So retten die Jungen das Milizsystem
"Meine Abwesenheit während des WKs (Wiedeholungskurs in der Schweizer Armee) wird von den Arbeitgebern ja auch akzeptiert!", entrüstet sich ein Jungpolitiker. Folglich sollen Arbeitgeber auch gegenüber Jungen, die auf freiwilliger Basis ein Milizamt übernehmen, Flexibilität an den Tag legen und deren ausserberufliches Engagement mehr würdigen, fordert er.
Wie kann das akute Nachwuchsproblem im Schweizer Milizsystem gelöst werden? Rund 50 Jungpolitikerinnen und Jugendparlamentarier haben an der diesjährigen Soirée Politique des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente DSJ in Bern analysiert und diskutiert. Als Resultat legen sie sieben Lösungsvorschläge auf den Tisch.
Im Schweizer Milizwesen fehlt es an Nachwuchs – und zwar gewaltig! Gerade einmal acht Prozent der Mitglieder der Gemeinderäte, das sind die Exekutiven auf kommunaler Ebene, sind unter 40 Jahre alt. Zur Einordnung: In der Schweiz sind auf kommunaler Ebene insgesamt rund 100’000 Personen in einem politischen Amt tätig. Dies im Gemeinderat, Gemeindeparlament oder in einer Kommission (Quelle: Schweizer. Gemeindeverband SGV).
Für den Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) war deshalb klar, dass im «Jahr der Milizarbeit 2019» des SGV auch junge Erwachsene mitreden sollen, wenn es um die dringend nötige Reform des Milizwesens geht. Denn letztlich sind es die Jungen, die in Zukunft das Milizsystem tragen und prägen werden.
Die Stossrichtung ist klar: Sie wollen mehr Mobilität sowie Flexibilität in der Ausübung eines Milizamts. Und sie sagen dem Papierkrieg den Kampf an.
Hier die sieben Vorschläge, um das Schweizerische Milizsystem für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen attraktiver zu machen:
1. Flexibler, im Gesetz verankerter Bürgerdienst: Im Rahmen eines allgemeinen, gesetzlich verankerten Bürgerdienstes kann das Milizamt angerechnet werden und so etwa die noch zu leistenden Diensttage für die Schweizer Armee kompensieren. Die Idee dazu entwarf ursprünglich der Think Tank Avenir Suisse. Die Umsetzbarkeit und der eigene Ansporn wird von den Jugendlichen als sehr hoch eingeschätzt. Fraglich ist hier jedoch, ob Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam an einem Strang in dieselbe Richtung ziehen würden.
2. Gemeinderat auf Probe und Mentoringprogramm: Junge Miliztätige werden nach Wunsch von älteren Kolleginnen und Kollegen gecoacht und an das Amt und die damit verbundene Verantwortung herangeführt. Zu diesem Zweck wird eine Online-Plattform ehemaliger bzw. bald aus dem Dienst scheidender Miliztätiger geschaffen, um die Vermittlung solcher Mentorinnen und Mentoren zu vereinfachen. Das Credo der Onlineplattform: Find your local mentor! Als Vorbild dient hier die Plattform sheknows.ch von Alliance F. Auf jeden Fall einen Versuch wert!
3. Digitalisierung des Arbeitsalltags von Miliztätigen: Der Arbeitsalltag von Miliztätigen wird technisch soweit wie möglich digitalisiert, um ein zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten zu ermöglichen. Alle Dokumente werden dabei digital zur Verfügung gestellt – ein leicht umsetzbarer und längst überfälliger Schritt.
4. Aufhebung bzw. Lockerung der Wohnortspflicht: Durch die Aufhebung bzw. Lockerung der Wohnortspflicht wird der Rekrutierungspool potentieller Trägerinnen und Träger eines Milizamts vergrössert. Damit wird der zunehmenden Mobilität, insbesondere von jungen Menschen, Rechnung getragen. Die Debatte dazu stiess allerdings bereits in der Vergangenheit auf viel Gegenwind, weil die Verankerung der Miliztätigen in ihren Gemeinden als wichtig erachtet wird. Ob diese Regelung aber noch zukunftsträchtig ist, wird die Debatte zeigen.
5. Nationale Online-Jobbörse für freie Milizämter: Es wird eine nationale Online-Jobbörse geschaffen, auf der vakante Milizämter ausgeschrieben sind. Hier wird dem Informationsbedarf der jungen Erwachsenen rund um das Milizsystem und dem Transparenzanspruch Rechnung getragen. Daumen hoch!
6. Stärkung von Netzwerken junger Miliztätiger: Informelle Netzwerke junger Miliztätiger dienen ihnen als «Selbsthilfegruppen». Sie bieten ihnen Rat sowie Rückhalt und können helfen, weitere potentielle KandidatInnen zur Übernahme eines Milizamts zu animieren. Das Networking unter Miliztätigen und solchen, die es werden wollen, ist halt eben genau so wichtig und wird allzu oft unterschätzt.
7. Job-Sharing: Milizämter können im Jobsharing ausgeführt werden, um die Arbeitsbelastung Einzelner zu verringern. Dies eine sinnvolle Idee, die teils schon so umgesetzt wird, aber ebenfalls Kritik aufflammen lässt.
Was passiert jetzt mit den Vorschlägen? Sie werden an der Miliz-Tagung vom 28. November 2019 von den verschiedenen Stakeholdern besprochen (siehe Box unten). Die Quintessenz: Es braucht mehr jugendliche Stimmen in den öffentlichen Debatten.
Hier spreche ich nicht von Pro-Forma-Partizipation, sondern von echtem Platzeinräumen. Junge Erwachsene als Podiumsteilnehmende, Autorinnen und Autoren, Leitende von Workshops – es ist Zeit, die junge Generation als vollwertige Gesprächspartner in die politische Lösungsfindung einzubinden. Gerade, wenn es um das Überleben eines Grundpfeilers der Schweizer Demokratie, aber auch deren Zukunft insgesamt geht!
Jahr der Milizarbeit
Mit dem Jahr der Milizarbeit will der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) die Öffentlichkeit auf die Krise des Schweizerischen Milizsystems aufmerksam machen.
Insbesondere auf Ebene der Lokaldemokratie nimmt die Krise teils dramatische Ausmasse an. Die wichtigsten Faktoren: sinkende politische Beteiligung der Bürger, Mangel an Freiwilligen für politische Ämter, abnehmender politischer Gestaltungsspielraum, Gemeindefusionen, Verschwinden lokaler und regionaler Medien.
Um eine vertiefte interdisziplinäre Diskussion über mögliche Auswege zu fördern, organisiert der SGV im Jahr 2019schweizweite Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit Partnern aus verschiedenen Sektoren.
Diskussionen zwischen Experten und der Öffentlichkeit sollten Impulse für Reformen geben, die nach Ansicht des SGV dringend notwendig sind, um das Milizsystem zu stärken und zu entwickeln.
Am 28. November findet in Bern eine Tagung zum Thema «Jugend, Mobilität und Digitalisierung im Schweizer Milizwesen»Externer Link statt.
swissinfo.ch ist Medienpartner des «Jahres der Milizarbeit» und veröffentlicht regelmässig Beiträge zum Thema.
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