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Als die Herren Berns den Vorkämpfer für Demokratie hinrichteten

Stich von der Hinrichtung des Verschwörers Samuel Henzi vor den Toren Berns
Stich von der Hinrichtung des "Verschwörers" Samuel Henzi auf dem Areal des heutigen Inselspitals. Henzi und der Scharfrichter mit dem Schwert sind auf dem erhöhten Richtplatz links der Bildmitte zu erkennen. Burgerbibliothek Bern

Vor 270 Jahren wurde in Bern der Schriftsteller Samuel Henzi geköpft. Er hatte eine Teilung der absolutistischen Macht gefordert und endete als Verschwörer. Sein blutiges Schicksal machte ihn zum vordemokratischen Märtyrer, der dazu beitrug, dass die Abschaffung der Todesstrafe und Einführung der Volksrechte in der Schweiz Hand in Hand gingen.

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Das Schwert des Berner Scharfrichters zerschneidet die Luft mit voller Wucht.

Dreimal trifft es den Hals eines Verurteilten: Es waren dies der Schriftsteller Samuel HenziExterner Link, Stadtleutnant Emanuel Fueter und Kaufmann Samuel Wernier. Die drei wurden am 17. Juli 1749 auf dem Areal des heutigen Inselspitals vor vielen Schaulustigen der Reihe nach geköpft.

Zuvor hatten Stadt und Republik Bern mit den sogenannten Henzi-Verschwörern kurzen Prozess gemacht. Am 25. Juni hatten sich rund 70 unzufriedene Handwerker und Händler versammelt, um den Umbau des Stadtstaates zu fordern.

Am 2. Juli verriet ein angeblich zufällig anwesender Theologiestudent die Gruppe an den Schultheissen; es seien Verschwörer und planten einen Umsturz. Am 4. Juli wurden über 30 der Versammlungsteilnehmer verhaftet. Innert Wochenfrist hatte man Geständnisse – erpresst mittels Folter.

Blutige Absicherung der Herrschaft

Und wiederum eine Woche später standen sie alle mitten in der Stadt Bern vor dem Schultheissen, gleichzeitig oberster Stadtherr und oberster Richter, also eine Art Stadtfürst.

Für die drei Anführer bestimmte er als Strafe den Tod durch das Schwert. Die übrigen Inhaftierten schickte er in die Verbannung. Selbst Sippenhaft liess man walten: Den Familien der Verurteilten wurde das Bürgerrecht für 30 Jahre entzogen.

Aufklärerische Radikalisierung in der Verbannung

Henzi, ursprünglich Drechsler von Beruf, von war in Bern kein Unbekannter. Aus einer Pfarrersfamilie stammend, hatte er deren Verarmung hautnah miterlebt. Das hat ihn politisiert. 1744 war der sprachgewandte Handwerker mit dabei, als sich Stadtbürger gegen die Obrigkeit auflehnten.

Bereits 1710 und 1735 war es zu Aufständen gekommen. Der Grund: Ein innerer Kreis der regimentsfähigen, also im Grossen Rat vertretenen Familien Berns, hielten alle Macht in den Händen. Dies auch dadurch, indem sie die einträglichen Staatsstellen mit den Patriarchen der immer gleichen privilegierten Clans besetzten.

1744 bestrafte man die Aufständischen hart, aber noch ohne Todesurteile. Henzi wurde in die Verbannung geschickt. Er verbrachte die Zeit als Schriftsteller in Neuenburg, damals Teil des Königreichs Preussen und offen für die Ideen der Aufklärer aus Frankreich.

Verhandelt wurden da das Naturrecht, wonach alle Menschen von Geburt aus gleich seien, aber auch die Gewaltenteilung. Gemäss diesem Prinzip soll die Macht der Herrschenden durch separierte Gesetzgebung und ebenfalls Streitschlichtung begrenzt und kontrolliert werden.

Sexueller Missbrauch durch die Stadtherren angeprangert

Nach vier Jahren begnadigte Bern den Verbannten. Zurück in der Stadt, präsentierte der inzwischen radikalisierte Henzi sein Theaterstück als Wilhelm-Tell-Drama «Grisler ou l’ambition punie», zu Deutsch «Grisler oder der bestrafte Ehrgeiz»Externer Link.

Das Stück war auch eine Anklage des sexuellen Missbrauchs an jungen Frauen und Mädchen durch die «gnädigen Herren von Bern». Dafür eignete sich die Erzählung aus dem Mittelalter gut. Denn da vergeht sich Landvogt Gessler an den Töchtern der lokalen Bauern, die ihm untertan waren.

Zensur

Das Theaterstück Henzis wurde sofort verboten. In Bern wurde es bis heute nie aufgeführt. Nur im Radio DRS konnte man es von Bern aus 1991 als Hörspiel mitverfolgen. Typisch ist, dass Henzi in seiner Heimatstadt fast ganz in Vergessenheit geriet.

