Ein Grand Seigneur der Wirtschaft geht
Das Ausscheiden von Rainer E. Gut als Präsident des Nestlé-Verwaltungsrats schliesst ein Kapitel schweizerischer Wirtschaftsgeschichte.
Der einflussreiche Bankier galt als Haupt einer Manager-Generation, welche die ökonomische Macht im Land über 30 Jahre verwaltet hat.
Der 72-jährige Rainer E.Gut wird am Donnerstag sein letztes wichtiges Mandat aufgeben. Aus Altersgründen muss er auf den bequemen und ruhigen Chefsessel im Nestlé-Verwaltungsrat in Vevey verzichten.
Damit tritt einer der einflussreichsten Bankiers der Schweiz ab. Gut ist weltweit bekannt und hat sich auch an der Wall Street einen Namen gemacht.
Überschattet wird Guts Abgang aus dem Nestlé-Verwaltungsrat durch einen Aktionärsstreit um seinen designierten Nachfolger und Konzernchef Peter Brabeck. Die Anlagestiftung Ethos wehrt sich gegen ein Doppelmandat Brabecks, das von Gut unterstützt wird.
Gut gehört zum Kreis der alt gedienten Manager, die in den vergangenen drei Jahrzehnten das Schicksal der Schweiz mitbestimmt haben. Als Werkzeug diente ihm ein dichtes, nicht immer transparentes Netzwerk zwischen Wirtschaft und Politik.
In der wirtschaftlichen Champions-League
Rainer E. Gut stiess in den 1970-er Jahren zur Kreditanstalt in Zürich, der heutigen Credit Suisse Group (CSG). Zuvor hatte er als Bankier einige Jahre Berufserfahrungen in den USA gesammelt.
Unter seiner Leitung wird die Kreditanstalt in ein hoch professionelles Unternehmen umgekrempelt. Das Unternehmen nimmt bald eine führende Rolle im internationalen Bankgeschäft ein.
«Rainer E. Gut war einer der wichtigsten Manager in der Schweiz. Er hat helvetische Banken und andere Unternehmen dazu gebracht, in der Champions-League der internationalen Weltwirtschaft mitzuspielen», sagt Erik Nolmans, Journalist der Wochenzeitschrift «Bilanz» und Co-Autor einer Monographie über den bekannten Banker.
Einige Jahrzehnte lang blühte der Schweizer Finanzplatz. Es gelang, rund 30 Prozent der weltweit ins Ausland transferierten Vermögen zu verwalten. Das sind zirka 3300 Milliarden Franken.
Gewagte Operationen
Gegen Ende der 1990-er Jahre zieht der Rhythmus der Finanztransaktionen an. Die Aktien steigen, und die neuen Technologien kreieren in wenigen Tagen Milliarden-Gewinne.
Diese Logik des Aktienmarkts veranlasst auch die «alten Hasen» im Bankgeschäft, ihre traditionelle Vorsicht über Bord zu werfen und in oft auch leichtsinnigen Operationen ihr Glück zu versuchen.
Credit Suisse kauft so für (zu) viel Geld den Versicherungskonzern Winterthur (15 Mrd. Franken) und diverse Investitionsfirmen, darunter Donaldson Lufkin & Jenrette (20 Mrd. Franken). Doch dem Börsenhoch folgt ein Debakel.
Als Rainer E. Gut im Jahr 2000 seinen Posten bei der Credit Suisse aus Altersgründen aufgeben musste, hinterliess er seinem Nachfolger, Lukas Mühlemann, ein schwieriges Erbe.
Politische Seilschaften
In den Jahren 2002 und 2003 wiesen die Schweizer Grossbanken und Versicherungskonzerne, darunter die CS, die schlechtesten Bilanzen ihrer Geschichte auf. Dies war einerseits eine Folge der Krise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, aber andererseits auch eine Auswirkung der Ende der 1990-er Jahre eingetretenen Krise der Finanzmärkte nach dem Hoch.
Einige Manager mussten ihre Chefsessel räumen, so Mühlemann bei der CS. Aber auch bei Versicherungen wie Zürich, Rentenanstalt (Swiss Life) und Winterthur rollten köpfe. Die Kritik gegen die «arroganten Zürcher Manager» wurde lauter; ihre wirtschaftlichen und politisch-freundschaftlichen Querverbindungen, vor allem mit der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), standen am Pranger.
Der Hauptvorwurf: Die Mandate in Verwaltungsräten würden nicht gemäss Fachkompetenzen, sondern gemäss persönlichen Bekanntschaften und Vetternwirtschaft vergeben – ein System, in dem Rainer E. Gut als «Chef der Schweizer Human resources» galt.
Der Fall Swissair
Dieses System offenbarte sich in seiner ganzen, verheerenden Tragweite beim dramatischen Grounding der Swissair. Das war 2001. Die Schweiz stand unter Schock.
An der Spitze der nationalen Fluggesellschaft stand damals eine Gruppe von Repräsentanten der FDP, die Rainer E.Gut ausgewählt hatte. Er selber war bis 1995 Mitglied des Swissair-Verwaltungsrats.
Der grosse Strippenzieher schaffte es noch einmal, die beiden FDP-Bundesräte Kaspar Villiger und Pascal Couchepin sowie einige Wirtschaftsbosse davon zu überzeugen, vier Milliarden Franken für die Gründung einer neuen nationalen Fluggesellschaft (Swiss) bereit zu stellen.
Das Erstaunliche: Die Vertreter eines Wirtschaftsliberalismus schrecken nicht vor staatlichen Subventionen zurück, wenn es darum geht, das eigene Gesicht zu wahren.
Wirtschaftlicher und politischer Niedergang
Doch die Krise der Swissair und der grossen Bankinstitute und Versicherungen hinterlässt in Zürich und beim Freisinn tiefe Spuren. Der Finanzplatz Zürich verliert an Ansehen (zum Vorteil Basels), und die FDP als bürgerliche Traditionspartei verliert zusehends ihre Macht an die Schweizerische Volkspartei (SVP).
«Die Glaubwürdigkeit der Manager ist mit ihrem Erfolg verknüpft. Die Schwächen der Führungsschicht, die mit der FDP verbandelt war, hat der SVP in den letzten Jahren einige Munition geliefert», analysiert Erik Nolmans.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
1973: Eintritt in die Credit Suisse nach fünfjähriger Banktätigkeit in den USA
1983–2000: Präsident des Verwaltungsrats von Credit Suisse
1974-1995: Mitglied des Verwaltungsrats von Swissair
2000-2005: Präsident des Verwaltungsrats von Nestlé
Rainer E. Gut darf als bedeutendster und einflussreichster Schweizer Wirtschaftsmanager der letzten 30 Jahre bezeichnet werden.
Im April gibt Gut seinen letzten, wichtigen Posten auf: das Verwaltungsratspräsidium bei Nestlé.
Rainer E. Gut ist eine kontroverse Persönlichkeit. Über ihn wurde bereits ein Buch geschrieben: Erik Nolmans, René Lüchinger, «Rainer E.Gut: Bankier der Macht», Bilanz-Verlag.
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