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Zufriedene Verlierer der direkten Demokratie

Baden in einem Meer von acht Millionen Fünfrappen-Münzen vor dem Bundeshaus in Bern.
Baden in einem Meer von acht Millionen Fünfrappen-Münzen: Die Aktion der Initianten vor dem Bundehaus in Bern schaffte es in die internationalen Medien. Stefan Bohrer / Flickr

Gut ein Jahr nach der Volksabstimmung ist es in der Schweiz um das umstrittene Thema eines bedingungslosen Grundeinkommens ruhiger geworden. Nicht so in anderen Teilen der Welt: Finnland probt den Ernstfall, im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein steht das Grundeinkommen im Koalitionsvertrag und in den USA machen sich zwei der Grössten der digitalen Ära für die Idee stark.

Vorlage Nr. 601Externer Link ist als eine der deutlicheren Niederlagen in die Annalen der Volksabstimmungen in der Schweiz eingegangen, über welche die Bundeskanzlei Buch führt: Die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» wurde am 5. Juni 2016 von gerade einmal 23% der Stimmenden angenommen; fast 77% schickten das visionäre Vorhaben bachab.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

In keinem einzigen der 26 Schweizer Kantone fand die vorgeschlagene Verfassungsänderung eine Mehrheit. Diese sah unter anderem vor, die bisherigen, bedarfsorientierten Sozialleistungen durch ein Bürgergeld zu ersetzen. Mit anderen Worten: Alle Menschen in der Schweiz hätten bei einem Ja monatlich 2500 Franken erhalten. Einfach so.

Es war überraschend und irritierend zugleich, dass sich die InitiantenExterner Link des Vorschlages nach Bekanntwerden des vernichtenden Abstimmungsergebnisses dennoch begeistert zeigten: «Demokratie ist kein Gewinnspiel», fand Daniel Häni, der Kopf hinter der Volksinitiative, und fügte hinzu: «Die Debatte geht weiter, auch international».

Mehr als ein Jahr nach dieser «erfolgreichen Niederlage» hat sich bei Häni an dieser Einschätzung nichts geändert. Das Resultat vom 5. Juni 2016 verdiene Respekt, sagt der 51-jährige Unternehmer gegenüber #DearDemocracy, der in Basel seit der Jahrtausendwende das grösste Kaffeehaus der Schweiz betreibt. Von sich selbst sagt er: «Das Grundeinkommen verbindet das soziale Herz mit dem liberalen Verstand». Er räumt immerhin ein, dass es in der Schweiz um das Thema des bedingungslosen Grundeinkommens etwas ruhiger geworden sei.

Daniel Häni, Internationalist in Sachen bedingungsloses Grundeinkommen.
Daniel Häni, Internationalist in Sachen bedingungsloses Grundeinkommen und Demokratie. Keystone

Nicht so aber in anderen Teilen der Welt: «Unsere Initiative ist ein wichtiger Impuls für die weltweite Debatte», ist Häni überzeugt. Er wird vor allem im deutschsprachigen Europa immer wieder als Redner eingeladen, während Mitinitianten wie der Künstler und Filmemacher Enno Schmidt um die Welt reisen und wichtige Knoten im globalen Netzwerk für das bedingungslose GrundeinkommenExterner Link sind. 

Demokratie als Spiegel der Gesellschaft

Der relative Erfolg seiner Initiative erklärt Häni mit der engen Verwandtschaft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens und der Praxis der modernen direkten Demokratie: «Bei beiden geht es um Selbstbestimmung jenseits von linken oder rechten Ideologien», sagt er. «Demokratie ist der Spiegel der Gesellschaft. Sie will nichts für sich. Sie zeigt, was die Menschen wollen.»

Dank der ausgebauten direktdemokratischen Volksrechte sei es in der Schweiz gelungen, das Spannungsfeld von Erwerbsarbeit und individueller Freiheit auf die Tagesordnung zu setzen. Dabei landeten die Promotoren auch mehrere überraschende, spektakuläre und medienwirksame Coups: So leerte ein Lastwagen bei der Einreichung der Volksinitiative am 4. Oktober 2013Externer Link vor dem Regierungsgebäude acht Millionen goldig-glänzende Fünfrappen-Münzen auf den Berner Bundesplatz aus – für jeden Bürger einen, so die symbolische Botschaft.

