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Vollgeld-Initiative ist deutlich gescheitert

Menschen vor einem Ballon in Sparschweinform
Raffael Wüthrich vom Komitee der Vollgeld-Initiative, Mitte, und weitere Personen posieren am Abstimmungssonntag vor einem Sparschwein in Bern. Keystone

Die Revolution hat nicht stattgefunden: Die Vollgeld-Initiative ist mit über 75 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt worden. Die Stimmbeteiligung betrug nur 34 Prozent.

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Die Initianten der Vollgeld-Initiative wollten eine radikale Reform des schweizerischen Währungssystems: Der Bund allein solle Zahlungsmittel schaffen und die Schweizerische Nationalbank solle neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf bringen. Doch 75,7 Prozent der Stimmenden sagten Nein zur Vollgeld-Initiative.

Das ist deutlicher als in den Umfragen. In der letzten SRG-Trendumfrage lag die Zustimmung zur Initiative bei rund einem Drittel. Die massive Zunahme der Ablehnung im Vergleich zu Umfragen sei nicht unüblich, sagte Lukas Golder von gfs.bern gegenüber SRF.

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Nein aus allen Kantonen

Rund 442’400 Stimmberechtigte legten ein Ja in die Urne, rund 1’379’500 stimmten Nein. Die Stimmbeteiligung lag bei ungewöhnlich tiefen 34 Prozent. 

Das Ständemehr war nie in Reichweite: Genf sagte mit knapp 60 Prozent Nein, in den übrigen Kantonen lag der Nein-Stimmenanteil über 70 Prozent. An deutlichsten war die Ablehnung in der Innerschweiz: In Obwalden, Nidwalden und Uri sagten über 80 Prozent der Stimmbeteiligten Nein.

Initianten beklagen sich über «unfaire Mittel»

Trotz des wuchtigen Neins zeigen sich die Initianten der Vollgeld-Initiative zufrieden. «Es freut uns, dass wir einen Teil des Stimmvolks davon überzeugen konnten, dass es in Bezug auf die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken eine richtige Änderung braucht und nicht bloss eine Pflästerli-Politik», sagte Raffael Wüthrich vom Kampagnen-Team auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone_sda. 

Die Vollgeld-Initiative

Die Eidgenössische Volksinitiative «Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)» sah unter anderem folgende Änderungen der Bundesverfassung vor:

  • Der Bund allein schafft Münzen, Banknoten und Buchgeld als gesetzliche Zahlungsmittel.
  • Die Schweizerische Nationalbank bringt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf, und zwar über den Bund oder über die Kantone oder, indem sie es direkt den Bürgerinnen und Bürgern zuteilt.

Die Initiative habe eine Debatte ausgelöst, sagte Wüthrich. Eine Mehrheit der Bevölkerung sei eigentlich gegen eine Geldschöpfung durch Geschäftsbanken, wie eine SRG-Umfrage gezeigt habe.

Die Initianten kritisieren die Abstimmungskampagne von Bundesrat und Nationalbank. Es sei mit unfairen Mitteln gekämpft worden, die Informationen seien irreführend gewesen. «Für uns als politische Newcomer war dies erschreckend zu sehen». Eine Beschwerde ist derzeit beim Bundesgericht hängig.

Die Gegner der Vollgeld-Initiative werten das überdeutliche Nein als Absage des Stimmvolks an ein riskantes Experiment: Die Bevölkerung wolle offensichtlich nichts von einem riskanten Experiment in Geldpolitik wissen, sagte FDP-Nationalrat Olivier Feller (VD) vom überparteilichen Komitees «Vollgeld-Initiative Nein» zur Nachrichtenagentur Keystone_sda. Der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter bezeichnete das deutliche Ergebnis als klare Abfuhr an ein «Kamikaze-Experiment», das zu grossen Teilen aus dem Ausland gesteuert und mitfinanziert worden wäre.

Bundesrat ist erleichtert

Finanzminister Ueli Maurer zeigte sich an einer Pressekonferenz erleichtert über den Ausgang der Abstimmung. Eine Umsetzung der Vollgeld-Initiative wäre nicht ohne ein «jahrelanges Geknatsch» (Streitereien) möglich gewesen. Das deutliche Nein erklärte sich Maurer damit, dass die Leute keinen Nutzen in der Initiative gesehen hätten. «Das Nein ist auch eine Art Vertrauensbeweis für die Banken», wagte er eine Analyse. 

Gleichzeitig sei das Abstimmungsresultat aber auch eine Verpflichtung. «Die Leute wollen, dass ihr Geld sicher ist», so Maurer. Er deutete laufende und mögliche Revisionen an, um das Finanzsystem noch sicherer zu machen, als es laut Maurer ohnehin schon ist. «Wir gehören zu den sichersten Finanzplätzen der Welt», sagte er.

