Wenn Bürgermeister die Welt dirigierten
"Freiheit versus Kontrolle: für eine demokratische Antwort": So lautete der Titel des 4. Weltforums für direkte Demokratie in Strassburg, das kurz nach einer Serie von Terroranschlägen stattfand. Trotz diesem tragischen Kontext lancierten Vertreter von Regierungen, Parlamenten, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft gemeinsam mit dem Europarat eine globale Initiative für ein neues partizipatives Netzwerk von Städten und Regionen.
Als Folge der Terroranschläge in Beirut, Bamako und Paris waren die mittelalterlichen Strassen in Strassburg – der Hauptstadt der Region Elsass und Sitz des Europäischen Parlaments – voll von bewaffneten Soldaten.
An der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland führten die strengen Grenzkontrollen zu Rückstaus und innerhalb des gigantischen Tagungsortes «Palais de l’Europe» wurde alles und alle gescannt sowie mit Kameras überwacht.
Die offiziellen Debatten im Plenum dieses vierten Weltforums für direkte Demokratie in StrassburgExterner Link offenbarten Einblicke in die Hilflosigkeit vieler führender Politiker auf der ganzen Welt gegenüber den Bedrohungen durch ein paar lebensverachtende Radikale.
Von Norwegen lernen, nicht von den USA
An der Eröffnungssitzung stellte Jacob Appelbaum, ein amerikanischer Journalist und Computersicherheits-Forscher, die traditionelle Art und Weise in Frage, auf Kriege zu reagieren. «Ich möchte Sie ermutigen, aus den Fehlern meines Landes zu lernen», sagte er. «Durch den Einsatz von Gewalt in der Terroristenbekämpfung servieren wir ihnen, wo nach sie suchen, nämlich mehr Gewalt.»
Appelbaum erinnerte an die norwegische Reaktion auf das Terrortrauma im Jahr 2011, als Anders Behring Breivik 69 meist junge Menschen umgebracht hatte. «Norwegen hat damals beschlossen, den Weg zu mehr Demokratie zu wählen. Wir sollten nicht dem amerikanischen Beispiel folgen, wir sollten dem norwegischem Beispiel, also dem Weg zu mehr Demokratie statt zu mehr Gewalt, folgen», lautete sein Appell.
Was aber bedeutet «mehr Demokratie» in Zeiten des religiösen Extremismus, von wirtschaftlichen Turbulenzen und Klimawandel? Das Weltforum für Demokratie lieferte eine interessante Antwort: Es bedeutet mehr Macht für die Bürger auf subnationaler Ebene, in lokalen und regionalen Gemeinschaften.
Vertreter von 16 Städten – es sind dies Amsterdam, Arnsberg, Bolton, Bonn, Bukarest, Falun, Ghent, Kattowitz, Lissabon, Montreal, Madrid, Neapoli-Sykies, Niš, Palermo, Paris und Reykjavik – zeigten Wege auf, die es den Bürgern ermöglichen, sich nicht lediglich am Wahltag zu beteiligen, sondern täglich.
«Standpunkt»
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In Katowice erhielten die Bewohner kürzlich die Möglichkeit, im Internet mit den politischen Entscheidungsträgern Kontakt aufzunehmen und so ihren Einfluss geltend zu machen. «Derzeit führen wir einen partizipativen Budgetierungsprozess durch und bieten online-Konsultationen zu sozialen Themen und elektronische Treffen mit unserem Stadtpräsidenten an», sagte Ewa Gajewska von der Stadtverwaltung Katowice. Unterstützt wird das Projekt von einem Support-Team. Auch Reykjavik lässt die Leute mittels Internet an den Entscheidungsprozessen teilhaben.
Ein Brutkasten für die Beteiligung
Der Europarat ist daran, eine neue Toolbox für die Demokratisierung auf lokaler Ebene zu entwickeln, den so genannten “incubator for participation”. Es handelt sich um ein Instrument über Beteiligungs-Methoden, Technologien und Erfahrungen und richtet sich an interessierte Städte.
In einem ersten Schritt hat das Forum in Strassburg Demokratie-Innovatoren aus zahlreichen Ländern eingeladen, ihre besten Ideen und Erfahrungen während eines eintägigen “Hackathons”Externer Link mit lokalen Behördenvertretern auszutauschen.
In seinem kürzlich erschienen Buch “If Mayors Ruled the World» beschreibt der Politikwissenschaftler Benjamin Barber, wie lokale Ansätze zu komplexen und länderübergreifenden Fragen an Terrain gewinnen. Er argumentiert, die Nationen seien durch die drängendsten Probleme wie Klimawandel oder Armut gelähmt. Daher seien die Städte zu den treibenden Kräften einer guten Regierungsführung geworden.
In Strassburg unterstützten mehr als 50 Teilnehmer aus der ganzen Welt die Idee der Schaffung eines globalen Netzwerks von so genannten partizipativen Städten und Regionen. Die Initiative dazu wurde vom Globalen Forum für moderne direkte Demokratie in Tunis im Frühjahr 2015 ergriffen. Ziel ist es, dieses neue Städtnetzwerk im Rahmen des nächsten Globalen ForumsExterner Link vom November 2016 Externer Linkin San SebastianExterner Link (Spanien) zu gründen
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