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Was bringt 2025 für die Demokratie in der Welt?

Handy in der Hand
Szene in West Hollywood, Kalifornien, am 5. November 2024, dem Tag der US-Wahlen. Invision

Desinformation, Anti-System-Kräfte und mehr Onlinehass: Wie sich das «Superwahljahr» 2024 auf die demokratische Diskussion auswirkt, wird sich erst 2025 wirklich zeigen.

Einen Aktionsplan, um die «Demokratie neu zu denken», habe er bereits in seinen ersten Monaten als Generalsekretär des Europarats vorgeschlagen. Dies erklärte der ehemalige Schweizer Bundesrat Alain Berset kürzlich gegenüber Le Matin Dimanche. Die Demokratie schwinde in mehreren Ländern. Polarisierung und eine hasserfüllte politische Debatte seien Teil des Problems. Es hat Gewicht, wenn das der Repräsentant jener internationalen Organisation sagt, die sich der Stärkung von Demokratie und Menschenrechten verschrieben hat.

Nicht nur in Europa stottert die demokratische Entwicklung. Global zeigt sich momentan einmal mehr, dass Rechtsstaatlichkeit und demokratische Rechte nicht wie eine Rolltreppe automatisch nach oben führen. Für die Expertengruppen, die den Stand von Autokratien versus DemokratienExterner Link messen, ist klar: Das globale Demokratieniveau ist auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten.

Was bedeutet das alles für die Demokratie in 2025? SWI swissinfo.ch geht in sechs Punkten um die Welt:

1. Stoppt die Inflation der «Angriffe auf die Demokratie»?

Da die Demokratie unter Druck gerät, ist es nur natürlich, dass der Begriff häufig auftaucht. In den USA warnten 2024 Donald Trumps Opponent:innen, dass seine Wahl das Ende der Demokratie beschleunige. Trump selbst sagte, er habe «eine Kugel für die Demokratie» auf sich genommen, nachdem er im Wahlkampf angeschossen wurde.

Gegen die Beschuldigung, EU-Gelder veruntreut zu haben, verteidigte sich Marine Le Pen, rechtsnationale Politikerin in Frankreich, mit denselben Worten, mit denen sie angeklagt worden ist: Die Beschuldigung sei ein «Angriff auf die DemokratieExterner Link«.

Wenn alle versuchen, «die Demokratie» für sich zu beanspruchen, besteht die Gefahr, dass der Begriff zur Worthülse wird. Wird der Begriff «Demokratie» 2025 eine Verschnaufpause einlegen? Vielleicht nicht, aber er könnte häufiger am Konkreten gemessen werden – jetzt, wo die neuen Regierungen ihre Arbeit aufnehmen. Die Trump-Regierung beispielsweise wird von Journalist:innen und Nichtregierungsorganisationen genau auf Angriffe auf demokratische Institutionen hin beäugt.

Und für Länder wie Syrien, denen es selbst an den grundlegendsten Instrumenten der Partizipation mangelt, könnte «Demokratie» eher konkretes Ziel bestimmter Kräfte als bloss rhetorisches Mittel werden.

2024 endete, entgegen dem globalen Trend, mit dem Sturz des langjährigen Diktators Bashar al-Assad. Ob dies für Syrien Demokratie bedeutet, wird sich zeigen.

2. Hoffnungsanker demokratischer Entwicklung: Kosovo und Gabun

Zwei Wahlen in kleineren Staaten sind als Hoffnungsanker demokratischer Entwicklung 2025 hervorzuheben. Kosovo wählt am 9. Februar 2025. Anders als in der Vergangenheit finden die Wahlen am vorgesehenen Datum statt – und nicht, wegen eines Misstrauensvotums, eines Rücktritts oder einer Parlamentsauflösung.

Albin Kurti, der die Schweiz sehr oft besucht hat, und seine Regierung, deren Resultate zwar auch kritisch betrachtetExterner Link werden, wird dann als erste Administration in der Geschichte des Landes eine komplette Amtszeit überstanden haben. Dies gilt Beobachtenden als Schritt hin zu demokratischer Stabilität.