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Nein von links bis rechts

Das haushoche Nein zur Vollgeld-Initiative wurde von links bis rechts sowie von Wirtschaftskreisen begrüsst. Die SP mahnte gleichzeitig, das deutliche Nein sei «kein Freipass für die Banken und die Finanzwelt». Die Probleme im Finanz- und Wirtschaftssystem seien und blieben ein Anliegen der Bevölkerung und müssten angegangen werden, schreibt die Partei. Die Grünen dankten den Initiantinnen und Initianten dafür, dass sie diese wichtige Diskussion angestossen hätten.

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Video der Bundesbehörden

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) begrüsst in einer MitteilungExterner Link das Nein zur Vollgeld-Initiative. Die Initiative hätte laut SGB für Arbeitsplätze und Konjunkturentwicklung grosse Risiken mit sich gebracht. Doch die Probleme des Finanz- und Bankensystems seien nicht gelöst. Damit es nicht erneut zu einer Finanzkrise komme, müsse dieser Sektor strenger reguliert werden. Und für die Banken brauche es höhere Eigenkapital-Vorgaben. Zudem müssten die überrissenen Banker-Boni gesenkt werden.

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Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse ist erfreut über das klare Resultat – er hat sich stark gegen die Vollgeld-Initiative engagiert. In einer MitteilungExterner Link schreibt der Dachverband, die Schweiz sehe davon ab, sich auf ein hochriskantes, noch nie durchgeführtes Experiment einzulassen. Aus Sicht von economiesuisse ist das ein doppelter Vertrauensbeweis: «Einerseits haben die Schweizerinnen und Schweizer zur Kenntnis genommen, dass der Finanzmarkt in den letzten Jahren stärker reguliert und stabiler gemacht wurde. Andererseits anerkennen sie damit die gute Arbeit der Schweizerischen Nationalbank, die dank ihrer Unabhängigkeit zuverlässig für Preisstabilität sorgt.»

Die Schweizerische Bankiervereinigung hat sich dezidiert gegen die Vollgeld-Initiative eingesetzt und begrüsst in einer MitteilungExterner Link den Entscheid der Stimmbevölkerung. Ein Wechsel zu einem Vollgeld-System hätte laut Swiss Banking grosse Unsicherheiten und Risiken mit sich gebracht und die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank in Frage gestellt.

Schweizer Presse skeptisch

«Die Schweiz will keine Geldexperimente», kommentierte die Neue Zürcher ZeitungExterner Link nach der Ablehnung der Vollgeld-Initiative durch das Schweizer Stimmvolk. Der Grund für die Ablehnung sei einfach, befand die Zürcher Tageszeitung: «Die Initianten blieben eine Erklärung schuldig, welches Problem sie mit ihrem radikalen Ansinnen überhaupt lösen wollten.»

Auch laut der Westschweizer Zeitung Le TempsExterner Link will die Schweizer Stimmbevölkerung nicht den Zauberlehrling spielen. Diese Abstimmung habe möglicherweise die Grenzen der direkten Demokratie aufgezeigt, meint die französischsprachige Tageszeitung. Die Vollgeld-Initiative sei möglicherweise die «am schwersten verständliche» Initiative der Geschichte. Sie beweise, dass komplexe Themen nicht in der Lage seien, eine echte Debatte auszulösen.  

Der Tages-AnzeigerExterner Link hingegen findet: Das Kernanliegen der Initiative «ist und bleibt trotzdem legitim». Die deutliche Ablehnung der Initiative dürfe nicht als Persilschein für die Banken interpretiert werden. Diese brauchten eine gute und strenge Regulierung.

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Video von Easyvote

Neun von zehn Initiativen scheitern an der Urne

Neun von zehn Volksbegehren ergeht es wie der Vollgeldinitiative. Sie gehen an der Urne bachab. In der bald 130-jährigen Geschichte des Initiativrechts wurden erst 22 Initiativen angenommen, fast die Hälfte davon in den letzten 16 Jahren.
Rund 460 eidgenössische Volksinitiativen sind seit dem Jahr 1891 lanciert worden, 330 kamen zustande. Über 211 Initiativen wurde bisher abgestimmt. 189 davon scheiterten, die Vollgeldinitiative mitgerechnet.
Seit zum letzten Mal ein Volksbegehren beim Souverän Gnade fand, sind auch schon wieder vier Jahre vergangen. Im Mai 2014 hiessen Volk und Stände die Pädophileninitiative gut. Drei Monate zuvor hatten Bundesrat und Parlament mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative eine historische Schlappe erlitten.

Quelle: sda/ats

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