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Wenn Kosovo wählt, wählen auch 27‘000 Menschen in der Schweiz

Das kosovarische Konsulat in Zürich.
Am 8. Februar 2025 konnten die Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz ihre Stimme abgeben. Zum Beispiel beim Konsulat in Zürich. Vera Leysinger / Swi Swissinfo.ch

Viele Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz haben für die Parlamentswahlen 2025 ihre Stimme abgegeben. Zahlreiche von ihnen für Albin Kurti, der sich der Bedeutung seiner Anhängerschaft in der Diaspora bewusst ist. Eine Reportage.

Botschafter Mentor Latifi blickt in die Kamera.
Mentor Latifi ist Kosovos Botschafter in der Schweiz. Vera Leysinger / Swi Swissinfo.ch

Mentor Latifi winkt ein älteres Paar herein. «Bitte meldet euch hier an», bedeutet er der Frau und ihrem Mann freundlich lächelnd. Er zeigt dabei auf den Tisch hinter ihm, wo seine Mitarbeitenden konzentriert in Namenslisten blättern.

Latifi ist der kosovarische Botschafter in der Schweiz. Und muss an diesem Wahltag, dem 8. Februar 2025, den reibungslosen Ablauf sicherstellen.

Kosovo wählt ein neues Parlament. Und das bewegt auch in der Schweiz Zehntausende an die Urne. Die Schweiz hat eine enge Bindung zum kleinen, jungen Balkanstaat und eine der grössten Diaspora-Gemeinschaften.

Der kosovarische Premierminister Albin Kurti ist oft in der Schweiz und zeigt demonstrative Nähe zu linken Schweizer Politikerinnen und Politikern.

Über ein Viertel der Auslandsstimmen aus der Schweiz

Es ist für den Botschafter Latifi auch deshalb ein aufregender Tag, weil es eine Premiere ist: Ausland-Kosovarinnen und -Kosovaren konnten bereits davor wählen, aber nur brieflich und unter weitaus komplizierten Umständen: Es war eine telefonische Anmeldung nötig und der Postversand des Wahlcouverts nach Kosovo.

Jetzt stehen sie in der Schlange vor der Botschaft in Bern und allen anderen diplomatischen Vertretungen auf der Welt. Doch in der Schweiz ist die Schlange besonders lang: Auf der Botschaft in Bern und in den Konsulaten in Zürich und Genf haben sich insgesamt fast 4000 Personen registriert, um ihren Wahlzettel persönlich abzugeben.

Über ein Viertel der Auslandsstimmen kommen von Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz. Von rund 105‘000 registrierten Wählerinnen und Wählern in der Diaspora entfallen rund 27‘000 auf die Schweiz.

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Fast 45‘000 Menschen aus der kosovarischen Diaspora wählten in Deutschland, 4600 in Frankreich. Die Wahlkommission verzeichnete in diesem Jahr leicht mehr Registrierungen aus der Diaspora als noch vor vier Jahren und vermutet, dass dieser Zuwachs mit der Möglichkeit der Stimmabgabe in einem Wahllokal zusammenhängt.

Der grösste Teil wählte per Brief. Hunderte sind auch aus der Schweiz für die Wahl nach Kosovo gereist.

In der Schlange vor der Botschaft in Bern

Vor der Berner Botschaft, in einem unscheinbaren grauen Häuserblock, weht die kosovarische Fahne: Blauer Grund, sechs weisse Sterne, die einen Bogen bilden über dem Landesumriss in Gold.

An der Glastür des Gebäudes klebt ein Stück Papier: «Zgjedhjet 2025», «Wahlen 2025», steht unter dem kosovarischen Wappen.

Blatt Papier mit kosovarischen Wappen
Mit «Zgjedhjet 2025”, auf Deutsch: Wahlen 2025, wies die kosovarische Botschaft in Bern auf den Wahltag hin. Vera Leysinger / Swi Swissinfo.ch

Ein Pärchen macht vor dem Schild ein Selfie. Auch für sie ist es ein bedeutsamer Tag. «Was für eine Wohltat, unser demokratisches Recht auf diesem Wege wahrnehmen zu können», sagt der Mann breit lächelnd.

Seit dreissig Jahren leben sie in der Schweiz. «Unser Leben spielt sich ja schon lange hier ab, aber dass es vorwärts geht mit Kosovo, das liegt uns trotzdem am Herzen. Besonders im Gesundheits- und Bildungsbereich braucht es dringend Verbesserungen», erklärt er.

Die beiden wählen die Partei Vetëvendosje des amtierenden Premierminister Kurti. Und sind wohl nicht die einzigen.

«Wir warten auf die Schwestern meiner Frau», sagt Bekim Morina und deutet auf die Botschaft. Er ist mit seiner Frau und deren Schwestern angefahren. Die Schwestern leben 130 Kilometer entfernt in Genf. Auch die Morinas sind Kurti-Unterstützende, so wie die meisten der kosovarischen Wählenden in der Schweiz.

Albin Kurti machte Wahlkampf in der Schweiz

Bereits 2021 gaben über 80% der Wähler und Wählerinnen aus der kosovarischen Diaspora weltweit der Vetëvendosje ihre Stimme und verhalfen Kurti so zum Wahlsieg. Kurti ist sich der Bedeutung der Schweiz für seinen politischen Erfolg bewusst.

Ende Januar trat er in Zürich vor 3000 Menschen auf. Es war sein einziger Auslandsauftritt, und er hatte es in sich: Kurtis Anhängerschaft feierte ihn wie einen Rockstar.

