Die Leiden der Schweizer Mediendemokratie
Die akute Krise der Medien ist auch eine Krise der Demokratie. Die Schweiz als ausgesprochene Abstimmungsdemokratie ist besonders betroffen. Jetzt will die Regierung reagieren.
Zwischen der Politik und den Medien besteht seit jeher ein enges und symbiotisches Verhältnis. Die Politik versorgt die Medien mit relevanten Inhalten. Die Medien bescheren Politikern im Gegenzug Publizität.
Die Schweiz zählte traditionell zu jenen Ländern mit der höchsten Mediendichte. Doch die Medienkrise hat auch die Schweiz erfasst. Die Medienlandschaft ist ausgedünnt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Das kann für eine Abstimmungsdemokratie wie die Schweiz schwerwiegende Folgen haben.
Der Autor
Sandro Lüscher studierte Geschichte der Neuzeit und Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Er doktoriert über die politischen Wirkungen von Reformen von Wahlsystemen in der Schweiz.
Politik und zivilgesellschaftliche Akteure haben das erkannt. 2017 wurden mit dem Verein «media forti»Externer Link und dem Verband «Medien mit Zukunft»Externer Link gleich zwei neue Projekte zur Stärkung der Medienvielfalt in der Schweiz ins Leben gerufen.
Auch der Bundesrat hat reagiert: Die Landesregierung unterbreitet im ersten Halbjahr 2020 dem Parlament ein Massnahmenpaket zur Medienförderung. Im Zentrum stehen dabei zwei Neuerungen: Zum einen sollen auch jene Medienanbieter von Fördergeldern profitieren, die mit Bezahlangeboten im Online-Bereich tätig sind und eine längerfristige Präsenz im Medienmarkt anvisieren.
Im Gegenzug verpflichten sie sich zur Erfüllung journalistischer Qualitätsstandards, zu redaktionellen Eigenleistungen sowie zur Kontinuität im journalistischen Angebot.
Abfederung struktureller Probleme
Zum anderen will der Bundesrat die indirekte Presseförderung ausbauen. Bereits heute profitieren gewisse Bezahlzeitungen von reduzierten Posttarifen bei der Zeitungszustellung. Im Zuge der angestrebten Gesetzesrevisionen möchte der Bundesrat den Kreis der förderberechtigten Titel erweitern. Künftig sollen auch grosse Tages- und Wochenzeitungen sowie Kopfblattverbünde Unterstützungsleistungen erhalten. Ausserdem soll der Förderungsbeitrag pro Exemplar angehoben werden, sodass auch kleinere Titel von der Änderung profitieren.
Dies stellt zwar keine abschliessende Lösung der strukturellen Herausforderungen der Branche dar. Aber es ist ein erster Versuch, Remedur zu schaffen.
Appenzell Ausserrhoden – erster Kanton ohne Zeitungsredaktion
Das Appenzeller Tagblatt ist die traditionelle Lokalzeitung des kleinen Kantons. Ab Februar 2020 ist die Lokalredaktion beim St. Galler Tagblatt angesiedelt. Der Umzug erfolgt – wenig überraschend – aus Kostengründen.
Damit ist Appenzeller Ausserrhoden der erste Kanton in der Schweiz, der über keine eigene, lokal verankerte Zeitungsredaktion mehr verfügt.
Dabei war Appenzell einmal ein wichtiger Zeitungskanton: Flaggschiff war die Appenzeller Zeitung, die mit ihrer liberalen Ausrichtung Beachtung weit über die Kantonsgrenze hinaus gefunden hatte. 1997 wurde sie vom St. Galler Tagblatt übernommen.
Seit Ende 2018 erscheint das St. Galler Tagblatt unter dem Dach von CH MediaExterner Link, einem Joint VentureExterner Link der NZZ-MediengruppeExterner Link und der AZ MedienExterner Link.
Quelle: Michael Breu, Ostschweiz-Korrespondent, Schweizer Radio SRF
Gerade in einer halbdirekten Demokratie wie der Schweiz, wo das Volk politische Teilnahmemöglichkeiten hat wie nirgendwo sonst auf der Welt, fungieren die Medien als eine wichtige Schnittstelle zwischen der politischen Elite und der Basis. Sie schaffen einen Raum zum Austausch gegensätzlicher Ansichten und Argumente. Dies ist eine Voraussetzung zur Meinungsbildung für Abstimmungen. Neben der Vermittlerfunktion setzen die Medien auch selber politische Impulse und schaffen Sichtbarkeit für Anliegen aus der Bevölkerung.
Im Treibsand des Wandels
Wie gut es den Medien gelingt, diese demokratischen Funktionen auszuüben, hängt nicht zuletzt davon ab, in welchem Zustand sie sich befinden. Im Jahrbuch «Qualität der Medien»Externer Link des an der Universität Zürich angesiedelten Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög)Externer Link fühlten die Zürcher Forscher der Schweizer Mediendemokratie auf den Puls und unterzogen sie einer umfassenden Diagnose. Die zutage gebrachten Erkenntnisse lassen nur einen Schluss zu: Der Medienschweiz geht es schlecht.
Heimische Medienanbieter haben immer mehr Mühe, sich im kleinräumigen Medienmarkt der Schweiz zu behaupten. Digitale Messenger- und Social-Media-Dienste machen einen immer grösseren Anteil am täglichen Medienkonsum aus.
Die Werbeindustrie hat dieses veränderte Nutzungsverhalten registriert und investiert verstärkt in digitale Medien- und Kommunikationsdienste mit Sitz im Ausland. Durch den Einflussverlust im Werbe- und Inserate-Markt kommt inländischen Medienunternehmen eine überlebenswichtige Einnahmequelle abhanden.
Medienkonzentration als Krisensymptom
Die Folge: An allen Enden wird gespart, Personal abgebaut, Redaktionen zentralisiert und abgebaut. Unrentable Titel verschwinden oder werden von den grossen Medienhäusern gekauft.
In allen drei Sprachregionen kontrollieren die drei grössten Medienhäuser einen Marktanteil von 70 bis 90 Prozent – Tendenz steigend. Vielerorts sind kleine, lokale Traditionsblätter verschwunden, mit ihnen die lokale Berichterstattung und damit die lokale politische Öffentlichkeit.
Demokratische Folgeschäden
Die Zürcher Politologen Daniel Kübler und Christopher Goodman haben herausgefunden, dass es einen Zusammenhang zwischen der Präsenz lokaler Presse und der kommunalen Stimmbeteiligung gibt. Je höher die Auflage der lokalen Zeitungen und je mehr die Medien über lokale Politik berichten, desto höher die Wahlbeteiligung. Fehlen lokale Medien, fehlt auch die politische Öffentlichkeit.
Die Bedeutung der Medien reicht also weit über ihre Rolle als «Informationsvermittler» hinaus. Sie beleben die politische Debatte und fördern den demokratischen Austausch, kontrollieren als Advokaten der Öffentlichkeit die Machthabenden und aktivieren durch ihre lebensnahe Berichterstattung die Bürgerschaft.
Kurz: Sie sind mit den öffentlichen Institutionen und dem öffentlichen Leben existenziell verwoben.
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Und wenn die Zeitungen tot sind, was dann?
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