Die politische Partizipation der Fünften Schweiz, eine gemeinsame Verantwortung
Wie kann die politische Partizipation der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gestärkt werden? Die Lösungsansätze gehen auseinander, wie eine Debatte in St. Gallen zeigte.
Mit einem Elektorat von rund 227’000 Stimmenden ist die Stimme der Auslandschweizer:innen in diesem Wahljahr stark umworben. Die Herausforderung liegt nun darin, diese stark wachsende Wählerschaft zu mobilisieren. Eine im Rahmen des 99. Auslandschweizer-Kongresses in St. Gallen organisierte Debatte skizzierte einige Lösungsansätze.
1996 waren 63»000 Auslandschweizer:innen in einem Stimmregister eingetragen. Heute sind es fast 227’000, was einer Zunahme von 260% in weniger als 30 Jahren entspricht. Diese Wählerschaft ist nun mit derjenigen eines mittelgrossen Kantons wie dem Tessin vergleichbar.
Diese Zahlen sind den wichtigsten politischen Gruppierungen des Landes nicht entgangen. Sie ergreifen in diesem Jahr der eidgenössischen Wahlen vermehrt die Initiative, um dieses Elektorat in allen Ecken der Welt zu erreichen.
Der Jahreskongress der Auslandschweizer-Organisation (ASO), der dieses Wochenende zum 99. Mal in St. Gallen stattfindet, ist ein fixer Termin. Parteien und Kandidat:innen für die Wahlen vom 22. Oktober haben in ihrem Terminkalender markiert, um die einflussreichen Mitglieder der Diaspora auf sich aufmerksam zu machen – nur etwas mehr als zwei Monate vor den Wahlen.
St. Gallen, ein Muss vor den Wahlen
In den Gängen der Universität St. Gallen, wo die Veranstaltung stattfindet, bieten die Stände mit den Farben der sechs grössten Parteien des Landes – SVP, SP, FDP, Die Mitte, Grüne und Grünliberale – den Delegierten und Teilnehmenden des Kongresses farbenfrohe Accessoires an. Dies ist auch eine Gelegenheit für sie, die Arbeit ihrer internationalen Sektionen vorzustellen und ihre Unterstützung für die spezifischen Anliegen der Fünften Schweiz zu demonstrieren, sofern sie eine solche haben.
Ein Problem bleibt jedoch bestehen: Von den 227’000 Diaspora-Mitgliedern, die Ende 2022 in einem Stimmregister eingetragen sind, macht nur etwa ein Viertel tatsächlich von ihrem Stimmrecht bei Abstimmungen oder Wahlen Gebrauch. Die Wahlbeteiligung ist damit fast halb so hoch wie der nationale Durchschnitt. Und im Verhältnis zu den fast 630’000 volljährigen Auslandschweizer:innen erreicht dieses Quote nicht einmal 10%.
Im Rahmen der Sitzung des Auslandschweizerrates (ASR) am Freitag waren sechs Vertreter:innen der Schweizer Politik eingeladen, ihr Rezept zur Förderung einer stärkeren politischen Beteiligung der Fünften Schweiz in ihrem Heimatland zu präsentieren. Der Runde Tisch fand im Anschluss an einen am Vortag von der ASO vorgelegten Bericht statt, der darauf abzielte, die politische Partizipation der Auslandschweizer:innen zu fördern.
E-Voting, aber nicht nur…
«Die erste Verantwortung ist technischer Natur. Wir müssen sicherstellen, dass Auslandschweizer:innen, die dies wünschen, an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen können», stellte der Waadtländer FDP-Abgeordnete Laurent Wehrli fest. «E-Voting ist der Schlüssel zu einer höheren Stimmbeteiligung der Auslandschweizer:innen. Wir müssen ihnen diesen Kanal zur Verfügung stellen, damit sie ihre Stimme schnell und effizient abgeben können», fügte Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin aus dem Zentrum Baselland, hinzu.
E-Voting, das seit langem von Vertreter:innen der Diaspora gefordert wird, gilt als wichtiges Instrument zur Förderung der politischen Partizipation der Fünften Schweiz. Die SVP lehnt es vehement ab, und es löst nicht alle Probleme.
Franz Muheim, Nationalratskandidat der Grünliberalen Partei im Kanton Genf, sagte: «Das E-Voting ist zwar ein Teil der Lösung, aber man sollte auch rasch an der Schaffung einer elektronischen Identität und einer echten E-Demokratie arbeiten.» Mit dieser Lösung könnten die immer wiederkehrenden Probleme mit dem verspäteten Versand des Wahlmaterials gelöst werden.
