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Venezolanerin in der Schweiz: “Das Maduro-Regime weiss genau, dass es nicht die Mehrheit hinter sich hat”

Ein Soldat wählt bei den umstrittenen Wahlen in Venezuela
Ein Mitglied der Präsidentengarde gibt am Sonntag in Venezuelas Hauptstadt Caracas seine Stimme ab. Matias Delacroix / Keystone

Am Sonntag fanden umstrittene Wahlen in Venezuela statt. Erika Montañez, Koordinatorin der Opposition in der Schweiz, erklärt im Interview, warum sie sich in diesem Wahlkampf engagiert hat und was sie von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro nun erwartet.

Venezuela ist in vielerlei Hinsicht nicht demokratisch. Trotzdem sind die Präsidentschaftswahlen mit Spannung erwartet worden. Wie würde der autoritär regierende Nicolás Maduro reagieren, wenn die Opposition tatsächlich die Wahlen gewinnen würde? Dass er das Amt einfach aufgibt, galt Beobachtenden Externer Linkals wenig realistisch. Gleichzeitig gab es Hoffnungen, dass eine friedliche Übergabe der Regierungsgeschäfte möglich wäre.

María Corina Machado, die Anführerin des Oppositionsbündnisses, wurde zwar als Kandidatin ausgeschlossen. Edmundo González, ein pensionierter Diplomat, der an ihrer Stelle antrat, führte jedoch die Umfragen der letzten Monate mit grossem Abstand zu Maduro an.

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Doch nach den Wahlen am Sonntag ist Maduro zum Wahlsieger erklärt worden. Das Wahlergebnis wird international angezweifelt. In Venezuela kommt es seither zu Protesten. Im Zuge des Geschehens kamen bereits mindestens zwei Personen ums Leben.Externer Link

Auch einige der rund 1500 Venezolaner:innen in der Schweiz haben für die Opposition Wahlkampf gemacht – und am Sonntag das Wahllokal in der venezolanischen Botschaft in Bern beobachtet.

Im Interview mit SWI swissinfo.ch zieht Erika Montañez, Koordinatorin von Venezuelas Opposition in der Schweiz, Bilanz über ihre Wahllokal-Beobachtung und schildert, warum sie sich in diesem Wahlkampf engagiert hat.

SWI swissinfo.ch: Sie organisierten die Wahlkampagne der venezolanischen Opposition in der Schweiz. Am Wahlsonntag haben Sie sich mit anderen Aktivist:innen beim Wahllokal in der venezolanischen Botschaft in Bern versammelt. Welchen Eindruck haben Sie dort vom Ablauf der Wahl erhalten?

Erika Montañez: Das Engagement zur Mobilisierung der venezolanischen Wählerschaft in der Schweiz hat positive Ergebnisse gezeigt. Das war am Wahltag sichtbar. Das Wahlverteidigungsteam traf um sieben Uhr morgens bei der venezolanischen Botschaft in der Schweiz ein. Da standen bereits drei Personen in der Schlange zur Wahl, obwohl sie wussten, dass das Wählen erst um acht Uhr möglich ist. Die Wählerinnen und Wähler reisten von weither an, zum Beispiel aus Graubünden oder sogar aus Genf. Das zeigt die Begeisterung und Motivation der Menschen zeigt, an diesen Wahlen teilzunehmen.

Darüber hinaus organisierten wir als Wahlverteidigungsteam die Logistik, damit Ältere mit körperlichen Einschränkungen ebenfalls ihr Wahlrecht wahrnahmen.

Die Venezolanerinnen und Venezolaner in der Schweiz sind als Familie zur Wahl gegangen. Es herrschte eine lebhafte Atmosphäre, ganz im Sinne der venezolanischen Kultur. Kurz: Der Wahlvorgang verlief normal und ohne Zwischenfälle.

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SWI: Wieviele Unterstützende von NicolásMaduro sind Ihnen am gestrigen Sonntag begegnet?

EM: Wir haben vor dem Wahllokal eine Umfrage durchgeführt. Interessant fanden wir, dass alle, die uns ihren Wahlentscheid preisgaben, sagten, dass sie für Edmundo González gestimmt hätten, bevor wir überhaupt gefragt haben. Zu keinem Zeitpunkt haben wir von jemandem gehört, der Nicolás Maduro unterstützt hat.

Doch am Montag beim Stimmenzählen, in Anwesenheit des Botschafters und seinen Mitarbeitenden, konnten wir eine minimale Anzahl von Stimmen zugunsten von Maduro feststellen. Edmundo González erhielt mit 85% der Stimmen die Mehrheit, während Maduro auf nur 11% der Stimmen kam. Die offiziellen Ergebnisse in der Schweiz zeigen, dass er nicht die Mehrheit innehat – und der Unterschied ist riesig.

Die Venezolanische Opposition vor der Botschaft.
Das Wahlverteidigungsteam der Oppositionskampagne “Con María Corina” war am Montag zur Auszählung der Stimmen in der Botschaft von Venezuela in Bern. conmariacorina.suiza / Instagram

SWI: Rund acht Millionen Venezolaner:innen leben im Ausland in der Diaspora. Das ist fast ein Drittel der venezolanischen Bevölkerung. Warum haben so viele, wie zum Beispiel Sie selbst, das Land verlassen?

