Ein Schuldspruch und seine Reaktionen
Das Urteil gegen den türkischen Politiker Dogu Perinçek wird in der Schweiz begrüsst, wenn auch oft die Antirassismus-Strafnorm hinterfragt wird. Die Türkei reagierte enttäuscht.
Perinçek wurde wegen der Verletzung des Rassismus-Gesetzes verurteilt. Er hatte den Genozid an den Armeniern durch die türkischen Machthaber in den Jahren 1915 bis 1917 geleugnet.
Das Gerichtsurteil hat grosses Echo ausgelöst. Denn es handelt sich um die weltweit erste Verurteilung wegen Leugnung eines Völkermordes an den Armeniern.
Die Titelseite der Berner Zeitung steht stellvertretend für die Bandbreite der Reaktionen. «Die Türkei ist empört», heisst es da und der Kommentar trägt den Titel «Richtig».
Damit mein die Zeitung nicht, dass die Empörung der Türkei richtig sei, sondern das Urteil gegen Dogu Perinçek.
«Das Massaker an den Armeniern war ein Völkermord, dafür gibt es genügend historische Beweise. Wer hier zu Lande einen Genozid leugnet, der wird dafür bestraft», schreibt die Zeitung.
Türkei reagiert
Das türkische Aussenministerium hat das Gerichtsurteil gegen den Nationalisten Dogu Perinçek «mit Bedauern» zur Kenntnis genommen.
«Dieses Urteil kann vom türkischen Volk unmöglich hingenommen werden», erklärte das Aussenministerium in Ankara. Die Türkei hoffe, dass «diese Ungerechtigkeit» im weiteren Verlauf des Verfahrens korrigiert werde.
«Schändliche Schweiz» lautete die Schlagzeile auf der Titelseite der nationalistischen Zeitung «Gözcü». Die bürgerliche Presse berichtete weniger polemisch.
Die Zeitung «Hürriyet» zitierte den Nationalisten mit den Worten, sein Prozess habe in der Schweiz eine Debatte über die strafrechtliche Verfolgung von Ansichten zu historischen Ereignissen ausgelöst.
Ohne den Prozess gegen Perinçek zu erwähnen, hatte der türkische Minister-Präsident Erdogan in seiner Ansprache während seines Besuches in Aserbaidschan den Vorwurf eines türkischen Völkermordes an den Armeniern erneut zurückgewiesen und gesagt: «Auf einem Fundament aus Lügen lässt sich keine Wahrheit bauen.»
Türken in der Schweiz äussern sich zurückhaltend
Die Basler Zeitung hat sich bei türkischen Landsleuten in der Schweiz umgehört. Sie, die sich in beiden Kulturen bewegen, sagten oft, dass sie sich zum Urteil nicht äussern wollten.
Diejenigen, die Stellung bezogen meinten, dass es solche Urteile brauche, damit überhaupt über die Genozid-Frage gesprochen werde.
Auch wird bedauert, dass sich die Schweiz nicht in einer «friedvolleren» Art für die Vergangenheitsbewältigung in der Türkei einsetze.
Gesetz hinterfragt
Die Antirassismus-Strafnorm, gemäss dieser wurde Perinçek verurteilt, ist allerdings auch in der Schweiz nicht unbestritten.
Robert Nef, der Leiter des Liberalen Institutes in Zürich, sagt im St. Galler Tagblatt: «Die Antirassismus-Norm krankt daran, dass sie einen Begriff verwendet, der selbst Teil des Problems ist: «Rasse».
Justizminister Christoph Blocher hatte die Debatte über die Rassismus-Strafnorm bei seinem Besuch von Anfang Oktober 2006 in der Türkei losgetreten. Blocher hatte damals erklärt, in seinem Departement sei bereits seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe an der Arbeit, die Revisionsvorschläge für die 1995 in Kraft getretene Strafnorm prüfe.
Geprüft wird, ob der Tatbestand des Genozid einzig auf den Holocaust beschränkt werden soll. Dazu die neue Zürcher Zeitung:
«Eine Gesetzesrevision um die Genozid-Leugnung im Strafrecht auf den Holocaust zu beschränken, liesse sich von der Sache her schwer begründen und gleich auch die Auschwitz-Leugnung wieder zuzulassen, wäre eine Folgerung, die politisch erst recht kontrovers sein dürfte.»
Gerichte schreiben Geschichte
Die welche Le Temps schlussendlich stellt sich die Frage, ob die Richter an den Gerichten auch Geschichte schreiben?
«Die Antwort lautet auf jeden Fall ja», schreibt Le Temps. Die Richter in Nürnberg hätten das getan, diejenigen in Arusha und Den Haag würden es ebenfalls tun.
Doch immer würden auch die Täter vor dem Richter stehen und ihnen würde eine Plattform für ihre «Anliegen» zur Verfügung gestellt.
«Geschichte schreiben im Gericht», so Le Temps, «das ist nicht nur der Ort wo Fragen gestellt, sondern eben auch Behauptung aufgestellt werden, und es werden dort nicht nur Überlegungen angestellt, sondern oft auch unumstössliche Entscheide gefällt.»
swissinfo und Agenturen
Dogu Perinçek, der Chef der kleinen (weniger als 1% Wähleranteil) Türkischen Arbeiterpartei, hatte im Sommer 2005 in Reden in den Kantonen Waadt, Zürich und Bern zur Armenierfrage gesprochen. Dabei hatte er den Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 in Abrede gestellt.
Das Gericht auferlegte Perinçek eine Geldstrafe von 9000 Franken bedingt sowie zu einer Busse von 3000 Franken. Zudem muss er die Gerichtskosten übernehmen und der Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA) einen symbolischen Betrag von 1000 Franken zahlen.
In der Schweiz haben der Nationalrat und das Waadtländer Kantonsparlament den Genozid an den Armeniern ausdrücklich als solchen anerkannt.
Dies hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei geführt.
Die Antirassismus-Strafnorm (Artikel 261bis Strafgesetzbuch) wurde 1994 in einer Volksabstimmung mit 54,7% Ja-Stimmen angenommen und trat 1995 in Kraft.
Sie verbietet, öffentlich zu Hass oder Diskriminierung von Menschen aufzurufen, die anderen Rassen, Ethnien oder Religionen angehören. Ebenfalls unter Strafe gestellt ist das Leugnen von Völkermorden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch