Bedingungsloses Grundeinkommen scheitert am Geld
Jeden Monat ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten: Im Zürcher Dorf Rheinau wollte die Mehrheit der Bewohnerinnen und -bewohner an einem solchen Versuch teilnehmen. Doch Filmemacherin Rebecca Panian droht mit ihrem Projekt zu scheitern: Im Crowdfunding ist bisher nur ein Bruchteil des benötigten Betrags zusammengekommen. Das Ausland ist bei praktischen Feldversuchen weiter.
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Jeden Monat ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten: Im Zürcher Dorf Rheinau wollte die Mehrheit der Bewohnerinnen und -bewohner an einem solchen Versuch teilnehmen. Doch Filmemacherin Rebecca Panian droht mit ihrem Projekt zu scheitern: Im Crowfunding ist bisher nur ein Bruchteil des benötigten Betrags zusammengekommen. Das Ausland ist punkto praktische Feldversuche weiter.
Der weisse Kreis will sich nicht füllen. Er prangt auf der Startseite der Homepage «Dorf testet Zukunft» und zeigt an, wie viel Geld im Crowdfunding bisher zusammengekommen ist: 150’000 Franken.
Benötigt aber würden viel mehr. Sehr viel mehr: 6,2 Millionen Franken müssten Spenderinnen und Spender zusammenbringen, damit in der Zürcher Gemeinde Rheinau das erste Experiment mit einem bedingungslosen Grundeinkommen der Schweiz starten könnte. Deadline für den Spendenaufruf ist der 4. Dezember.
Darüber hat auch das Schweizer Radio SRF berichtet (Mundart):
Und das wäre der Plan gewesen: Ab Januar 2019 würde hier 770 Personen monatlich ein Betrag bezahlt, der an keinerlei Bedingungen geknüpft ist. Je nach Alter bekäme die Person zwischen 625 und 2500 Franken.
Initiiert wurde das Projekt von der Filmemacherin Rebecca Panian. Als die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2016 wuchtig Nein gesagt hatte zur visionären Volksinitiative für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, begann die Schweizer Regisseurin ein Dorf zu suchen, das bei einem Versuch mit dem Grundeinkommen mitmachen würde. Weil sie fand, dass man die Idee doch erst mal testen soll, bevor man sie ganz abschreibt.
Profitieren würden Hausmänner und Rentnerinnen
Nun läuft das Experiment mit dem Geld Gefahr, am Geld zu scheitern. Was sind die Gründe? Eine Rolle könnte die scheinbare Einfachheit des Anliegens spielen. «Es gibt immer wieder das Missverständnis, dass wir den Menschen ein Jahr Ferien finanzieren wollen, was natürlich nicht stimmt», sagt Rebecca Panian.
Das nach Alter abgestufte Grundeinkommen würde nämlich nicht zusätzlich zum Einkommen der Teilnehmer draufgelegt. Vielmehr wäre das Grundeinkommen Bestandteil des bis anhin erzielten Einkommens. Die meisten Beteiligten würden also nicht mehr Geld erhalten als vorher.
Effektiv profitieren würden nur jene, die heute weniger als 2500 Franken verdienen. Hausmänner beispielsweise, Rentnerinnen oder Selbständigerwerbende. «Längst nicht alle profitieren monetär», sagt Panian. «Sie machen mit, weil sie sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen.»
Gemeinschaftswerk statt Profit
Auf diesem gemeinschaftlichen Gedanken ist das Grundeinkommen-Projekt in Rheinau auch gewachsen. Vorbedingung war, dass mindestens die Hälfte aller Einwohnerinnen und Einwohner Rheinaus beim Versuch mitmachen würden. 650 hätte es gebraucht, 770 hatten sich bei der Gemeinde gemeldet.
Rebecca Panian sagt: «Im Dorf ist bereits jetzt eine kleine Bewegung entstanden.» Ein Vorgeschmack darauf, was der Versuch bewirken könnte. Eine Einwohnerin sagte, sie habe nur schon durch die Diskussion übers Grundeinkommen den Mut fassen können, sich selbstständig zu machen.