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Ausserhalb aber war das Schaffen des aufstrebenden Schriftstellers schon zu dessen Lebzeiten bekannt. Gesinnungsfreund Gotthold Lessing schrieb ein Theaterstück über Henzis Tod, welches er später als Fragment veröffentlichte. Überhaupt: Henzis skandalöse Hinrichtung wurde zum Fanal unter den Aufgeklärten in ganz Europa.

Die Todesstrafe fällt mit den Volksrechten

Bern war seit 1415 Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich. So war man in der obersten Liga des Kaiserreichs angekommen. Sichtbarstes Zeichen dafür: Der Schultheiss konnte selber über Leben und Tod entscheiden.

Die meisten Verurteilungen betrafen Kapitalverbrechen. Aber auch politische Gegner wurden so bestraft. Bis am Schluss blieb die Todesstrafe für Frauen, die ihre unehelichen Kinder abgetrieben hatten, selbst wenn diese die Frucht aus einer Vergewaltigung waren.

Abgeschafft wurde die Todesstrafe in Bern mit dem kantonalen Strafgesetzbuch von 1866. Bern ging damit im jungen Bundesstaat voraus. Europäisch gesehen war man hierzulande sowieso ein Pionier.

Mär von der «blutrünstigen» direkten Demokratie

Doch nicht nur das: Gleichzeitig mit dem Ende der Todesstrafe führte man in Bern Volksentscheidungen ein. Gleiches wiederholte sich nur acht Jahre später auf Bundesebene. Die erste ordentliche Verfassungsreform von 1874 brachte der Schweiz das erste Volkrecht: das Gesetzesreferendum, das Vetorecht des Volkes gegen Gesetze des Parlaments. Gleichzeitig wurde die Todesstrafe auf Bundesebene aufgehoben.

Beides straft Behauptungen, wonach repräsentative Demokratie gut, direkte Demokratien dagegen schlecht seien, weil das Volk Blut sehen wolle. Mindestens in der Schweiz war es genau umgekehrt, denn mit der Demokratisierung der Herrschaft kam es auch zu ihrer Zivilisierung.

Befreiungskampf gegen die liberalen Autokraten

Von alleine geschah das allerdings nicht. Notwendig war die «demokratische Bewegung». Sie wandte sich gegen die Allmacht der Liberalen, also der Staatsgründer, verlangte soziale Reformen und die Mitsprache des Volkes. Das richtete sich klar gegen die Gewohnheit von herrschenden Autokraten, Angeklagte ohne Transparenz zu verurteilen, sie aber demonstrativ in der Öffentlichkeit hinzurichten.

Im Falle Henzis ging man besonders gründlich zur Sache. 1834 stellte man in Bern offiziell fest, dass die geheimen Verhörprotokolle verschollen seien.

Erst vor wenige Wochen tauchten sie wieder auf – eine Privatperson bot sie im Internet zum Kauf an. Seit wenigen Tagen sind sie nun wieder im Staatsbesitz, genauer, im Berner StaatsarchivExterner Link. Hier gehts zu Beiträgen des Schweizer Radios SRFExterner Link über die kleine Sensation (in Mundart).

Wie weit war Henzi Demokrat?

War Henzi ein Märtyrer für die Demokratie? Märtyrer sind Menschen, die für ihre Überzeugung Verfolgung durch die Staatsmacht in Kauf nehmen. Das war bei Henzi der Fall.

War er auch Demokrat? Da kann man Zweifel haben. Seine Zeit kannte die Vorstellung der Demokratie noch gar nicht. Vielmehr schwebte ihm mit seinen Kampfverbündeten ein Regime der Zünfte vor, wie es Zürich, Schaffhausen und Basel kannten, Bern aber stets abgelehnt hatte.

Henzi wollte Teile dessen, was man heute Demokratie nennt. Er forderte Gleichheit (der erwachsenen Männer); er war für Offenlegung der Staatsfinanzen; und er betätigte sich als Kritiker gegenüber willkürlichem Gebaren der Herrschenden.

Dass er die Gleichheit aller Erwachsenen und die Befreiung des Individuums von Abhängigkeiten verlangt hätte, ist jedoch unbekannt. Demokratische Wahlen und Abstimmungen unter ihnen forderten Henzi und seine Mitstreiter nicht.

Die sogenannte Henzi-Verschwörung nahm Forderungen der Französischen Revolution vorweg, die 40 Jahre später kommen sollte, wurde aber im Keim erstickt. Dennoch schaffte sie Platz für die Entwicklung demokratischer Prinzipien und die Ausbreitung einer progressiven Praxis im 19. Jahrhundert.

Bern führte die repräsentative Demokratie 1831 ein. Die direkte folgte 1866 – gleichzeitig kam das Ende der Todesstrafe. Ein vordemokratischer Märtyrer war Henzi also allemal!


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