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Ein «schwarzes Schaf» im Parlament

Ricardo Lumengo, der neu gewählte Nationalrat, will im Parlament Impulse setzen. Keystone

Der ehemalige Asylbewerber Ricardo Lumengo kam 1982 aus Angola in die Schweiz. Am 21. Oktober wurde er in den Nationalrat gewählt. Lumengo lebt in Biel.

Als zweiter Afrikaner im Schweizer Parlament will er sozialdemokratische Werte verteidigen und sich gegen die Ausgrenzung der Schwächsten einsetzen.

«Der heftige Tritt in den Hintern des schwarzen Schafes katapultierte Ricardo direkt ins Bundeshaus», resümiert Alain Sermet, Mitglied des Stadtparlaments von Biel und sozialdemokratischer Parteikollege von Lumengo.

Für die Werbekampagne der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und das Wahlplakat, auf dem weisse Schafe ein schwarzes Schaf aus der Schweiz vertreiben, hat der neu Gewählte nur ein Wort übrig: «widerlich».

Ricardo Lumengo wählt den Ausdruck mit Bedacht und gibt unumwunden zu, dass die Kampagne schwer zu ertragen war und ihn «sehr getroffen» hat.

Jene, die politisch mit ihm verkehren, wundern sich nicht über seine Zurückhaltung. Sie ist charakteristisch für ihn. Er sei in die Schweiz gekommen, um seine Chance wahrzunehmen und weil hier ein Leben in Würde und Anstand möglich ist, wie er sagt.

Er flüchtete aus der ehemaligen Kolonie Portugals, in der die Volksbewegung zur Befreiung Angolas MPLA die Macht ausübte, und in der Lumengo zum kritischen Flügel der Partei gehörte. Vorerst fand er Unterschlupf in Portugal, wo er sich jedoch nicht sicher fühlte.

Schliesslich beantragte er Asyl in der Schweiz, um seine politische Arbeit und den Kampf für die Demokratie ausserhalb seines Landes weiterzuführen.

Leute waren offener

«Wäre ich heute Asylbewerber, würde ich kaum den Weg gehen, den ich gegangen bin. Damals hatte ich die Möglichkeit, in einem Vollzeit-Job für das Asylwesen zu arbeiten, es gab weniger administrative Hürden zu überwinden. Er gibt jedoch unumwunden zu, dass sein «verklärtes» Bild der Schweiz in der Vergangenheit «ein bisschen gelitten» hat.

«Damals waren die Leute offener. Beim Autostopp beispielsweise wurde ich öfters von Automoblisten mitgenommen, die mir Fragen über Afrika stellten. Heute weckt ein junger Afrikaner mit erhobenem Daumen am Strassenrand sofort Misstrauen, aus Gründen der Kriminalität», vermutet der seit 1997 eingebürgerte Schweizer.

Gegen die Jugendarbeitslosigkeit

Ricardo Lumengo arbeitete in einem Restaurant in Ulmiz, um sein Jus-Studium an der Universität Freiburg zu finanzieren. Die Wirtin Heidi Trachsel erinnert sich an den «witzigen, lebenslustigen und sehr intelligenten Menschen». Innerhalb kürzester Zeit lernte er Schweizerdeutsch und beherrscht heute acht Sprachen, darunter drei afrikanische.

In der zweisprachigen Stadt Biel, wo er im interkulturellen Integrationszentrum Multimondo arbeitet, fühlt sich Lumengo zu Hause. Seit 2005 sitzt er im Stadtparlament und seit 2006 auch im Berner Kantonsparlament. Diese zwei Mandate wird er nun abgeben, um sich ganz seiner neuen Funktion als Nationalrat zu widmen.

Auf der Liste seiner politischen Anliegen figurieren Themen wie Bildung, Jugendkriminalität und Arbeitslosigkeit, mit einem besonderen Augenmerk auf den erleichterten Zugang zur Bildung für alle und auf die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, auch von Jugendlichen mit höherer Schulbildung. Er plädiert für eine bessere Abstimmung von Stellenmarkt und Bildungswesen, denn er weiss, dass eine Benachteiligung negative Auswirkungen haben kann.

Erster Afrikaner im Bundeshaus

Ricardo Lumengo befürwortet die Integrationsverträge und gibt der Multikulturalität weiterhin eine Chance. Er beklagt «den politischen Missbrauch des Themas ‹Fremde› und den soziokulturellen Kontext, der sich daraus ableiten lässt».

Dies ist seine Art, seinem einzigen erklärten Feind, dem Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer von der Freiheitspartei, die Stirn zu bieten.

Kürzlich hat das bernische Obergericht die Freiheitspartei in die Schranken gewiesen. Sie hatte die Web-Site-Adresse von Lumengo auf ihren Partei-Blog umgeleitet. In diesem wurde der schwarze Sozialdemokrat heftig kritisiert.

Tilo Frey war 1971 die erste Afrikanerin, die als Mitglied der Freisinnigen Partei ins Parlament gewählt wurde. Es war jene Zeit, «als Blocher Schwarzenbach hiess» und die Schweizer Frauen nach langem Kampf das Stimm- und Wahlrecht erhielten.

Alt-Nationalrätin Frey rät Ricardo Lumengo, «sich nicht mit rassistischen Vorurteilen zu beschäftigen, sondern vielmehr mit einem Lächeln sein Bestes zu geben».

«Kümmern Sie sich nicht um das Gekläff der Kritiker, verfolgen Sie weiter ihre Ziele – die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter!», erinnert sie ihn und wünscht ihm alles Gute.

swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Ricardo Lumengo wurde am 22. Februar 1962 in Angola geboren

Mit 20 Jahren flüchtete er aus seinem Land und stellte 1982 in der Schweiz einen Asylantrag.

Nach seinem Jus-Studium an der Universität Freiburg wird Ricardo Lumengo 1996 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, noch bevor er das Schweizer Bürgerrecht hat.

Den Schweizer Pass erhält er ein Jahr später.

Im Jahr 2005 wird er ins Stadtparlament von Biel gewählt und ein Jahr später in den Grossrat des Kantons Bern.

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