Eine Aufgabe für die Konsulate und Botschaften?
Der Genfer Grünen-Abgeordnete Nicolas Walder bedauerte, dass sich viele Auslandschweizer:innen nicht für die Geschehnisse in der Schweiz interessierten. «Man muss der internationalen Schweiz die Mittel in die Hand geben, damit sich die Auslandschweizer:innen betroffen fühlen und eine Verbindung zu ihrem Heimatland aufrechterhalten. Dies geschieht durch die diplomatischen Vertretungen und durch eine starke internationale Zusammenarbeit», meinte er.
Für die ASO ist es wichtig, dass das politische Engagement der Auslandschweizer:innen durch den Staat und die Institutionen gefördert wird. Die neue Forderung der Diaspora-Lobby, die im Rahmen dieses Kongresses vorgestellt wurde, ist die gesetzliche Verankerung der Verpflichtung des Bundes, Organisationen zu unterstützen, die zur Erhöhung der politischen Partizipation beitragen, indem sie insbesondere Informationen vor Abstimmungen und Wahlen bereitstellen.
Der St. Galler SVP-Abgeordnete Roland Büchel bedauerte die Budgetkürzungen, die in den letzten Jahren bei den den Auslandschweizer:innen gewidmeten Diensten vorgenommen wurden. «Es könnte eine Aufgabe der Konsulate und Botschaften sein, diese Informationen bereitzustellen, insbesondere für Auslandschweizer:innen der zweiten oder dritten Generation, die nicht in der Schweiz zur Schule gegangen sind», argumentierte er.
Von der Rolle der Information für die 5. Schweiz
Das Thema der Information von Auslandschweizer:innen führte in der Debatte am Freitag zu einigen emotionalen Ausbrüchen. Die meisten Teilnehmenden der Podiumsdiskussion betonten, dass es heute dank dem Internet einfacher sei, sich vor Abstimmungen und Wahlen zu informieren.
«Eine umfassende Information ist die Grundlage einer gesunden Demokratie. Nun spielt SWI swissinfo.ch eine sehr wichtige Rolle bei der Information der Auslandschweizer:innen», betonte der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina. Sollte die Halbierungs-Initiative angenommen werden, wäre swissinfo.ch laut Molina «mit Sicherheit das erste Medium, das eingestellt würde».
Politische Bildung und die Sensibilisierung für politische Themen seien für die Schweizer Demokratie von zentraler Bedeutung, war in der Debatte mehrfach zu hören. Mehrere Redner:innen waren jedoch der Meinung, dass nicht alles auf den Staat abgewälzt werden dürfe. «Wer sich informieren will, kann dies tun, auch aus dem Ausland», stellte Elisabeth Schneider-Schneiter fest. Laurent Wehrli ergänzte: «Die politische Bildung ist in erster Linie eine Verantwortung der Eltern, des Familienkreises.»
Die Idee eines «27. Kantons» taucht wieder auf
Ein weiterer Punkt, der in der Debatte angesprochen wurde, war die Idee, einen eigenen Wahlkreis für die Auslandschweizer:innen zu schaffen, wie dies bereits in Frankreich oder Italien praktiziert wird. Nicolas Walder hatte diese Frage im Juni in einer Interpellation erneut aufgeworfen. «Das würde den im Ausland lebenden Schweizer Persönlichkeiten eine grössere Chance geben, gewählt zu werden. Seit 2007 gab es im Parlament keine Diskussionen mehr zu diesem Thema. Wir wollen wissen, wie weit die Bundesverwaltung mit ihren Überlegungen ist», sagte er vor den 89 Delegierten, die in St. Gallen anwesend waren.
Der Bundesrat hat sich auf Walders Interpellation hin noch nicht geäussert, aber je nachdem, wie seine Antwort ausfällt, erwägen die Grünen, einen Vorstoss mit einer konkreten Forderung einzureichen. Alle Versuche in diese Richtung sind jedoch bislang gescheitert. Auch die Verantwortlichen der ASO sind der Meinung, dass es sich um ein schwer zu erreichendes Ziel handelt.
Übertragung aus dem Französischen: Balz Rigendinger
>> Unsere Ausgabe von «Let’s Talk» über die politische Partizipation von Auslandschweizern:
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Let’s Talk: Die Macht der Auslandschweizer:innen
>> Hier können Sie das Panel in St. Gallen nachschauen:
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