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Was die Jungen an der Schweiz verändern möchten

Die traditionelle Jugendsession im Schweizer Parlament. Keystone

Die Jugendparlamente der Schweiz schalteten eine Website auf, um die Anliegen der 14–25-Jährigen zusammenzutragen. Elf Parlamentarierinnen und Parlamentarier wählen nun aus den Hunderten von eingereichten Ideen die besten aus und bringen sie in der politischen Arena vor.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

Mindesteinkommen für alle, Legalisierung von Cannabis, Abbau der Rüstungsindustrie, eine solidarische und umweltfreundliche Wirtschaft oder die Erhöhung der erlaubten Geschwindigkeit für Mofas auf 40 km/h: Das sind nur einige der fast 700 Vorschläge, die in den fünf Wochen vom 20. Februar bis zum 25. März auf der Website engage.chExterner Link gesammelt wurden.

Die Fülle der Anliegen ist beeindruckend – die Anzahl genauso wie die Qualität der Texte. Einige sind fast wie reale parlamentarische Motionen verfasst, inklusive Darlegung der Gründe und Massnahmenvorschläge. Für Ladina Caprez, Leiterin Verbandskommunikation beim Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJExterner Link), ist die rege Teilnahme nicht sonderlich überraschend. «Dass die Vorschläge durchwegs gut waren, hat uns ein wenig erstaunt. Aber abgesehen davon entsprach das Ergebnis unseren Erwartungen basierend auf unserer täglichen Zusammenarbeit mit Jugendlichen. Es gibt viele sehr motivierte junge Menschen, aber sie haben keine Möglichkeiten, sich einzubringen.»

Genau diese Möglichkeiten möchte der DSJ ihnen mit dieser ersten Auflage der Aktion «Verändere die Schweiz» bieten. Zuvor wurde 2015 ein Pilotprojekt auf lokaler Ebene durchgeführt, und natürlich konnten die 69 Jugendparlamente in der Schweiz und in Liechtenstein ebenfalls ihre Vorschläge einbringen. Auf der Website sind zudem 55 ErfolgsgeschichtenExterner Link erfasst: Von den Jugendlichen vorgebrachte Ideen, die ihren parlamentarischen Weg gegangen sind und erfolgreich umgesetzt wurden.

Realismus

Wie viele der 700 neuen Anliegen werden ebenso erfolgreich sein? Zunächst können die Jugendlichen ihre Favoriten mit «Likes» bestimmen. Über alle Kategorien hinweg ist der Rückzug der Schweiz aus der Partnerschaft für den Frieden der NATO am beliebtesten (mit der Begründung, die Organisation sei zu kriegerisch und führe «illegale Kriege»), gefolgt von der Ausweitung der Legaldefinition der Vergewaltigung (um alle Opfer von Misshandlungen besser zu schützen) und der Nutzung des öffentlichen Verkehrs zum halben Preis für Schülerinnen und Schüler, Lehrlinge und Studierende (in einem Land, in dem Zug und Bus besonders teuer sind).

«Die Likes sind jedoch nicht entscheidend», präzisiert Ladina Caprez. Letztendlich liegt die Wahl nämlich bei den elf jüngsten Parlamentarierinnen und ParlamentariernExterner Link der beiden eidgenössischen Räte (28 bis 35 Jahre), die sich bereit erklärten, an dieser Aktion mitzumachen. Sie wählen nun jeweils eine Idee aus, bringen sie vor das Parlament und versuchen, ihre Amtskolleginnen und -kollegen davon zu überzeugen. «Selbstverständlich werden sie ein Anliegen auswählen, das Chancen hat, es durch das Parlament schaffen, und keine utopische Idee», merkt die Sprecherin des DSJ an.

Direktere Demokratie

Die Liste der elf ausgewählten Ideen wird am 12. Juni bekannt gegeben. Ein kurzer Blick auf die 700 Vorschläge zeigt, dass sie in 15 Bereiche eingeteilt sind (von «Gesundheit» bis «Internationale Beziehungen» und von «Freizeit» bis «Medien») und dass 60 Ideen zur Kategorie «Politik» gehören. Von diesen betreffen 24 die Thematik der direkten Demokratie und die damit verbundenen Instrumente.

Die drei Ideen, die gemäss der Anzahl Likes (die aber letztlich nicht entscheidend ist, wie wir bereits gesehen haben) am beliebtesten sind, dürften auch zu den «utopischsten» gehören. Sie betreffen die Einführung des Stimmrechts für Ausländerinnen und Ausländer, das Ersetzen der gewählten Räte durch ein Parlament mit Volksvertretern, die durch das Los bestimmt wurden, und die Abschaffung der Regel der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen über Verfassungsänderungen, welche den Einwohnerinnen und Einwohnern kleiner Kantone ein zu grosses Gewicht gibt.

Darauf folgen mehrere Vorschläge für eine verbesserte Information der Bürger über die zur Abstimmung stehenden Sachverhalte, für strengere Regeln bei der Finanzierung politischer Kampagnen und mehr Transparenz, für die elektronische Stimmabgabe, für die Gesetzesinitiative oder die Schaffung eines in der Verfassung verankerten Gerichts, das über die Konformität von Volksinitiativen und deren Umsetzung entscheiden würde.

Insgesamt sind diese Ideen nicht vollkommen neu, denn die meisten werden bereits von der einen oder anderen im Parlament vertretenen Partei unterstützt. Forderungen, die häufig eher von Jugendlichen gestellt werden: die Senkung des politischen Mündigkeitsalters auf 16 Jahre (fünf Mal von unterschiedlichen Personen gefordert) oder Systeme für eine Stimmengewichtung, welche den jüngsten Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mehr Gewicht gäbe.

Schliesslich sind auch einige unkonventionelle Ideen darunter, etwa bei einer Volksinitiative mehrere Auswahlmöglichkeiten anzubieten, damit die Stimmenden nicht einfach mit ja oder nein antworten können, oder der sonderbare Vorschlag, die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger gemäss deren Ausbildungsniveau unterschiedlich zu gewichten. Als ob die Meinung eines Arbeiters weniger Wert wäre als jene eines Ingenieurs. Ein Vorschlag, der offensichtlich nicht zu den Favoriten gehört…


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