Ruft die Rechte an die Urne, wird die Linke aktiviert
Ein Blick auf jüngere Abstimmungen in der Schweiz offenbart, welche Vorlagen welche Schweizer Parteianhänger und politischen Lager überdurchschnittlich stark mobilisieren.
Aus der Registerdatenforschung wissen wir, dass rund 20% bis 25% der Stimmberechtigten regelmässige Urnengänger sind, die kaum je eine Abstimmung verpassen.
Das entspricht der Stimmbeteiligung vom November 2012 (27.6%), als einzig über das wenig spektakuläre Tierseuchengesetz entschieden wurde. Die Schwankungen, die darüber hinausgehen, sind das Resultat vorlagenspezifischer Mobilisierung.
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Rechte Initiativen, namentlich im Bereich Zuwanderung und Aussenpolitik, sorgen dabei für hohe Beteiligungsquoten bei Links und Rechts. Linke Initiativen elektrisieren das Stimmvolk hingegen in geringerem Ausmass – sie lassen erstaunlicherweise nicht nur die Rechte kalt, sondern auch einen erheblichen Teil der linken Wählerschaft. Die vollständige Studie ist hierExterner Link.
Zunächst ist aber festzuhalten, dass sich die Teilnahmewilligkeit der Parteianhängerschaften unterscheidet: Von den vier Bundesratsparteien beteiligten sich die Sympathisantinnen und Sympathisanten der Sozialdemokratischen Partei (SP) am fleissigsten (Durchschnittswert: 56%).
Am tiefsten ist die Beteiligung bei der Anhängerschaft der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (49%). Diese Differenz von 7 Prozentpunkten zwischen den beiden Polparteien erscheint auf den ersten Blick gering. Bei knappen Abstimmungen kann sie jedoch zwischen Sieg und Niederlage entscheiden.
Gibt es Konstellationen, die auf gewisse Parteianhängerschaften oder ideologische Blöcke eine besonders starke Reizwirkung haben? Sind beispielsweise die Erfolge rechter Initiativen in der jüngeren Vergangenheit damit zu erklären, dass rechte Wählende in Massen zur Urne strömten, während die linken Stimmberechtigten zu Hause bleiben?
Initiativen von rechts – oftmals stammen sie aus dem Lager der SVP – mobilisieren die SVP-Anhängerschaft tatsächlich überdurchschnittlich stark (60%). Indes, eine noch stärkere Reizwirkung üben sie auf die SP-Anhängerschaft aus (64%).
SVP-Initiativen elektrisieren also die eigene Anhängerschaft, gleichzeitig aber auch – und dies gar noch etwas stärker – die SP-Sympathisierenden. Initiativen wie die Durchsetzungs- (78%), Masseneinwanderungs- (67%) oder Ausschaffungsinitiative (73%) rüttelten die SP-Anhängerschaft regelrecht auf.
Die teils kolportierte Behauptung, dass die politische Linke diese Abstimmungen gewissermassen «verschlafen» habe ist also nur zur Hälfte wahr: Die Linke ging sehr wohl zur Urne und dies auch in hoher Zahl. Sie schöpfte ihr Potential zwar nicht vollkommen aus, aber mindestens so gut wie die SVP.
Eher verblüffend ist hingegen der Umstand, dass ausgerechnet Initiativen von links – nicht selten stammen sie aus dem Lager oder dem Dunstkreis der SP – die eigene Anhängerschaft nur mässig zu mobilisieren vermögen.
Zur Methode
Woher stammen die Beteiligungsdaten und wie verlässlich sind sie? Die Beteiligungsdaten stammen aus den VOX- und VOTO-Nachbefragungen. Weil die Beteiligung in politischen Umfragen regelmässig 15-20 Prozentpunkte höher liegt als die effektive, wurden sie gewichtet. Stichprobenwerte sind zudem variabel. Der Standardfehler, der diese Variabilität angibt, ist umso grösser, je kleiner das Subsample ist.
Wurde die Beteiligung pro Vorlage oder pro Urnengang ausgewiesen? Dem Stimmvolk wird nur selten eine einzelne Sachfrage pro Urnengang vorgelegt. Im Regelfall hat es gleichzeitig über mehrere Vorlagen zu befinden. Die Beteiligungsunterschiede zwischen den Vorlagen einer Multipack-Abstimmung sind indessen gering. Denn die Stimmenden äussern sich – sobald sie sich einmal entscheiden haben, teilzunehmen – meistens zu allen vorgelegten Sachfragen. Aus diesem Grund wurde pro Urnengang nur jene Vorlage berücksichtigt, welche die höchste Partizipationsquote aufwies. Von ihr wird vermutet, dass sie die Lokomotivvorlage des betreffenden Urnengangs war. Hinter dieser Analysestrategie steht die Annahme, dass die Beteiligungshöhe hauptsächlich das Resultat des Mobilisierungsgrades einer Vorlage war.
Geht es um die Realisierung linker Programme (1:12, Mindestlohn, Grundeinkommen, Einheitskrankenkasse, etc.) bleibt etwa die Hälfte der SP-Sympathisierenden (46%) der Urne fern. Ein «Angriff von rechts» (rechte Initiativen) hingegen erhöht die Teilnahmedisziplin ruckartig auf die oben gezeigte Teilnahmequote von 64%.
Gibt es Themen, auf welche gewisse politische Gruppen mit besonders hoher Beteiligung reagieren? Migrationspolitische Vorlagen (z.B. «gegen Masseneinwanderung», Ausschaffungsinitiative, Asylinitiative oder Minarettverbot) motivieren die Anhängerschaften der beiden Polparteien SP und SVP besonders stark.
Speziell motiviert sind allen voran Stimmende von rechtsaussen (65%). Sie beteiligen sich im Schnitt zwar nicht stärker als etwa das gemässigt-linke Lager (65%). Aber ihre Beteiligung hinterlässt deshalb sichtbarere Spuren als jene des linken Lagers, weil sie sich ansonsten vergleichsweise schwächer beteiligen (53%).
Die «Abstimmungsschocks» der jüngeren Vergangenheit kamen demnach nicht zustande, weil die Linke oder die Parteien aus dem Mitte-/Rechts-Lager (Freisinn/FDP und Christdemokraten/CVP) der Urne fernblieben, sondern, weil sich eine Gruppe in hoher Zahl beteiligte, die sich an den Urnen ansonsten eher rarmacht: Das Rechtsaussen-Lager.
Ähnlich verhält es sich, wenn über aussenpolitische Fragen entschieden wird. Allerdings sind aussenpolitische Themen nicht nur für SP- und SVP-, sondern auch für FDP- und CVP-Anhängerschaften ein gewichtiger Teilnahmegrund.
Die weiteren Themen, darunter vor allem Sozialpolitik und Umweltpolitik, sind schwächere Beteiligungstreiber als Aussenpolitik und Zuwanderung. Dabei ist vornehmlich die SVP- Anhängerschaft untervertreten. Sie nimmt generell stärker okkasionell teil. Für sie sind ganz klar Aussenpolitik und Migration die Beteiligungstreiber, andere Themen haben deutlich geringeres Mobilisierungspotenzial.
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