Eine andere Bewohnerin sagte, sie unterhalte sich auf einmal mit Menschen, mit denen sie noch nie gesprochen habe. Jemand hat einen Flyer gestaltet, um das Dorf zu animieren, noch mehr über das Projekt zu sprechen und selbst etwas einzuzahlen. Acht Frauen haben diesen dann verteilt – alles Rheinauerinnen, die sich zuvor nicht kannten –, zusammengeführt hat sie die Idee des Grundeinkommens.
Andere Projekte weltweit
Es scheint, als wäre es für das Projekt von Filmemacherin Rebecca Panian in der Schweiz noch zu früh. Im Ausland aber experimentiert man eifrig mit der Umsetzung der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens: In Pilotprojekten werden Erfahrungen und Erkenntnisse rund um diese Neugestaltung der Einkommensverteilung gesammelt. «Die Absichten dahinter sind so verschiedenen wie die Projekte», sagt Enno Schmidt, Künstler und Mit-Erfinder der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommensinitiative von 2016.
Er war in den letzten Jahren im Namen des Grundeinkommens auf der ganzen Welt unterwegs, um die Idee weiterzutragen und neue Projekte kennenzulernen und zu unterstützen. Eine Station, wo seine Vision auf besonders grosses Interesse stiess, war Japan.
Das grösste Experiment läuft aktuell in 124 kenianischen Dörfern. Die humanitäre Organisation GiveDirectly zahlt allen Bewohnerinnen und Bewohnern umgerechnet 22 Dollar – ohne Bedingungen, jeden Monat, zwölf Jahre lang. Auf 30 Millionen Dollar beläuft sich die Gesamtsumme, laut GiveDirectly sind inzwischen 26 Millionen durch Spenden gesichert. Ein Grundeinkommen mit dem Ziel, absolute Armut wirkungsvoll zu bekämpfen.
Eine ganz andere Absicht stand hinter dem Versuch in Finnland: Dort versuchte die Mitte-Rechts-Regierung mit der Ausrichtung eines Grundeinkommens an Langzeitarbeitslose in erster Linie, Sozialkosten einzusparen.
Mehr
«Bedingt» oder Grundeinkommen auf Finnisch
Die praktische Umsetzung aber ist in Finnland nicht überall gut angekommen. Zeitdauer und räumliche Ausdehnung seien zu gering, als dass man genügend Erkenntnisse hätte gewinnen können, kritisierte ein Verantwortlicher der zuständigen Sozialversicherung. Die Auswertung soll 2019 folgen.
Musk und Zuckerberg wollen Grundeinkommen
Neben Entwicklungshilfe und staatlichen Bestrebungen zu Kosteneinsparungen sind die Grundeinkommensversuche in den Industrienationen auch von der Frage nach unserer Zukunft angetrieben: Wie können wir unser Leben finanzieren, wenn Roboter unsere Jobs übernehmen? Und wo stellt sich diese Frage brennender als im hochautomatisierten Silicon Valley und dessen Umgebung?
Das Economic Security Project, das sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt und unter anderem von Facebook-Mitgründer Chris Hughes finanziert wird, startet im Februar nächsten Jahres einen ersten Pilotversuch in Stockton, einer verarmten, kalifornischen Stadt östlich von San Francisco. 100 Einwohnerinnen und Einwohner sollen monatlich bedingungslos 500 Dollar erhalten. Sowieso stösst die Grundeinkommensidee bei Tech-Gründern auf offene Ohren: Tesla-Chef Elon Musk und Facebook-Pionier Mark Zuckerberg unterstützen die Idee öffentlich.
Ernsthafte Bestrebungen für Pilotprojekte gibt es auch in Schottland. Die Regierung hat bereits einen Kredit für Vorbereitungen gesprochen.
Plan B?
Zurück in die Schweiz, ins Zürcher Weinland, nach Rheinau. Was passiert, wenn das Geld nicht zusammenkommt, wenn das Crowdfunding endet? «Ich möchte noch nicht von einem Plan B sprechen, da sich – ganz gemäss dem demokratischen Diskurs, den wir im ganzen Projekt pflegten – erst die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu äussern sollen, ob und wie wir weitermachen würden», sagt Initiantin Rebecca Panian.
Sie hofft erstmal auf ein Crowdfunding-Wunder: «Es wäre toll, wenn wir weitermachen können, wir sind schon so unglaublich weit gekommen.»
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