Der Börsenkrach erschütterte auch die Schweiz
Dieser Tage sind es genau 75 Jahre, seit der Crash der Wallstreet von 1929 die Weltwirtschaftskrise einleitete. Auch die Schweiz blieb davon nicht verschont.
Die Krise traf das Land durchaus nachhaltig, manifestierte sich aber dennoch mehrheitlich diskret, so der Historiker Bernard Degen.
Es begann an jenem «Schwarzen Donnerstag»: Am Morgen des 24. Oktobers 1929 setzte an der New Yorker Wall Street der Kurssturz ins Bodenlose ein.
Die Einbrüche setzten sich auch an den folgenden Tagen fort und gingen als «Schwarzer Freitag», «Schwarzer Montag» und «Schwarzer Dienstag» in die Weltgeschichte ein: Als grösster Börsenkrach der Weltgeschichte.
Der Crash war das Startsignal für die Weltwirtschaftskrise, die in den folgenden Jahren ganze Staaten und Millionen von Menschen an den Rand des Abgrunds trieb.
In Europa war es Deutschland, das mit seinen über sechs Millionen Arbeitslosen 1932 am härtesten getroffen wurde. Die Krise war dort der Nährboden für die Machtergreifung durch Hitler Anfang 1933.
Später, aber nachhaltiger
Dem Sog von Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise konnte sich auch die Schweiz nicht entziehen. Die Auswirkungen fielen zwar nicht dermassen katastrophal wie in anderen Ländern aus, wirkten aber länger nach als anderswo, wie Bernard Degen, Dozent am Historischen Institut der Universität Bern, gegenüber swissinfo sagte.
«Die Binnenwirtschaft, vor allem das Baugewerbe, lief anfänglich noch sehr gut», begründet er. «In der Schweiz herrschte nach dem Ersten Weltkrieg eine grosse Wohnungsnot, und die Nachfrage nach Wohnraum war noch lange gross.»
Nur kleineres Börsen-Beben
An der Schweizer Börse selber sei es damals nur zu einem kleinen Rückschlag gekommen. «Sie spielte damals noch keine so grosse Rolle, denn die Schweizer Unternehmen finanzierten sich damals vorwiegend selbst oder mittels Bankenkrediten.» Der grosse Einbruch sei erst 1931 erfolgt, so Degen.
Aktienbesitzer in der Schweiz seien damals vorwiegend reichere Personen gewesen, «sicher keine Kleinaktionäre, die ihre gesamten Ersparnisse in Aktien anlegten.»
In den USA dagegen sei Aktienbesitz fast so etwas wie eine «öffentliche Bewegung» gewesen, bei der auch viele Leute mit kleineren Einkommen mitgemacht hätten.
Kein Bankensterben
Von den Schweizer Banken wurden vor allem diejenigen Institute erschüttert, die grössere Anlagen im Ausland hatten. Sie konnten diese Gelder nicht mehr zurückholen, weil beispielsweise Deutschland ein Zahlungsmoratorium verhängte.
«Die Kantonalbanken, deren Gläubiger vorwiegend Schweizer waren, hatten dagegen keine allzu grossen Probleme», so Degen.
Unterschiede gab es auch im Industrie-Sektor. Die export-orientierten Uhren-, Textil- und Metallindustrie sowie der Maschinenbau waren traditionellerweise am meisten betroffen.
«Viele Branchen haben sich allmählich wieder erholt, aber einige verschwanden in dieser Zeit für immer, beispielsweise die Seidenbandweberei, welche in Basel von einiger Bedeutung gewesen war.»
Das versteckte Gesicht der Krise
In nackten Zahlen ausgedrückt, erreichte die Krise in der Schweiz 1936 mit knapp 125’000 Arbeitslosen ihren Höhepunkt. Doch anders als in den USA, wo die Massen der Ausgesperrten und Arbeitslosen den städtischen Alltag prägten, waren in der damaligen Schweiz kaum solche Bilder zu sehen.
