Der Schweizer Krimi boomt
Erstmals ist eine umfassende Anthologie der Schweizer Kriminal-Literatur der letzten 200 Jahre erschienen.
Paul Ott stellt in einem spannenden Nachschlagewerk unzählige, darunter viele vergessene, deutsch- und französischsprachige Krimi-Autoren vor.
Alles rund um den Krimi ist für Paul Ott eine Passion: Viele Jahre schon forscht der Germanist und Lehrer, der seit dem zarten Alter von 13 wohl Hunderte, wenn nicht Tausende Krimis gelesen hat und unter dem Pseudonym Paul Lascaux selber kriminelle Geschichten schreibt, auf diesem Gebiet und ist noch lange nicht müde.
In seinem neusten Buch «Mord im Alpenglühen» stellt er auf packende Weise die Geschichte der Schweizer Kriminalliteratur vor – von den frühen Verbrechens-Berichten und Gerichts-Reportagen um 1800 bis hin zum fiktiven Kriminalroman in seiner ganzen Vielfalt.
Der Schweizer Krimi lebt
Paul Ott hat über 250 deutschsprachige und gegen 100 französischsprachige Autoren und Autorinnen ausfindig gemacht. Es gibt also nicht nur Friedrich Glauser und Friedrich Dürrenmatt in der Schweizer Krimi-Szene, auch wenn diese zwei als Pioniere des deutschsprachigen Kriminalromans gelten.
«Der Schweizer Kriminalroman ist stilbildend für den deutschsprachigen Krimi überhaupt.» Laut Ott gibt es den fiktiven Schweizer Krimi seit den 1920er-Jahren. In den 30- und 40er-Jahren gab es mit Glauser den ersten Boom.
Erstaunt war der Krimiforscher über die Vielfalt in der Westschweiz in den 30er- und 40er-Jahren. «Die Produktion in Frankreich lag während des Krieges darnieder.» Erstaunlich viele Westschweizer Verlage hätten sich für Krimis stark gemacht.
«Ich hatte allerdings das Problem, dass ich nicht bei allen Autoren herausgefunden habe, wer sie sind, weil Ausländer häufig unter Pseudonym schreiben mussten.»
In den 60er- und 70er- Jahren sei die hiesige Produktion dann etwas zurückgegangen, wohl wegen der Figur Dürrenmatt, «der vielleicht etwas Angst machte, weil seine Krimis dermassen erfolgreich waren».
Der Aufbruch der 80er-Jahre
Einen eigentlichen Exploit erlebt der Schweizer Kriminalroman seit Anfang der 80er-Jahre. «Der Boom hält nicht nur ungebrochen an, sondern hat sich zu einem eigentlichen Flächenbrand ausgeweitet», heisst es in der Anthologie.
Es tauchen bekannte Autoren auf wie Alexander Heimann, Peter Zeindler, Sam Jaun, Verena Wyss, Milena Moser und viele andere. «Heute ist die Krimi-Szene beinahe unüberblickbar», so Ott gegenüber swissinfo.
Einen typischen Schweizer Krimi gibt es laut Ott nicht wirklich. Bezeichnend sei der Blick auf das Regionale, das Atmosphärische, und auf die kleinen Leute.
Der so genannte Regionalkrimi scheint sehr beliebt zu sein, wohl wegen des Wiedererkennungs-Effekts, meint der Kenner. «Wenn ich ins Ausland fahre, schaue ich immer, ob es aus dieser Gegend einen Krimi gibt, denn es gibt nichts Präziseres in der Literatur als einen Kriminalroman, der unter den Menschen spielt.»
Südschweiz kaum präsent
Über Autoren aus der italienischen und rätoromanischen Schweiz ist in «Mord im Alpenglühen» wenig bis nichts zu erfahren. Leider, so Ott. «Ich bin nicht fündig geworden. Italienischsprachige Kollegen konnten mir keinen einzigen Namen nennen, was nicht bedeutet, dass es nie einen Krimi gegeben hat.»
Einen winzigen Lichtblick gibt es im rätoromanischen Raum: Dort gebe es vier Bücher der letzten 50 Jahre, die im weitesten Sinne als Krimis verstanden werden könnten.
Im Nachschlagewerk erfahren wir viele lustige Details, gespickt mit witzigen Kommentaren des Autors. Zu erwähnen als Beispiel der Schweizerdeutsche Krimi «Der Ussland-Schwyzer» von Werner Gutmann, der in der Tourismusbranche spielt.
Oder Thomas Zwygarts «Mord im Blauen Bähnli». Der Krimi hing während eines Jahres Woche für Woche als Faltblatt-Fortsetzungsroman in eben diesem blauen Bähnli von Worb nach Bern und begeisterte die Pendler.
Bücher als Unterhaltung
Dass Kriminalromane häufig als Schundliteratur bezeichnet werden, findet der Krimiliebhaber Ott «Schwachsinn». Schund gebe es überall, in der Kriminalliteratur wie auch bei der Lyrik und anderen Romanen. «Einen Krimi kann man auch lesen, wenn er durchschnittlich ist, weil er spannend ist, das ist ein Vorteil.»
Zudem seien Krimis auch Einstiegsliteratur ins Lesen überhaupt – für Jugendliche, aber auch für Erwachsene. «Das ist wichtig für die literarische Welt. Wenn es diese Art des Einstiegs ins Lesen nicht mehr gibt, brauchen wir auch die andere Literatur nicht.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein
Paul Ott wurde 1955 in Romanshorn geboren und lebt in Bern.
Unter dem Pseudonym Paul Lascaux schreibt er seit mehr als 20 Jahren Kriminalromane und kriminelle Geschichten.
Ott ist Initiator der «Mordstage», die bisher zweimal stattfanden.
Zu den «Mordstagen 2005» erschien im Limmat-Verlag «TATORTSCHWEIZ», 18 kriminelle Geschichten.
«Mord im Alpenglühen» – Der Schweizer Kriminalroman/Geschichte und Gegenwart von Paul Ott ist im Verlag Nord Park erschienen.
«Mord im Alpenglühen» ist die erste umfassende Anthologie der Schweizer Kriminal-Literatur und deckt die letzten 200 Jahre ab.
Sie reicht von frühen Verbrechens-Berichten und Gerichts-Reportagen bis hin zum heutigen fiktiven Kriminalroman, Regionalkrimi und Schweizerdeutschen Krimi.
Das Nachschlagewerk umfasst Kurzbiographien von über 250 deutschsprachigen und gegen 100 französischsprachigen Krimi-Autorinnen und –Autoren sowie eine umfassende Bibliographie.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch