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Die Mocmoc-Statue blieb, wo sie ist

Statue Mocmoc
Die Statue wurde von Kindern im Designteam mitentwickelt. Benjamin von Wyl/swissinfo.ch

Die Statue des gelbschwarzen Fantasiewesens empörte seit ihrer Enthüllung viele in der Schweizer Kleinstadt Romanshorn – obwohl Kinder sie lieben.

Es guckt so unschuldig – dabei hat es so viele empört! Seit 17 Jahren winkt vor dem Bahnhof RomanshornExterner Link die Statue eines Wesens namens Mocmoc. Mocmoc steht für keine politische Position und kein Weltbild. Wenn das gelbschwarze Wesen für etwas Anderes als sich selbst und den ausgelösten Ärger steht, dann für einen kindlich-magischen Blick auf die Welt.

Vor langer Zeit – «als die Menschen noch mit Zwergen und Elfen sprechen konnten», wie es in der Sage heisst – habe Mocmoc sein Horn abgerissen und es dem Jungen Roman gegeben. Mit dem Horn als Warntröte habe Roman den Ort, der fortan Romanshorn genannt worden sei, vor einem alles verschlingenden Feuer warnen können.

Eine Gründungslegende, wie sie viele Städte kennen. Aber die Mocmoc-Geschichte entstammt nicht grauer Vorzeit, sondern dem 21. Jahrhundert. Dass die Romanshorner Behörden fingierten, man habe eine alte Sage wiederentdeckt, spaltete den Ort und löste einen lokalen Statuenstreit aus.

Eine Identifikationsfigur sollte Mocmoc sein, sagt Max Brunner. Brunner war damals Gemeindepräsident und im Zentrum der Kontroverse. Romanshorn, gut 11’000 Einwohnerinnen und Einwohner, liegt wunderschön am Bodenseeufer. «Die bedeutenden Arbeitgeber hier waren lange der Hafen, die Post, der Zoll – und die Bahn. Romanshorn war ein Bähnlerdorf.»

Die Bahn- und Postangestellten, so der pensionierte Lehrer Brunner, seien beim Stellenwechsel oft alle paar Jahre weitergezogen. Romanshorn habe etwas gefehlt, was in der Bevölkerung und gegen aussen Identität stiftet. Während andere Bodensee-Ortschaften für malerische Altstädte bekannt sind, kannte man von Romanshorn vor allem Hafen und Bahnhof.

Nach der Jahrtausendwende sollte der Bahnhofplatz neu gestaltet werden. Ein Prozent der Kosten waren für Kunst am Bau eingeplant. Das Ostschweizer Künstlerduo Com & Com gewann den folgenden Kunstwettbewerb mit dem Mocmoc als Gesamtkonzept: eingepflanzte Sage, Steigerung der Erwartung, die Statue, etc.

«Reaktionen haben wir erwartet, aber nicht dass Mocmoc die Bevölkerung spaltet.» Max Brunner. ehemaliger Gemeindepräsident

«Wir haben nicht leichtfertig entschieden», erinnert sich Brunner, «Reaktionen haben wir erwartet, aber nicht dass Mocmoc die Bevölkerung spaltet.» Im Amtsblatt wurde der Boden für die Mocmoc-Sage über Monate hinweg vorbereitet. Nach und nach wurden mehr Details über die angeblich vorzeitliche Legende öffentlich. Der Gemeinderat hat diejenigen eingeweiht, die der Fälschung schnell auf die Spur gekommen wären, etwa den Ortsarchivar.

Die Vorfreude auf Mocmoc war gross. 600 Schulkinder nahmen an einem Zeichenwettbewerb für das neue Wahrzeichen teil. Beim Kinderfest zur Mocmoc-Enthüllung klang das Lied «Mocmoc, komm zurück!» aus vielen Kehlen. Es gab T-Shirts, Wasserbälle und süsse «Schoggi-Mocmöcli». «Paris hat den Eiffelturm, New York seine Freiheitstatue, und wir haben unser Mocmoc», sagte Gemeindepräsident Brunner damals vor 3000 Besucherinnen und Besuchern.

Vor der Enthüllung fragte niemand kritisch nach. Doch schon drei, vier Tage nach dem grossen Fest erschienen die ersten negativen Leserbriefe. Eine Anwohnerin schrieb etwa, dass sie sich bei «jedem Blick aus dem Fenster ärgern» müsse und nennt Mocmoc eine «Verspottung der Steuerzahler».

Bald deckte das St. Galler Tagblatt auf, dass hinter Mocmoc keine alte Sage, sondern ein künstlerisches Gesamtkonzept steht. Ob eine Sage vor 200 oder zwei Jahren erfunden worden ist, sei unwichtig, reagierte das Künstlerduo Com & Com. Aus ihrer Sicht stimmt das wohl: Com & Com haben in Romanshorn erfolgreich eine Sage gepflanzt. Bis heute steht die Legende vom Mocmoc in einem Schul-Lesebuch. Kürzlich erst hat sich dessen Verlag die Rechte für weitere 15 Jahre gesichert.

Doch für die Behörden war der Skandal perfekt. An einer Pressekonferenz gab der Romanshorner Gemeinderat zu, dass die Geschichte fingiert ist. Die Flut der Vorwürfe riss damit nicht ab: Die Kosten seien zu hoch gewesen, und eine Baubewilligung fehlte. Mit der Empörung explodierte das Medieninteresse. Hunderte Berichte erschienen über den Bodenseeort, der sich wegen einer Kunststoffstatue zankte.

