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Ein «einzigartiges soziales Abenteuer» auf dem Genfersee

Mit einem grossen Volksfest wird die Galeere "La Liberté" in Morges gewassert. Keystone

Mit einem Fest in mittelalterlicher Atmosphäre wurde am Samstag (23.06.) vor 45'000 (!) Personen in Morges am Genfersee die Galeere "La Liberté" vom Stapel gelassen. Das Holzschiff aus dem 17. Jahrhundert wurde von Arbeitslosen nach französischen Originalplänen gebaut und dient als Touristen-Attraktion.

«Seit 30 Jahren kenne ich den Genfersee und die Seefahrt ist meine Leidenschaft», erklärte der Initiant des Projekts, Jean-Pierre Hirt, gegenüber swissinfo. Aufgerüttelt über die hohe Arbeitslosigkeit in der welschen Schweiz zu Beginn der 90er Jahre, rief der Gewerkschafter das Beschäftigungs-Programm für Arbeitslose ins Leben. In über sechs Jahren bauten 400 Arbeits-Suchende die Galeere von 55 Meter Länge.

Weltpremière

Die «Liberté» ähnelt den Galeeren, die zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert auf dem Genfersee verkehrten. Schiffsbauer aus Genua konstruierten damals die Boote im Auftrag der Grafen von Savoyen. Zum letzten Mal standen Galeeren 1798 auf dem Lac Léman in Kriegsdiensten: als die Franzosen Genf und die Waadt eroberten.

«Pläne von originalen Genfersee-Schiffen fehlten. Nach langem Suchen wurde ich im Musée de la Marine in Paris fündig», sagte Hirt. So stellt die «Liberté» einen Mittelmeer-Typ aus dem 17. Jahrhundert dar und ist nach Angaben Hirts der heute weltweit einzig schwimmfähige Nachbau eines solchen Schiffes.

Ruderer, Segel und Dieselmotoren

Die Galeere ist fast ganz aus Holz gebaut. «1’000 Kubikmeter Eiche, Lärche, Kiefer und Tanne wurden von verschiedenen Gemeinden und Kantonen gratis zur Verfügung gestellt», fügte Hirt hinzu. Jeweils bis zu 41 Ruderer werden das Schiff ab kommenden Sommer bewegen. Sie werden dafür speziell ausgebildet.

«Es ist ziemlich schwierig, den Koloss von Hand zu manövrieren, denn mit beidseitig ausgelegten Rudern ist die Galeere 25 Meter breit», meinte Hirt. Wenn genug Wind blase, könne die Mannschaft an zwei 24 und 17 Meter hohen Masten auch Segel setzen. Und in Notsituationen könne das Schiff auch mit seinen zwei 150 PS starken Dieselmotoren fahren.

Willkommen an Bord!

Ab Sommer 2002 wird die Galeere als Touristen-Attraktion und als Ausbildungs-Schiff dienen. Hirt rechnet mit mehreren Tausend zahlenden Besuchern jährlich, die sich auf dem Schiff über den Genfersee fahren lassen.

Die «Liberté» soll auch für kulturelle und sportliche Anlässe eingesetzt werden. So sollen beispielsweise Kinder bei eintägigen Ausflügen die Geschichte des Sees und die mittelalterliche Navigation kennenlernen. «Die Galeere bietet Erfahrungen an, die man in der Schweiz nirgends machen kann», meint Hirt stolz.

Das Projekt kostete 2,7 Mio. Franken. Die Beiträge wurden bestritten durch einen speziell gegründeten Verein. Nicht nur von Mitgliedern sondern auch von Sponsoren, Gönnern und Besuchern floss Geld in die Vereinskasse: «Bereits 140’000 Interessierte haben die Werft besucht und das Schiff in den verschiedensten Baustadien gesehen», präzisierte Hamid Sadozi in seiner Funktion als «guide».

Galeere der Solidarität

Im Rahmen von jeweils sechsmonatigen Beschäftigungs-Programmen fanden rund 400 Stellensuchende eine Arbeit auf der Werft. «In den ersten Bauphasen kamen vor allem arbeitslose Bauleute, nicht nur Schreiner oder Spengler, sondern auch Architekten und Ingenieure», sagte Hirt. Als die Wirtschafts-Krise sich besserte, sei der Bestand der Werftarbeiter gesunken.

«Viele, die wieder eine Beschäftigung gefunden hatten, konnten sich jedoch von der Galeere nicht trennen und bauten in ihrer Freizeit weiter», fügte Hirt hinzu. «Das Ganze ist ein einzigartiges soziales Abenteuer».

Zum Beispiel Roland Mercier

«Es bedeutet mir sehr viel, beim Bau dieses Schiffes mitzumachen», sagte der 60jährige arbeitslose Maschinen-Ingenieur Roland Mercier gegenüber swissinfo. Er habe als Arbeitsloser einen Ausweg aus Isolation, Leere und Monotonie gesucht und sich bei diesem Beschäftigungs-Programm gemeldet. «Die Solidarität und gute Stimmung in der Gruppe haben mich aus meiner Depression geholt.»

Allerdings bezweifle er, ob viele nachher wieder eine Arbeitsstelle finden werden. Das könne nach einer solchen Erfahrung schwierig werden. «Träumer und Idealisten haben in der heutigen harten Arbeitswelt kaum eine Chance», ist Roland Mercier überzeugt.

Alina Kunz Popper

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