In der deutschen Hauptstadt Berlin, unmittelbar vor dem Brandenburger Tor, rollten Aktivisten eine Woche vor der Abstimmung in der Schweiz ein riesiges, 450 Meter langes Transparent aus. «What would you do if your income were taken care of?» – «Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?», lautete die Frage, die an die ganze Welt gerichtet war.

Aktionen wie diese zeigen, dass die Initianten der Schweizer Volksinitiative mit ihrer Einladung zur öffentlichen Debatte über das Grundeinkommen tatsächlich auch einen internationalen Nerv getroffen haben: In den USA haben sich unlängst zwei der grössten Köpfe der schönen, neuen, digitalen Tech-Welt für eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens stark gemacht: Mark ZuckerbergExterner Link und Elon MuskExterner Link, die Gründer von Facebook und Tesla. In Finnland läuft auf Vorschlag der bürgerlichen Regierung seit Beginn dieses Jahres ein ganz pragmatischer, zweijähriger PilotversuchExterner Link: 2000 Personen, die per Los bestimmt wurden, erhalten für zwei Jahre gut 600 Franken monatlich. Einzige Bedingung: Sie müssen langzeitarbeitslos sein.

In Schleswig-Holstein, dem nördlichsten deutschen Bundesland, hat sich die neue Regierung, die so genannte Jamaika-Koalition, in ihrem Programm ebenfalls auf ein «Bürgergeld»-PilotprojektExterner Link geeinigt. Die Regierung des Bundeslandes besteht aus einer Koalition von Christdemokraten, Freien Demokraten sowie Grünen. Darüber hinaus ist in Deutschland ein weiteres Projekt angelaufen: jeden Monat wird unter allen Bürgern Deutschlands ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 EuroExterner Link verlost, das durch Crowdfunding finanziert wird. Deutliche Hinweise auf eine erhöhte internationale Aktualität zeigten nicht zuletzt auch die Leserzahlen der Berichte von swissinfo.ch, wo die Demokratieredaktion #DearDemocracy der Grundeinkommens-Vorlage im letzten Jahr eine ganze Serie von Artikeln widmete: Die Leserzahlen schnellten insbesondere auf der italienisch-, japanisch- und russischsprachigen Seite massiv in die Höhe.

Bunte Koalitionen dafür und dagegen

Wie schon im Vorfeld der Volksabstimmung in der Schweiz, so bilden sich auch weltweit immer wieder neue und bunte Koalitionen, sowohl auf Befürworter- als auch Gegnerseite: Fürsprecher der Grundeinkommensidee kommen oft aus dem Lager von sozialliberalen Unternehmern, Künstlern und Demokratieaktivisten. Die Gegnerschaft formiert sich nicht selten aus Gewerkschaftern und konservativen Finanzpolitikern.

Weil die Offenheit der Fragestellung und der vorgeschlagenen Lösungen bei vielen Menschen Unsicherheit und Zweifel auslöst, wie dies in der Schweiz massiv der Fall war, dürften es Vorschläge zur landesweiten Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auch anderswo noch lange sehr schwer haben.

Das Thema wird uns aber erhalten bleiben: Davon zeugt nicht nur, dass die international geführten Diskussionen und Pilotversuche immer breiter und zahlreicher werden. In einer repräsentativen UmfrageExterner Link, die das Forschungsinstitut gfs.bern 2016 nach der Abstimmung durchführte, äusserten 62% der befragten Schweizerinnen und Schweizer die Überzeugung, dass das Grundeinkommen mit dem Urnengang nicht vom Tisch sei. So haben nicht nur die Gewinner der Abstimmung vor gut einem Jahr allen Grund, heute zufrieden zu sein, sondern auch die Verlierer.

Buchautor Daniel Häni

Auch im Zuge der zunehmenden Roboterisierung der Arbeitswelt dürfte die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.

Daniel Häni, der die Diskussion in der Schweiz mit seiner Volksinitiative angestossen hat, veröffentlichte dazu mit dem Deutschen Philip Kovce auch zwei Bücher:

«Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen»,Externer Link
ecowin, 2017.

«Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt.»Externer Link Orell Füssli, 2015.

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