Möglicherweise einen noch grösseren Schritt macht das zentralafrikanische Land Gabun. Fast während seiner ganzen Geschichte als unabhängiger Staat war es von einer einzigen Familie dominiert. Nach einem Staatsstreich 2023 stimmten die Menschen in Gabun Ende 2024 für eine neue, demokratische Verfassung.

Die Militärs, die das Land noch unter Kontrolle haben, versprechen die Macht nach den Wahlen im August 2025Externer Link abzugeben. Ausser natürlich, falls der Kandidat aus ihren eigenen Reihen gewinnen sollte.

3. Leerere Demokratie-Agenda – aber sie kann sich noch füllen

Betrachtet man die ganze Welt, ist die Agenda der Demokratie 2025 leerer als im Vorjahr. Im «Superwahljahr» 2024 waren Milliarden Menschen zur Urne aufgerufen. Doch auch im kommenden Jahr wählen einige Dutzend Staaten. Darunter sind kleine Länder wie Liechtenstein oder Malawi, aber auch gewichtige wie die Philippinen oder Deutschland. Manche Länder wählen das Parlament, manche die Regierung, manche beides – und in anderen, wie in Belarus, dient der Wahltag nur der Bestätigung eines langjährigen Machthabers. 2025 startet voraussichtlich mit der Konsolidierung des langjährigen Diktators Alexander Lukaschenko, an der Macht seit 1994.

Ein Wahlkalender ist immer vorläufig und unvollständig – weil Regierungen zusammenbrechen und es kurzfristig zu Neuwahlen kommen kann. Gut möglich, dass mit Frankreich ein Land, das bereits 2024 mit wenigen Wochen Vorlaufzeit gewählt hat, auch 2025 wieder wählt.

In Demokratien gilt: Erwarte das Unerwartete. Wer hätte zum Beispiel erwartet, dass ein demokratisch gewählter Präsident das Kriegsrecht ausruft, um die Opposition auszuhebeln. So geschehen in Südkorea. Südkorea wird sich noch mit dem kurzlebigen Experiment des Kriegsrechts vom Dezember auseinandersetzen müssen – und wohl bereits 2025 wieder wählen.

In Bangladesch wird die Übergangsregierung versuchen, nach dem Sturz von Sheikh Hasina im August einen Übergang zu gewährleisten; die Proteste gegen die prorussische Regierung in Georgien werden wahrscheinlich dauerhafte Auswirkungen haben; und in den USA beginnt Donald Trump seine zweite Amtszeit inmitten der Befürchtung einer weiteren Aushöhlung der demokratischen Normen.

4. Ringen um Stabilität und Vertrauen in einer Welt mit Donald Trump

Mit Donald Trumps erneuter Wahl zum US-Präsidenten und Figuren wie Javier Milei in Argentinien hat sich vielerorts der Typus von Politikern (und wenigen Politikerinnen) durchgesetzt, die sich als Anti-System-Figuren präsentieren.

Bereits vor dem nächsten Wahltermin wird sich nach und nach zeigen, wie lange sie bei ihrer jeweiligen Basis populär bleiben – und wohin sich diese Wähler:innen wenden, sollten sie von der Regierungstätigkeit der Anti-System-Politikern enttäuscht werden.

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In den Vielparteien-Demokratien Europas werden populistische Strömungen wohl vor allem die Fragmentierung des politischen Parteienspektrums vorantreiben. Die klassischen Volksparteien können sich in Staaten wie Deutschland wahrscheinlich noch zu Regierungskoalitionen zusammenschliessen. Sie werden aber weniger Wähler:innen repräsentieren als die grossen Koalitionen der Vergangenheit.

Dass sich die Anti-System-Figuren in politische Verantwortung einbinden lassen, wie dies in der Schweiz seit den 1990er-Jahren geschehen ist, wird wohl höchstens in Ausnahmefällen gelingen. Die Schweiz ist unter allen OECD-Ländern jener Staat, der in der Bevölkerung das höchste VertrauenExterner Link geniesst.

Anders als autokratische Staaten sind Demokratien auf das Vertrauen in ihr System angewiesen. Einmal verloren, lässt sich ein Vertrauensverlust nur schwer wiederherstellen. Das Schweizer Mundartwort des Jahres 2024 lautet «Unterschriften-Bschiss».

