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Wer soll bei der Arbeit bestimmen: Die Chef:innen, die Eigentümerschaft oder die Angestellten?

Bei Mitspracherechten am Arbeitsplatz geht es um mehr als die Frage, welche Teesorten im Pausenraum aufliegen oder wer den Müll rausbringen soll. Fachleute sagen, es gehe um nichts weniger als die Zukunft der Demokratie.

Zu Beginn der Corona-Pandemie klatschten oder sangen die Menschen vielerorts auf der Welt für das Gesundheitspersonal. Auch Angestellte in anderen Branchen leisteten unersetzliche Arbeit: im Verkauf, in der Logistik, in der Kinderbetreuung, in der Lebensmittelproduktion. Sie alle haben die Welt in den Fugen gehalten. 

Dabei sind es oft ausgerechnet die Mitarbeiter:innen in diesen Bereichen, die am Arbeitsplatz wenig zu sagen haben. Häufig werden sie schlecht bezahlt und stehen unter besonderem Druck. Wenigstens die Proteste des Pflegepersonals wurden in der Schweiz gehört. Zum ersten Mal wurde eine Initiative aus Gewerkschaftskreisen angenommen und ein neuer Verfassungsartikel geschaffen, der die Situation in den Pflegeberufen verbessern soll. 

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Applaus und Anerkennung während der Pandemie ist aber für viele nicht genug. Ein generelles Umdenken fordernAkademiker:innen aus der ganzen Welt in einem VorstossExterner Link, der bereits mehrere tausend Unterstützer:innen hat. Aber ist die Krise wirklich der richtige Zeitpunkt dafür? 

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Demo vor Tönnies

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Haben Angestellte schon bald mehr Mitspracherechte?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um nicht nur Applaus, sondern Mitsprache einzufordern, finden Fachleute. Ist die Krise dafür wirklich geeignet?

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«Die Krisen haben uns vor allem gelehrt, dass Menschen nie eine Ressource sind. Sie investieren ihr Leben, ihre Zeit und ihren Schweiss für die Unternehmen, für die sie arbeiten, und deren Kunden», schreibt die Wirtschafts- und Soziologieprofessorin Julie Battilana, eine der Initiatorinnen des Vorstosses, in einem Leitartikel auf der Website ihres Arbeitgebers, der Eliteuniversität Harvard. Ihre Schlussfolgerung: Wer so viel investiert, solle auch mitbestimmen können. Und zwar nicht nur darüber, welche Teesorten im Pausenraum aufliegen und wann wer arbeitet. 

Auch in der Schweiz findet diese Idee Unterstützung; Angestellte sollen auch mitreden können, wenn es um strategische Entscheide gehe, «was sie arbeiten, wie sie arbeiten und was unter welchen Bedingungen produziert wird», findet die Schweizer Philosophieprofessorin Rahel Jaeggi. 

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Für sie ist Demokratie am Arbeitsplatz sogar eine Voraussetzung, damit Demokratie auf staatlicher Ebene funktioniert. Wer am Arbeitsplatz wie ein Untergebener behandelt wird, wird sich damit schwertun, sich als demokratischer Staatsbürger zu verstehen. Zudem müsse Demokratie im Kleinen vorhanden sein, damit sie im Grossen funktioniere. 

Diese Demokratie im Kleinen kann an unterschiedlichen Orten stattfinden: in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule aber eben auch am Arbeitsplatz. 

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Junge Leute in Bibliothek

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Die Kunst des respektvollen Streitens

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Debatte als interaktiver Staatskundeunterricht: Dank des Vereins «La gioventù dibatte» wird in Tessiner Schulen lebhaft diskutiert.

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Das Arbeitsumfeld gilt als ein wichtiges Übungsfeld, in dem Demokratie erlernt werden kann. Verschiedene empirische Studien zeigen: je mehr Mitspracherechte die Angestellten in einer bestimmten Region haben, desto höher ist dort die demokratische Partizipation, beispielsweise die Wahlbeteiligung. 

Es profitiert aber nicht nur die Demokratie im Staat von einer demokratischen Arbeitswelt. Die Arbeitswelt profitiert auch von der Demokratie – vor allem von deren Organisationen. Gerade politische Ämter und Parteien sind mögliche Ausbildungsstätten für künftige Führungskräfte.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Bruno Kaufmann

Wie soll die Schweiz den anderen Demokratien helfen?

Soll die Schweiz ihre anerkannten Kompetenzen im Bereich Demokratie international stärker in die Waagschale werfen?

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Sind die Frauen in der Schweiz also deshalb bis heute in Führungspositionen untervertreten, weil sie lange in der Politik höchstens am Rande mittun konnten? Oder anders gefragt: Gibt es demzufolge einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt, an dem ein Land das Frauenstimmrecht eingeführt hat und dem Anteil an Frauen in Führungspositionen? 

Ja, den gibt es. Für Stéphanie Ginalski, Forscherin an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne, steht fest: Dass bis Anfang der 1970er Jahre nur die Männer das aktive und passive Wahlrecht auf Bundesebene genossen, spielt «eine entscheidende Rolle» für die nach wie vor herrschende Untervertretung von Frauen in Führungspositionen. 

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Die heutige Arbeitswelt birgt allerdings auch Risiken für die Demokratien. So führt etwa die Internationalisierung des Arbeitsmarktes dazu, dass sich die Angestellten stärker auf sich selbst und die eigene Kariere konzentrieren. Das habe dazu geführt, dass man das Gemeinwohl – egal ob innerhalb der Firma oder darüber hinaus – etwas aus den Augen verlieren könne, sagt Joachim Blatter, der an der Universität Luzern unter anderem zu Demokratie lehrt. «Wenn das die Norm und die Sozialisation in der Arbeitswelt ist, hat das Spill-Over-Effekte auf die Gesellschaft und die Demokratie.» 

Zudem präge eine unglaubliche Fluidität die heutige Welt – und damit auch den Arbeitsmarkt, sagt Blatter. «Wenn einem etwas nicht passt, schaut man sich einfach nach etwas Neuem um.» Das sorge zwar für Dynamik, sei aber, wenn es überhandnehme, eine Gefahr für die Demokratie. 

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