EM: Es gibt viele Gründe. Jede Person hat verschiedene Gründe, die den Impuls gaben, das Land zu verlassen. Für niemanden ist es ein Geheimnis, dass Venezuela in einer Wirtschaftskrise ist, das Gesundheitssystem wird schlechter, die Sicherheit sinkt, ebenso die Lebensqualität.

Wir haben ein Land mit einer undemokratischen Regierung, ohne Rechtsstaat, ohne Politik, die Grundbedingungen schafft um allen Bildung, eine würdige Arbeit und stabile Kaufkraft zu garantieren. Daher ist eine stabile Zukunft für viele nicht planbar und sie sind gezwungen zu gehen, auf der Suche nach besseren Bedingungen.

Das ist die allgemeine Situation. Daneben gibt es natürlich individuelle Gründe wie die politische Verfolgung.

SWI: Die nationale Wahlbehörde hat den bisherigen Präsidenten Nicolas Maduro mit 51% zum Wahlsieger erklärt. Wenn Diktaturen Wahlen durchführen, erhalten ihre Anführer oft 90% der Stimmen und mehr. Ist das knappe Resultat ein Zeichen, dass die Wahl in Venezuela ordnungsgemäss abgelaufen ist?

EM: Vor der eigentlichen Antwort auf diese Frage muss ich klarstellen, dass es in Venezuela keine Gewaltenteilung gibt. Die Gewaltenteilung ist in demokratischen Regierungen ein Grundsatz. Da die Regierung unsere Institutionen komplett kontrolliert, wird der Nationale Wahlrat, der CNE, niemals ein Ergebnis zu Gunsten der Opposition mitteilen. Das beste Beispiel dafür ist die Disqualifizierung von María Corina Machado als Präsidentschaftskandidatin – ohne jeglichen Grund.

Doch das Maduro-Regime muss ein Resultat zeigen, das aus seiner Perspektive “glaubwürdig” wirkt. Denn es weiss genau, dass es nicht die Mehrheit hinter sich hat. Ein höherer Prozentsatz wäre völlig realitätsfremd. Wir alle wissen jedoch, dass der CNE etwas verkündet hat, das nicht der Realität entspricht.

Die Tatsache, dass den drei offiziellen Zeugen der Opposition – Delsa Solórzano, Perkins Rocha und Juan Caldera – der Zugang verweigert wurde, zeigt nicht nur die mangelhafte Transparenz, sondern auch, dass die verkündeten Wahlergebnisse eine Falschdarstellung sind.

SWI: Über hundert Unterstützende der OppositionskampagneExterner Link waren bereits vor der Wahl in Haft. Die eigentliche Kandidatin wurde disqualifiziert. Warum haben Sie sich denn überhaupt in einem Wahlkampf in einem System engagiert, in dem freie Wahlen so eingeschränkt sind? Das letzte Mal hat die Opposition die Wahlen ja boykottiert.

EM: Der Aufbau eines Apparats mit Zeugen, Stellvertretenden, Wahlverteidigungs- und Mobilisierungsteams war entscheidend.

Dieses Mal gibt es eine riesige Organisation, eine Bürgerbewegung des Volkes mit viel Elan und Hoffnung auf einen Ausweg aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise, die sich in den letzten Jahren sehr verschärft hat.

María Corina Machado hat es geschafft, einen ganzen Wahlapparat für die Vorwahlen der Opposition im Jahr 2023 und jetzt für die Präsidentschaftswahlen zu organisieren.  Die Menschen sind überzeugter und die Voraussetzungen für eine Konfrontation mit dem Regime sind gegeben.

Präsidentschaftskandidat Edmundo González (Mitte) und Oppositionsführerin María Corina Machado (rechts in der Mitte) an einem Wahlkampfanlass in Maracaibo am Dienstag, 23. Juli.
Präsidentschaftskandidat Edmundo González (Mitte) und Oppositionsführerin María Corina Machado (rechts in der Mitte) an einem Wahlkampfanlass in Maracaibo am Dienstag, 23. Juli. Matias Delacroix / KeystoneAll Rights Reserved

SWI: Die Oppositionsführerin María Corina Machado und ihr Kandidat Edmundo Gónzalez haben verkündet, dass sie das Resultat nicht anerkennen. US-Aussenminister Antony Blinken hat seine Zweifel am Resultat ausgedrückt. Was ist aus ihrer Sicht das beste Szenario, was das bedrohlichste Szenario, das nun eintreten kann?

EM: María Corina Machado und Edmundo González haben die Absicht deutlich gemacht, dass sie nicht aufgeben, bis eine friedliche Transition erreicht ist. In diesen Sinne: Das beste Szenario wäre Druck auf das Regime von Nicolás Maduro, bis die Stimmen transparent gezählt werden und das echte Wahlergebnis bekannt ist.

Das bedrohlichste Szenario wäre, dass das venezolanische Volk den friedlichen Übergang nicht abwartet und darum Entscheidungen trifft, die wegen der Repression der Regierung Leben gefährdet. Repression, die die Regierung ausüben könnte, um ihre Herrschaft fortzusetzen und an der Macht zu bleiben.

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