Wie sehr sich die Enthüllungen zu den womöglich massenhaften Fälschungen bei Unterschriftensammlungen für Volksabstimmungen auf das Vertrauen der Schweizer:innen in ihr System auswirkt, wird sich 2025 zeigen. Da das Versagen allerdings nicht die Abstimmungsergebnisse in Frage stellt, könnte der Effekt auf das Vertrauen kleiner sein als von manchen befürchtet.

5. Sorge um Desinformation und Wahlmanipulation in Europa

Die EU-Kommissarin Kaja Kallas sagte bei PoliticoExterner Link kürzlich: «Die Russen haben wirklich den Code geknackt, wie man Wahlen beeinflussen kann.» 2025 wird in Europa das erste Jahr seit Bestehen der Europäischen Union, in der ausländische Einflussnahme auf das Wahlresultat die Bevölkerung und die politischen Akteure in Sorge versetzen kann.

Wahlen, Volksabstimmungen und Regierungsbildungen werden verstärkt vom Gefühl begleitet, dass eine Wahlmanipulation oder -betrug möglich ist. Gleichzeitig bröckelt mit Manipulationsvorwürfen, wie 2024 in Moldau oder gar Wahlwiederholungen wie Anfang 2025 bei der Präsidentschaftswahlen in Rumänien, das Vertrauen in das Funktionieren der staatlichen Institutionen.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Benjamin von Wyl

Haben Sie das Gefühl, Desinformation wird eine besondere Gefahr für direkte Demokratien?

Ein ETH-Experte erwartet, dass Desinformation besonders gefährlich ist für Staaten mit vielen Abstimmungen wie die Schweiz.

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Die Bedrohung von Desinformation – falsche oder einseitige Information mit Täuschungsabsicht – könnte die politische Debatte um Demokratie 2025 prägen. Ob Desinformation dabei mehr Drohbild oder reale Gefahr sein wird, ist ebenso offen, wie die Frage nach der Bedeutung von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz in dem Feld.

Während die europäischen Behörden den Einfluss von KI und den sozialen Medien verhältnismässig stark regulieren, ist etwas Ähnliches vom neuen US-Präsidenten nicht zu erwarten. Zwar würde in den USA am 19. Januar 2025 ein Tiktok-Verbot in Kraft treten, doch Donald Trump hat im Wahlkampf angekündigt dieses aufzuheben.

6. Wie geht es mit der Demokratieförderung der USA, der EU und der Schweiz weiter?

Die Demokratieförderung – oder Demokratie-«Unterstützung», wie sie oft genannt wird – könnte im Jahr 2025 einen Umbruch erleben. Die USA als weltweit führender Akteur wird mit Donald Trump einen Präsidenten haben, bei dem Demokratie und Menschenrechte nicht zuoberst auf der Agenda stehen. Dies im Gegensatz zur Biden-Regierung, die versucht hatte, eine Gemeinschaft von Demokratien aufzubauen, um autoritären Staaten die Stirn zu bieten.

Wird die EU in diese Lücke preschen? Die neue Europäische Kommission für den Zeitraum 2024-2029Externer Link hat zwei (von 27) Ressorts, die «Demokratie» im Titel tragen. Da Europa jedoch zunehmend sicherheitsbewusster wird, hat es einen Wechsel von «proaktiver Demokratieförderung zu defensiver Autokratieeindämmung» gegeben, schreibt der Carnegie Europe Think-TankExterner Link. Kurz gesagt: Der alte Kontinent könnte mehr darauf fokussiert sein, Einmischungen von aussen abzuwehren, als seine eigenen Demokratien zu reformieren oder Reformen in anderen Ländern zu fördern.

Dies könnte für die Schweiz heikel werden. Die aussenpolitische Strategie 2024-2027 zielt nämlich darauf ab, das Profil der Schweiz im Bereich der Demokratieförderung zu stärken.

Angesichts der begrenzten Grösse und des begrenzten Einflusses der Schweiz lässt sich dies jedoch am besten in Zusammenarbeit mit Partnern erreichen – wie bisher den USA. Ziehen sich die USA tatsächlich in der Demokratieförderung zurück, könnte das Engagement der Schweiz in diesem Bereich weniger Wirkung entfalten als erhofft.

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Editiert von Mark Livingston

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