Die grossen Oppositionsparteien PDK und LDK sind älter als die Vetëvendosje – und trugen in der jungen Geschichte des Kosovo oft die Regierungsverantwortung. Der Wahlkampf 2025 war hart.

PDK und LDK kritisierten Kurtis Politik in scharfem Ton. Kurti wiederum wurde nicht müde, an die Korruptionsskandale zu erinnern, an denen PDK und LDK in der Vergangenheit beteiligt waren.

Der US-Gesandte und die kosovarischen Wahlen

Unter Kosovo-Albanerinnen und Kosovo-Albanern ist Kurti womöglich auch beliebt, weil er eine kompromisslose StrategieExterner Link im Dialog mit dem verfeindeten Nachbarland Serbien verfolgt. Serbien anerkennt Kosovos Unabhängigkeit nicht an.

Im Kosovo erhält Kurti dafür Beifall, im Westen wird er als unnachgiebig kritisiert. Richard Grenell, der frühere Balkangesandte von US-Präsident Donald Trump, rief während des Wahlkampfes gar zur Abwahl Kurtis auf.

Bei seinem Antritt vor vier Jahren war Kurti für viele Kosovarinnen und Kosovaren ein Hoffnungsträger. Er versprach, korrupte Seilschaften zu stoppen und schnelle Reformen. In Gesundheit, Bildung, Justiz und Infrastruktur.

Im Bezug auf Korruption sind ihm Fortschritte gelungen: Im Vergleich zum Vorjahr ist Kosovo im KorruptionsrankingExterner Link 2024 um zehn Plätze vorgerückt. Sozialpolitisch gelang ihm hingegen zu wenig: Viele Kosovarinnen und Kosovaren leiden noch immer unter der mangelhaften Gesundheitsversorgung und dem schlechten Bildungssystem im Land.

Wählerinnen in Zürich
Kosovarische Wählerinnen und Wähler lesen eine Infotafel vor dem Konsulat in Zürich. Vera Leysinger / Swi Swissinfo.ch

Unter denen, die in Bern ihre Stimme abgeben, ist auch Sabahet MetaExterner Link. Meta ist in der Schweiz inzwischen bekannt als Mit-Organisator des Kino Kosova, dem kosovarischen Filmfestival.

Meta lebt seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz. «Wie weit wir schon gekommen sind!», sagt er. «Ich erinnere mich noch daran, wie meine Eltern damals in den Neunzigern heimlich wählen mussten, als das von Milosevics Serbien errichtete Apartheidsystem herrschte und uns unterdrückte.»

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Der Kosovo und die Schweiz: Eine intensive Beziehung

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Kosovar:innen wurden in den 1990er-Jahren in der Schweiz zum rassistischen Klischee gemacht, heute sprechen einige vom Kosovo als 27. Kanton.

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Damals war die Unabhängigkeit des Kosovo in weiter Ferne und Metas Eltern gaben ihre Stimme für eine Exilregierung, die international um Aufmerksamkeit für die Situation der Kosovo-Albanerinnen und -Albaner gerungen hat.

Seit 2008 ist Kosovo ein unabhängiger Staat. Den ersten Regierungen gelang es aber nicht, eine ganze Amtszeit abzuschliessen.

Friedlicher Wahltag

Die Wahlen 2025 sind die ersten regulär terminierten Wahlen am Ende einer Legislatur.

«Besonders schön war es für mich zu sehen, dass auch viele Junge heute hier waren und zum ersten Mal von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben», sagt Botschafter Latifi an diesem Samstagmittag in Bern und äussert sich soweit zufrieden.

Die Botschaft in Bern
Die kosovarische Botschaft in Bern am 8. Februar 2025, als die Kosovarinnen und Kosovaren in der Diaspora ihre Stimme abgeben konnten. Vera Leysinger / Swi Swissinfo.ch

Das definitive Ergebnis steht auch noch eine Woche nach der Wahl aus. Technische Probleme mit den Servern verzögern den Prozess. Laut der Wahlkommission (CEC), die auf ihren Social Media Plattformen täglich Updates zum Fortschritt der Auszählungen liefert, könne es noch bis zu zwei Wochen dauernExterner Link, bis das Endresultat vorliegt.

Der neue Zählprozess, der dieses Jahr laut neuem Wahlgesetz zum tragen gekommen ist, sei komplex und für die Institutionen eine Premiere, so die Begründung des CEC.Externer Link Die Stimmen der Diaspora sind bisher noch nicht ausgezählt, jetzt schon ist aber bekannt, dass 80% der registrierten Wählerinnen und WählerExterner Link im Ausland auch ihre Stimme eingereicht haben.

Es ist zu erwarten, dass das Schlussergebnis keine grösseren Veränderungen mit sich bringen wird. Für eine Regierungsmehrheit wird Kurti wohl Koalitionspartner brauchen.  

Beobachtende der Europäischen Union attestieren Kosovo einen ErfolgExterner Link: «Der Wahltag verlief friedlich und die Wählenden konnten ihre Stimme unter guten Bedingungen abgeben. Dies sind klare Signale dafür, dass sich die Bevölkerung des Kosovo für die Demokratie einsetzt.»

Die Verzögerungen sorgen allerdings mittlerweile bei der Bevölkerung für Misstrauen und Verärgerung. Das CEC hat indes angekündigtExterner Link, die Komplikationen in einem Bericht aufarbeiten zu wollen und Transparenz zu schaffen. 

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Editiert von Benjamin von Wyl

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