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Der Kampf der Frauen gegen Kochherde und Wasserwerfer

Studentin Claudia Honegger hält 1969 in Zürich als erste Frau eine 1. Mai-Rede
1. Mai 1969 in der Stadt Zürich: Studentin Claudia Honegger hält als erste Frau eine Rede zum Tag der Arbeit. Eine ihrer Forderungen: Gleiche Löhne für Mann und Frau. Sie ist bis heute nicht eingelöst. Keystone

Vor 50 Jahren, im Jahr 1969, trat in der Schweiz eine neue Akteurin auf die Bühne der Politik: die Frauenbefreiungs-Bewegung (FBB). Sie stand für einen neuen Frauenrechts-Aktivismus, der weit mehr als nur das Stimmrecht im Fokus hatte.

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1959: Die Schweizer Männer sagen in einer Abstimmung Nein zum Frauenstimmrecht.

Iris von RotenExterner Link, eine Walliserin vom Format einer Simone de Beauvoir, hat im Jahr davor ein Buch veröffentlicht, das zum Grundlagenwerk des Feminismus in der Schweiz werden sollte: «Frauen im Laufgitter».

Darin schrieb die Autorin: Keine Staatsform zeige die Unterdrückung der Frauen so deutlich wie die demokratische. «Und tut sie dies um so plastischer, je mehr sie sich der ‹reinen›, der unmittelbaren Demokratie näherte.»

Iris Von Roten wurde von vielen Frauen, die für das Stimmrecht einstanden, geschmäht, ja gar beschuldigt, mit ihrer vehementen Kritik mitverantwortlich zu sein für die Niederlage an der Urne. 

Die schweizerische Frauenrechtsbewegung setzte damals auf gute Vernetzung und Lobby-Arbeit – nicht auf Aufstand. Noch nicht.

Keim spriesst

In der Stadt Zürich gingen die Frauen von nun an jedem Jahrestag der verlorenen Abstimmung auf den Lindenhof, eine kleine Erhebung über der Limmat. Mit einem Fackelzug machten sie darauf aufmerksam, dass ihnen noch immer das Stimmrecht verweigert werde.

Am zehnten Jahrestag der Niederlage an der Urne besetzten in der Stadt Zürich jüngere Frauen einen Platz und legten den Verkehr lahm. Mit dabei war Claudia HoneggerExterner Link. «Wir jüngeren Frauen fanden, dass es langsam reicht mit der Geduld. Wir setzten vielmehr auf provokante Aktionsformen und Aufrüttelung der Öffentlichkeit.»

Honegger mag aber keinen Bruch mit der alten Frauenbewegung herbeireden. «Meine Grossmutter kam mit uns zur Blockade ans Bellevue, statt mit der Fackel auf dem Berg zu stehen.»

Premiere mit der gekreuzigten Hausfrau

Hier trat die Frauenbefreiungsbewegung (FBB)Externer Link zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auf: Die Aktivistinnen zogen eine auf Besen und Brot gekreuzigte Hausfrau durch die Strassen Zürichs und skandierten Parolen wie «Sekretärinnen werdet Revolutionärinnen» und «Eins, zwei, drei, Pille frei».

Frauen blockieren in Zürich den Verkehr.
«Sekretärinnen werdet Revolutionärinnen»: Frauen blockieren 1969 in der Stadt Zürich den Verkehr. Photopress / Keystone

Die Gründung der FBB zeigte rasch Wirkung: Das Motto des 1. Mai in Zürich 1969 war «Stimmrecht ist Menschenrecht». Und da «fanden wir, dass da jetzt sicher nicht irgend so ein Bub reden kann»: Claudia Honegger durfte als erste Frau der Schweiz die 1. Mai-Rede zum Tags der Arbeit halten. Sie tat dies im Namen der Frauen und der «fortschrittlichen Arbeiter, Schüler und Studenten».

Honegger forderte darin gleichen Lohn für gleiche Arbeit, wies aber auch darauf hin, dass die Probleme der Frau über die Arbeitswelt hinausreichten. «Schon in der Familie wird sie zum Dienstmädchen dressiert». Sie machte deutlich: Das Erreichen des Stimm- und Wahlrechts allein wird da nicht ausreichen.

Keine Jubelfeier

Honegger meint heute zur Frage, ob sie 1971 das Ja der Schweizer Männer zum Frauenstimmrecht gefeiert habe, trocken: «Wenn jemand, der angeschossen ist, endlich umfällt, feiert man ja auch nicht.» Die jungen Aktivistinnen wollten vielmehr neue Themen aufs politische Parkett bringen.

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Und davon gab es Ende der 1960er-Jahre genug: So konnten Frauen nicht einer Arbeit nachgehen ohne Unterschrift des Mannes, die Antibabypille wurde selbst verheirateten Frauen nur nach Gutdünken des Arztes verschrieben oder verweigert, und Abtreibung war verboten.

Claudia Honegger war eine von wenigen Studentinnen innerhalb der FBB. Einige der aktiven Frauen waren Künstlerinnen oder gingen anderen Berufen nach, waren verheiratet – damals war das Konkubinat noch verboten – und hatten Kinder. Auf Flugblättern verkündete die FBB, die einen Frauen würden durch Wasserwerfer, die anderen durch Kochherde unterdrückt.

