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E-Voting: Die Parteien zeigen sich wieder offen

Podium mit den Parlamentsmitgliedern Carlo Sommaruga (SP/GE), Laurent Wehrli (FDP/VD), Nicolas Walder (Grüne/GE), Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL), Roland Fischer (GLP/LU) und Roland Büchel (SVP/SG), Adrian Moser / ASO

Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer werden für die Schweizer Demokratie immer wichtiger. Darin sind sich sechs Vertreter der grossen Schweizer Parteien einig. Darum zeigen sich die Parteien auch beim E-Voting wieder kooperativ.

Seine Hand zeigt vom Podium herab, schweift über das Rund des Saals, wo die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sitzen. «Meine Wahl in den Ständerat habe ich auch den Auslandschweizer:innen zu verdanken», sagt Sozialdemokrat Carlo Sommaruga. Es ist eine gekonnt gesetzte Geste: Ehrerbietung.

Auch sein Kollege neben ihm sendet ein Signal der Wertschätzung. «Das Potenzial der Auslandbürger:innen wird in der Schweiz total unterschätzt», ruft Nicolas Walder, Nationalrat der Grünen aus Genf in den Saal. Die anderen Nationalräte auf dem Podium nicken. Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin der Mitte, schliesst sich an. Sie übergiesst die Leute im Kongress-Saal – viele ältere Semester – mit Lob: «Ihr seid Influencer!»

200’000 Wähler:innen

So viel Wertschätzung für Ihre Teilnahme am heimischen Demokratiebetrieb haben die Delegierten der Schweizer Clubs und Vereine im Ausland selten erhalten, dazu noch in so geballter Form. Da sassen sechs politische Schwergewichte aller Parteien aufgereiht von links nach rechts auf einer Konferenzbühne und sagten unisono, man müsse alles technisch und finanziell Mögliche tun, damit die Fünfte Schweiz ohne Hindernisse regelmässig abstimmen kann.

Und wählen natürlich. Das wird auch der Grund für diese neue Tonalität in der Schweizer Politik sein. Denn in einem Jahr sind eidgenössische Wahlen. Gut 200’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland werden dabei mitmachen. Das ist ein beachtliches Elektorat, es entspricht der Stimmkraft eines mittelgrossen Kantons. Keine Partei kann diesen Umstand ignorieren, und kaum je waren die Avancen so konkret. Das Versprechen lautet: Man will dem grössten Anliegen der Schweizer Diaspora, dem E-Voting, nicht mehr grundsätzlich im Wege stehen.

«Wir investieren viel zu wenig Geld in die öffentliche Digitalisierung»: Elisabeth Schneider-Schneiter. Links von ihr der Grüne Nicolas Walder. Adrian Moser / ASO

Denn die Postwege der Unterlagen für Schweizer Urnengänge ins Ausland sind unzuverlässig, für viele Stimmbürger:innen im Ausland oft zu lang, für viele Regionen schlicht nicht tauglich. E-Voting wäre darum die elegante Lösung, aber diese liegt in weiter Ferne. Die Schweiz hat jahrelange Versuche unternommen, viele Erfahrungen gesammelt. Doch dann folgten Rückschläge in Serie, bis das Vertrauen in alle Systeme vollends erodierte. Die Schweizer Demokratie sei zu wertvoll für Experimente, hiess es 2019 – ein «Debakel» sei das gewesen, sagt der Präsident der Auslandschweizer-Organisation ASO, Filippo Lombardi.

Wie damals, als die Briefpost kam

Doch das jahrelange Lobbying der ASO zeigt Wirkung. Derzeit wird ein neues System erfunden. Alle Lehren von früher sollen dort einfliessen. Aber ist das Vertrauen des Volks in ein elektronisches Abstimmungs-System denn noch reparierbar? «Es gibt in allen Parteien Leute, die bereit sind für E-Voting», sagt Nicolas Walder von den Grünen. «Die Debatten heute erinnern mich an jene bei der Einführung der Briefpost», ergänzt Laurent Wehrli, Nationalrat der FDP. Roland Büchel, Volksvertreter der SVP, schliesst ab mit einer Grundvoraussetzung: «Wenn Sie nicht vertrauen können, dass das System funktioniert, dann werden sie das Einverständnis der Leute nie haben.» Dass man dem Staat misstraue, sei grundsätzlich auch nicht unvernünftig, fügt er an.