Beste PR

Gewissermassen hat Mocmoc also seinen Zweck erfüllt und Romanshorn Aufmerksamkeit verschafft. Aber die Mocmoc-Gegnerinnen und -Gegner hatten das Gefühl, man habe sich zum Gespött gemacht. «Das Vorgehen ist hanebüchen und das Mocmoc lächerlich», sagte die Besucherin einer Podiumsdiskussion im Februar 2004 dem Schweizer Fernsehen. Eine andere: «Ich find’s scheusslich, man wird verspottet.»

Am Podium im traditionsreichen Hotel Bodan – wie Mocmoc am Bahnhofplatz gelegen – fanden sich um die 700 Menschen ein. Happig waren die Vorwürfe an den Gemeinderat: ungetreue Amtsführung, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung.

Max Brunner
Max Brunner, der ehemalige Gemeindepräsident. Benjamin von Wyl/swissinfo.ch

Andere zielten vor allem auf die Ästhetik der Statue. Mocmoc  – eigentlich ja eher der Plastikkonsumwelt entsprungen –  stehe in der «Tradition der stalinistisch-leninistischen Heldenverehrung». Gleichwohl gab es auch Voten, die den Marketingeffekt von Momoc lobten.

Auch Johannes M. Hedinger von Com & Com nennt Mocmoc heute «im weitesten Sinn hässlich». «Es waren erhitzte Diskussionen», erinnert sich Hedinger, der mit auf dem Podium sass. Oft hätten sie als Künstlerteam darüber, «was Mocmoc auslöste und bis heute immer wieder auslöst» bloss noch staunen können. «Es geht um demokratische Grundsatzfragen: Wer sind wir? Wer bestimmt mit? Was ist Kunst?»

Dann kommt Hedinger auf den Vorwurf zu sprechen, der die Künstler wohl stärker traf als die Behörden: die Manipulation der Kinder. «Wir haben mit Mocmoc nicht einfach ein Pokémon kopiert, sondern sein Äusseres mit Kindern im Designteam mitentwickelt. Wir wollten ein Denkmal schaffen, das vor allem auch für die Kinder funktioniert.» Das könne man Manipulation schimpfen, bedeute aber kulturelle Teilhabe und sei ein Grund, weshalb Mocmoc so gut funktioniert habe.

Mocmoc ist noch da

Nachdem in einer Volksabstimmung eine Mehrheit dafür votierte, dass Mocmoc beim Bahnhof bleibt, beruhigten sich die Gemüter ab Frühling 2004. An der Stelle des Hotels, in dem die grosse Debatte stattfand, steht heute ein Neubau. An seinem Hinterteil hängen zwar Spinnweben und es wirkt abgewetzt, aber: Mocmoc ist noch da.

Weiterhin leuchtet das Herz in Mocmocs Brust nachts rot. Auf Gegenliebe stösst die Statue bis jetzt nicht bei allen. «Heute wird Mocmoc geduldet», sagt Max Brunner. Manche mögen die Figur. «Die, die damals dagegen waren, sind es noch immer.»

In Brunners acht Jahren als Gemeindepräsident war Mocmoc die grösste Kontroverse. Bei den nächsten Wahlen trat er nicht mehr an – drei Mitglieder des Gemeinderats wurden abgewählt. «Wir haben uns entschuldigt und uns verpflichtet, Mocmoc niemals wieder offiziell als Gemeindesymbol zu verwenden», sagt er. Vor der Empörung habe man Mocmoc etwa auf die Ortstafeln gedruckt. Nun bleibe Mocmoc zum Beispiel als Teil des jährlichen Fasnacht-Gottesdiensts präsent.

«Wir wollten ein Denkmal schaffen, das vor allem auch für die Kinder funktioniert.»

Johannes Hedinger, Com & Com

Die Wirkung Mocmocs möchte der Christdemokrat Brunner nicht kleinreden: «250’000 Franken hat das Projekt insgesamt gekostet. Marketingfachleute sagen, für so viel Gratiswerbung, wie Mocmoc gebracht hat, müsse man normalerweise das Zehnfache zahlen.» Er ist überzeugt, dass sich niemand geärgert hätte, wenn hinter Mocmoc eine private Firma gestanden wäre.

«Beim öffentlichen Raum, öffentlichen Geldern und gewählten Politikern schätzen die Menschen das anders ein. Für einen Holzbrunnen mit Geranien hätten wir keine Kritik bekommen – so ein Brunnen hätte aber auch niemanden interessiert.»

Entschieden sich die Kunstkommission und der Romanshorner Gemeinderat denn bewusst für das provokanteste Kunstprojekt? Brunner lacht. «Überhaupt nicht. Die Vorschläge der anderen Künstler waren noch verrückter. Mocmoc erschien uns machbar – und eine Bereicherung.» Der frühere Gemeindepräsident ist sich nicht sicher, ob Mocmoc ewig am Bahnhofplatz stehen bleibt.

Immerhin ist das Fantasiewesen eine der wenigen Statuen, die in jüngerer Zeit eine Volksabstimmung über ihre Versetzung überstanden. Im Bezug auf die aktuelle Debatte um den Umgang mit Statuen von Kolonialherren, Sklavenhaltern und Rassisten, sagt Com-&-Com-Mitglied Hedinger: «Mocmoc hat niemanden unterdrückt oder geknechtet. Er hat demokratische Prozesse sichtbar gemacht. So hat Mocmoc bis heute einen Wert.»

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