«Die Arbeitslosen waren zwar in den Städten präsent, und es gibt Bilder, die Schlangen von Arbeitslosen vor den Arbeitsämtern in Zürich, Basel oder Genf zeigen», erklärt der Historiker. Auch habe es grosse Betriebsschliessungen, beispielsweise bei der BBC in Münchenstein, gegeben.
«Spektakuläre Massen-Ansammlungen von Arbeitslosen gab es aber keine, weil vor allem die kleineren Betriebe der Uhren- oder Textilindustrie betroffen waren, welche auf viele Orte verteilt waren.» Deshalb seien die Massen der Arbeitslosen auch nicht so sichtbar gewesen.
Regieren per Notrecht
Auf dem politischen Parkett stellten Bundesrat und Parlament ein veritables Krisenmanagement auf die Beine. Inhaltlich sei dies bis 1936 vom Ziel des Budgetausgleichs, also dem Sparen, geprägt gewesen, sagt Degen.
In der Wahl der Mittel war das Parlament nicht gerade zimperlich: «Es war in dieser Zeit sehr typisch, dass das Parlament massivst zum Mittel der dringlichen Bundesbeschlüsse griff, weil damit das Referendum ausgeschlossen werden konnte.»
Diese Praxis wies das Volk 1949 mit dem Ja zur Volksinitiative «Rückkehr zur direkten Demokratie» wieder in die Schranken.
Entzauberter Mythos
In die Krisenzeit fällt mit dem 1937 geschlossenen Arbeitsfrieden ein Ereignis, das vor allem in den 60er- und 70er-Jahren geradezu als Grundstein für Wachstum und Wohlstand in der Schweiz verklärt wurde.
Degen misst dem Arbeitsfrieden eine eher geringere Bedeutung zu, weil er nicht in der Grossindustrie, sondern im Gewerbe entstanden sei. «Arbeiter und Kleingewerbler wollten, beispielsweise im Bausektor, Staatsaufträge, und dafür standen die Chancen am besten, wenn sie sich zusammenschlossen.»
Den eigentlichen Arbeitsfrieden in der Industrie datiert er auf die ersten Gesamtarbeitsverträge, also in die Zeit nach der grossen Streikwelle 1945 bis 1948. Die Basler Chemie sei als erste grosse Export-Industrie vorangegangen.
Crash heute
Der Börsenkrach 1929 war der Auftakt einer Reihe grosser Kursstürze, die bis heute in unregelmässiger Folge über die Anleger hereinbrechen.
«Beim Platzen der New-Economy-Blase Ende 2000 waren in der Schweiz im Gegensatz zu 1929 auch Kleinanleger betroffen», so Degen.
Heute sei jedoch die finanzielle Basis der Anleger grösser. «Das Elend der Betroffenen in den USA war 1929 viel grösser als bei den nachmaligen Crashes.»
swissinfo, Renat Künzi
Die US-Börsenkurse fielen von Oktober 1929 bis Sommer 1932 um fast 90%.
Der Dow Jones Index der Wall Street fiel von September 1929 von 381 Punkten auf 41,22 Punkte im Sommer 1932.
Die US-Arbeitslosenrate betrug in jenem Sommer über 25%.
Erst 25 Jahre später übertraf der Dow Jones erstmals wieder die Marke von 381 Punkten.
Auch der Börsencrash von 1987 und die Russland-Krise brachen jeweils im Oktober aus.
Der New Yorker Börsenkrach von Ende Oktober 1929 war der Auftakt zur Weltwirtschaftskrise, auch grosse Depression genannt.
Nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Ländern gab es Millionen von Arbeitslosen. (Deutschland: 6 Mio.)
Die Spitze in der Schweiz betrug 1936 knapp 125’000 Arbeitslose.
Hier hielt die Krise bis Ende des Zweiten Weltkrieges aus (Ausnahme Rüstungsindustrie)
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