Elisabeth Schneider-Schneiter nimmt den Faden auf. Sie sagt: «Im Bereich der Digitalisierung müssen wir auch mal ein Risiko eingehen. Die Industrie hat es im Griff. Wir investieren viel zu wenig Geld in die öffentliche Digitalisierung.»

«Man spricht von Renten-Profiteuren unter Palmen»: Laurent Wehrli (M.), links von ihm Carlo Sommaruga, rechts Nicolas Walder. Adrian

Natürlich lässt sich die Schweiz ihre einzigartige halbdirekte Demokratie seit jeher etwas kosten. Aber sind die Auslandschweizer:innen dem Land dies letztlich wert? Immerhin gibt es auch diese «fürchterliche Debatte über Auslandschweizer», wie Laurent Wehrli (FDP) in Erinnerung ruft: «Man spricht von Renten-Profiteuren unter Palmen. Oder noch schlimmer, von diesen Schweizern, die reinreden und keine Steuern bezahlen.»

Die Sicht auf E-Voting hat sich entwickelt

E-Voting galt bisher als ein Unterfangen, auf das vor allem Auslandbürger:innen angewiesen sind, dazu noch Menschen mit einer Behinderung. Für Inlandbürger:innen galt es eher als technisches Gadget, vielleicht noch als Fähigkeitszeugnis eines zukunftsfitten Staats. Gut zu haben, aber es geht auch ohne. Es eilte nicht.

Doch diese Sicht hat sich entwickelt. Das wurde am Auslandschweizer-Kongress 2022 in Lugano überdeutlich klar. Dieser hatte die Demokratie im Fokus. Er fand erstmals nach drei Jahren wieder physisch statt, und allein in diesen drei Jahren hat sich viel verändert: Es gilt inzwischen als Binsenwahrheit, dass Demokratien keine Selbstläufer mehr sind.

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Sie brauchen Stärkung und Pflege, um gegen schädliche Einflüsse von aussen, Zersetzung von innen und gegen Autokraten zu bestehen. Eine solche Stärkung ist Diversität: Je vielfältiger und breiter ein System – oder ein Elektorat – aufgestellt ist, desto besser legitimiert sind die Entscheide, umso höher seine Resilienz.

Neue Gruppen, stärkere Demokratie

«Die Inklusion von möglichst vielen Gruppen stärkt die Demokratie», sagt Roland Fischer, Nationalrat der Grünliberalen Partei auf dem Podium. An der Diskussion – aber auch an allen Gesprächen und Voten über den ganzen Kongress hinweg – wurde klar, dass in solchen Gedanken explizit auch Ausländer:innen in der Schweiz und jüngere Generationen von Stimmbürger:innen mitgemeint sind: Je mehr mitreden, desto besser. Denn soll die Demokratie bestehen, braucht sie stete Erneuerung.

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Doch gibt es da nicht auch eine Angst?

Andreas Feller ist einer der jüngsten Vertreter im «Parlament der Auslandschweizer:innen», dem Auslandschweizer-Rat. Er stellte die Frage an die gestandenen Politiker:innen auf dem Podium, süffisant formuliert: «Könnte E-Voting nicht auch die Zusammensetzung des Elektorats signifikant ändern?»

Mit anderen Worten: Haben die Etablierten vielleicht etwas zu verlieren, wenn plötzlich neue Wähler:innen auf den Plan treten?

«Nein, davor haben wir keine Angst», sagt Roland Fischer von den Grünliberalen. «Wenn wir mehr junge Menschen mit E-Voting ansprechen können, kann sich etwas Neues entwickeln.»

Die erfahrene Instinkt-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter gab dem jungen Auslandschweizer aus England dennoch recht. «Ja», sagte sie. «Unbekannte Technologien schaffen Unsicherheit.» Ja, sagt sie. Das habe einen Einfluss. 

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