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«Wir müssen hart bleiben – und unsere demokratischen Gesellschaften nutzen»

Möchte die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Feminismus ändern: Wanja Kaufmann aus Stockholm. zvg

Regierungen sollten sich darum bemühen, die junge Generation anzusprechen, die das Internet und soziale Medien nutzen, um in der Demokratie eine aktive Rolle zu spielen, sagt Wanja Kaufmann. Die 19-jährige Studentin ist eine der Stimmen der jungen Fünften Schweiz, die sich im neuen Jugendparlament der Auslandschweizer engagiert. In einer Serie stellen wir 11 leitende Mitglieder vor.

swissinfo.ch: Was wollen Sie als Mitglied des neuen Jugendparlamentes der Fünften Schweiz erreichen – erstens in der Schweiz, zweitens in Ihrem Land?

Wanja Kaufmann: Ich möchte anderen jungen Schweizerinnen und Schweizern helfen, mehr über die Schweiz und das politische und zivile System des Landes zu erfahren. Sie sollten die Möglichkeit haben, mit anderen jungen Schweizerinnen und Schweizern im Ausland in Kontakt zu treten. Ich denke, dass viele Jugendliche, überall auf der Welt, viel zu wenig über ihre demokratischen Rechte wissen. Junge Leute, die Schweizer Bürger oder Bürgerinnen sind, haben dank der Auslandschweizer-Organisation (ASO) bereits die tolle Chance, mehr über Demokratie zu lernen. Als Mitglied des Jugendparlaments will ich sicherstellen, dass alle jungen Schweizer Staatsangehörigen ihr Heimatland kennen lernen und mehr darüber erfahren können. 

Wanja Kaufmann Ich bin 19 Jahre alt und wurde in Göteborg geboren. Zurzeit lebe ich in Stockholm, der schwedischen Hauptstadt. Ich bin erst seit August 2015 hier – seit ich von zu Hause auszog. Zuvor lebte ich in Falun, einer kleineren Stadt im Norden Schwedens (seit 2003). Ich lebe mit meinem Freund zusammen in einer Wohnung. Studium: Sprachen und Politik Freizeitaktivitäten: Musik, Politik, Lesen, Reisen, Handarbeiten Zwischen 1999 und 2003 hatte ich in Luzern gelebt, und ich besuche Freunde und Freundinnen sowie Familie etwa zwei Mal pro Jahr. Ich möchte die Einstellung gegenüber dem Feminismus verändern. Ich denke, es ist wirklich schlimm, dass Frauen noch immer weniger arbeiten, und dass noch immer erwartet wird, dass Frauen zu Hause bleiben. Ich möchte auch bessere Bedingungen für Studierende, weniger versteckten Rassismus und mehr Sozialismus! swissinfo.ch

Als ersten Schritt möchte ich in Schweden, wo ich lebe, eine Untergruppe des Jugendparlaments für junge Schweizerinnen und Schweizer gründen, und diese hoffentlich letztlich ausweiten mit regionalen Gruppen. Diese Gruppen könnten als Diskussionsforen funktionieren, in denen man gemeinsam mehr lernen kann über das Heimatland. Ich hoffe auch, dass diese Gruppen die Möglichkeit erhalten werden, in die Schweiz zu reisen, um mehr über das Land und sein politisches System zu erfahren. Ich freue mich sehr darauf, diese Arbeit an die Hand zu nehmen.

swissinfo.ch: Wie sieht es punkto direkte Demokratie in Ihrem Gastland aus? Gibt es Instrumente, die Ihnen besonders gefallen? Und auch solche, die Sie vermissen?

W.K.: Schweden ist ein wirklich demokratisches Land, aber bis die Demokratie das gleiche Niveau erreicht hat wie in der Schweiz, bleibt noch viel zu tun. Natürlich haben wir demokratische Wahlen, aber es gibt nicht wirklich viele Referendumsabstimmungen – ich glaube, es waren insgesamt etwa fünf seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Heute können wir dank der letzten Verfassungsänderung Volksinitiativen lancieren – aber nur auf lokaler und regionaler Ebene. In der Praxis ist Schweden also kein Land mit einer direkten, sondern einer repräsentativen Demokratie. Ich hoffe wirklich, dass Schweden sich verbessern und vermehrt zu einer direkten Demokratie finden wird.

Was ich wirklich sehr schätze, ist die grosse Rolle, die politische Parteien und Organisationen in Schweden spielen – ich denke wirklich, das ist etwas, das das demokratische gesellschaftliche Klima fördert.

swissinfo.ch: In den meisten Ländern gehen die Jungen weniger wählen und abstimmen als die anderen Altersgruppen. Ist nicht gerade die direkte Demokratie das Mittel für die Jungen, um ihre Bedürfnisse und Vorstellungen politisch einzubringen?

W.K.: Ich denke, in gewissem Sinn ist das so. Andererseits glaube ich, dass heute viele Junge das Gefühl haben, dass sie nicht abstimmen müssen, um ein politisches Ziel zu erreichen. Viele Jugendliche nutzen das Internet als wichtige Plattform, um ihre Ideen auszutauschen und zu entwickeln, und sie erhalten Aufmerksamkeit von Politikern und Medien, auch wenn sie keine gesetzlichen Werkzeuge wie Volksinitiativen oder Abstimmungen nutzen. Ich denke nicht, dass dies unbedingt eine schlechte Sache ist – die Regierungen auf der ganzen Welt müssen einfach diese Art von Engagement anerkennen und anfangen, damit zu arbeiten.

Neue Plattform für junge Auslandschweizer

Das Jugendparlament der Auslandschweizer ist selbst noch blutjung, besteht es doch erst seit wenigen Monaten. Tagungsort der rund 350 Mitglieder, die über alle Kontinente verstreut sind, ist das Internet, findet doch der Austausch über soziale Medien statt.

swissinfo.ch hat 11 junge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die dem Leitungsgremium des neuen Jugendparlamentes angehören, zur direkten Demokratie in ihrem Wohnland und jener in der Schweiz befragt.

swissinfo.ch: Seit den Anschlägen in Paris ist Europa im Banne des IS-Terrors. Ist der Kampf gegen die islamistischen Extremisten, der die Einschränkung individueller Freiheiten bedeutet, eine Gefahr für die Demokratien?

W.K.: Ich denke nicht, dass der IS Demokratien direkt beeinflusst. Ich denke, das grösste Problem ist, wie der Islam von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Ich habe das Gefühl, dass heutzutage, wo der Terrorismus in die westliche Welt eingedrungen ist, viel Leute, aber auch Regierungen, angefangen haben, den Islam als Übel zu betrachten.

Und ich denke, darüber sollten wir uns wirklich Sorgen machen. Wenn weite Teile unserer Gesellschaften als potentielle Terroristen betrachtet werden, und daher nicht auf gleiche Art und Weise die Vorteile demokratischer Rechte nutzen können, haben wir ein demokratisches Problem.

Auch wenn unsere Regierungen sich darauf konzentrieren, terroristische Gruppen zu bombardieren, müssen wir hart bleiben, und unsere demokratischen Gesellschaften nutzen und aufrecht erhalten – denn wir sind diejenigen, die sie gestalten.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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