Wie ein pfannenfertiges Poulet

Lilo König war ebenfalls von Anfang an bei der Frauenbefreiungsbewegung dabei. Sie flüchtete früh vor der «repressiven Stimmung daheim» und kam aus der Anarcho-Szene zur FBB. 

1969 arbeitete sie als Buchhändlerin und hatte zwei Kinder. Deswegen seien auch Themen wie antiautoritäre Kindererziehung aktuell gewesen. Man gründete antiautoritäre Kindergärten und diskutierte die Forderung nach einem Hausfrauenlohn, also der Bezahlung der Frauen für die Haus- und Erziehungsarbeit.

König stand dieser Forderung skeptisch gegenüber. «Ich hatte die Befürchtung, dass sich dadurch die Abhängigkeit vom Mann erhöht und man dann auch noch zu Hause einen Chef hat, der sich beklagt, wenn das Kotelett mal zu dunkel geraten ist.»

Ein wichtiges Thema war auch die Behandlung der Frauen als Sexualobjekt – die «sexuelle Befreiung» von 1968 wurde kritisch gesehen. Lilo König erzählt: «Man hat damals vieles mit sich einfach geschehen lassen. Man hatte sexuell immer parat zu sein, wenn Ehemänner oder Freunde Sex wollten, und kam sich vor wie ein eingepacktes, pfannenfertiges Poulet.»

Mit Spass und Windeln gegen das Patriarchat

Die FBB malte keine Zitate abgehobener Theorien auf Spruchbänder, sondern setzte auf augenöffnende Aktionen, die auch Spass machen sollten. So unterwanderten die jungen Frauen 1969 eine Schönheitskonkurrenz der Zeitschrift «annabelle». «Wir sind keine Kühe, die man für die Grösse ihrer Euter prämiert», stand auf einem Flyer. 

Eine der FBB-Frauen gewann dann tatsächlich und versteigerte danach die gewonnenen Kleider. (Bild) Claudia Honegger erinnert sich an diese Aktion: «Wir stolzierten da völlig überschminkt rum und verkauften die Kleider, die die Gewinnerin als Preis gewonnen hatte.»

Mit unüblichen Mitteln kämpften die Frauen der FBB auch für das Recht auf Abtreibung: 1975 machten sie Schlagzeilen, als sie die Mitglieder des schweizerischen Parlamentes in Bern während einer Debatte über die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit nassen Windeln bewarfen.

Demonstration 1975 in Zürich für das Recht der Frauen auf Abtreibung.
«Kinder oder keine – entscheiden wir alleine» – Demonstration vom 8. März 1975 in Zürich für das Recht auf Abtreibung. Schweizerisches Sozialarchiv

1978 organisierte die FBB den «Holland-Bus», der Frauen nach Holland fuhr – zum straffreien Schwangerschaftsabbruch. «Kinder oder keine, entscheiden wir alleine», lautete der Slogan.

Breite soziale Bewegung

Beim Start zählte die Bewegung rund zehn Frauen. Doch nicht alle Gründerinnen blieben bis zum Ende der FBB 1989 in der Organisation. Claudia Honegger ging bereits 1970 zum Studium nach Frankfurt. Zwanzig Jahre später wurde sie Professorin für Allgemeine Soziologie in Bern und Mitbegründerin der Zeitschrift «Feministische Studien». 

Lilo König verliess die FBB 1975 und ist bis heute in der Organisation «augenauf»Externer Link für die Rechte von Asylbewerbern aktiv.

Doch die FBB wuchs: In verschiedenen Schweizer Städten entstanden FBB-Sektionen, auch über die Deutschschweiz hinaus: Im Tessin entstanden die Movimenti Femministi Ticinesi, in Fribourg, Lausanne und Genf die Mouvements de Libération des Femmes – letztere brachten mit Christiane Brunner schliesslich eine Bundesratskandidatin hervor.

Flyer der Frauenbefreiungsbewegung von 1980 mit einem gezeichneten Tigerkopf
Schweizerisches Sozialarchiv

Ein unkontrollierbares Netz

Ende der 1970er-Jahre splitterte sich die FBB zunehmend in verschiedene Gruppen auf: Die Anliegen lesbischer Frauen wurden wichtiger und ebenso das Thema der Gewalt gegen Frauen. Die Frauenhäuser, die Opfern von häuslicher Gewalt Schutz bieten, sind eine Errungenschaft jener Zeit.

1989 dann kam das Ende – die FBB löste sich mit einem grossen Fest auf. 

Eine ihrer Gründerinnen, die 2017 verstorbene Künstlerin Doris Stauffer, sagte damals, die Aktionen von einst seien vielleicht vorbei, doch den Bewusstseinsprozess, der damals eingesetzt habe, könne man nicht mehr umkehren: «Zwischen uns besteht ein wachsendes Netz, nicht greifbar und nicht mehr kontrollierbar. Wir sind immer noch daran, den zähen patriarchalen Filz zu zersetzen.»

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