweiz ist diese Disproportionalität im internationalen Vergleich eher gering. Bei den Britischen Unterhauswahlen am 7. Mai 2015 kam die UKIP auf 12,6 Prozent der Stimmen, bekam aber nur ein einziges Mandat.
Die Bundesratswahlen vom 9. Dezember
Nun könnte der SVP am 9. Dezember ein drittes Glück zuteilwerden: Ein zweiter Sitz in der Landesregierung, der 2007 verloren ging, ist in Reichweite. Zwar kennt die Bundesverfassung keine «Ansprüche» von Parteien auf Sitze in der Landesregierung. Aber ungeschriebene Konkordanzregeln besagen, dass die parteipolitischen Kräfteverhältnisse in der Regierung abgebildet sein müssen. Von daher ist es klar: Die BDP (Wähleranteil 4,1 %) mit Eveline Widmer-Schlumpf gehört nicht mehr in die Regierung, der SVP steht ein zweiter Sitz zu. Von der Mitte und von Links wird argumentiert, dass SVP und FDP zusammen weder eine Mehrheit in der Bundesversammlung noch bei den Wähleranteilen haben. Also sollten FDP und SVP zusammen auch nicht die Mehrheit im Bundesrat stellen. Ausserdem sollte eine amtierende Bundesrätin, die gute Arbeit leistet, wiedergewählt werden.
Wird der SVP aber ein zweiter Sitz verweigert, könnte sich verstärken, was ohnehin schon droht: Die inhaltliche Politik des Nationalrates wird noch «rechtslastiger» werden, es wird vermehrt zu Blockaden zwischen National- und Ständerat kommen, und die SVP wird versucht sein, Vorlagen des Bundesrates zu kippen. Die Linke wird sich in die Ecke gedrängt fühlen und vermehrt zu den direktdemokratischen Instrumenten der Initiative und des Referendums greifen.
Für das gute Funktionieren des Gesamtsystems wäre es also von Vorteil, wenn der Wahlsieg der SVP sich auch in der Zusammensetzung der Landesregierung niederschlagen würde. Weil die Wahl des Bundesrates aber geheim erfolgt, ist dessen Ausgang immer ungewiss. Die Fraktionen wählen nie geschlossen. Die Bundesratswahlen vom 9. Dezember versprechen also wieder Hochspannung. Kein anderes innenpolitisches Ereignis stösst in der Schweiz auf grösseres öffentliches Interesse.
Die Nutzung der Medien erreicht jeweils Traumquoten wie sonst nur bei Spielen der Schweizer Fussballnationalmannschaft an der WM. Es geht um prominente Köpfe, um den Kampf der Parteien um Sitze, um Macht und Ausgleich, um Pakte und «Verrat», um «Geheimpläne», «Ansprüche», raffinierte Strategien und überraschende Wahlausgänge. Die Gemüter sind erhitzt, und dennoch läuft alles friedlich und ohne Korruption ab. Auch das ist im internationalen Vergleich ausserordentlich.
Wir sehen am Beispiel dieser Parlamentswahlen: Wie im persönlichen Leben gibt es bei Wahlen für die meisten Akteure ein Auf und Ab. Man bekommt immer eine weitere Chance. Nur muss man etwas länger Geduld haben.
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