Ein Tag Rotlicht im Alpentransit
Die Tessiner Polizei hat erstmals wegen Überlastung ein vorübergehendes LKW-Fahrverbot für den Gotthard und den San Bernardino erlassen. Nach scharfer Kritik hat sich die Lage wieder beruhigt.
Ganz überraschend kam der Entscheid der Verkehrspolizei nicht. Denn bereits am Mittwoch hatte sich die Lage an den beiden wichtigen Alpenverbindungen dramatisch zugespitzt. Das hohe Verkehrsaufkommen an Camions hatte zu langen Wartezeiten an den Dosierstellen auf der Südseite des Gotthard- beziehungsweise San-Bernardino-Tunnels geführt.
Vier bis acht Stunden mussten sich die Chauffeure gedulden. Auf einer Länge von 15 Kilometern stauten sich die Camions bei der Dosierstelle in Quinto. Knapp 500 Fahrer verbrachten die Nacht in ihren Fahrzeugen. Am Morgen warteten schon bald wieder 750 Camions auf die Durchfahrt durch den Gotthard-Tunnel.
Angesichts dieser Entwicklung setzte die Kantonspolizei am Donnerstag um 9.30 Uhr erstmals die so genannte «Fase rossa», die «Rote Phase», in Kraft. Damit wurden die beiden Transitrouten für nachrückende LKWs gesperrt. Camions im Süd-Nord-Verkehr durften nur bis Bellinzona fahren. Bei Zuwiderhandlungen verteilte die Polizei Bussen bis zu 300 Franken.
Ein Dutzend Fahrer hätten verzeigt werden müssen, erklärte ein Tessiner Polizeisprecher am Radio RSI. Erst um 16.30 Uhr wurde die Transitsperre aufgehoben, nachdem sich die Situation an den Dosierstellen entspannt hatte.
Infos via Flugblätter und Radio
Am Grenz- und Zollübergang Chiasso wurden die Chauffeure in Flugblättern tagsüber auf das Transitverbot hingewiesen und aufgefordert, umzukehren und andere alpenquerende Routen zu nehmen oder auf den Bahnverlad umzusteigen. Via Radio wurde auch im Grossraum Mailand über die Massnahme informiert.
Viele Chauffeure hatten offenbar schon präventiv auf die Gotthard-Route verzichtet, denn am Zoll blieb ein Chaos aus. Am Nachmittag war auf der Raststätte Bellinzona-Nord kein aussergewöhnliches Aufkommen an Lastwagen zu beobachten.
Scharfe Kritik
Der Präsident der italienischen Routiervereinigung in Como, Giorgio Colato, kritisierte gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur die Alpensperre als «Widerspruch zum gesunden Menschenverstand und den Gesetzen». Seinem Verband sei nie mitgeteilt worden, was es mit der «Roten Phase» auf sich habe.
Der Bündner Regierungsrat Stefan Engler kritisierte, dass die Tessiner Behörden die zuständigen Stellen in Chur nicht informiert hätten und die Massnahme nicht abgesprochen war. Der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (ASTAG) sprach von einem «Chaos sondergleichen», das die Untauglichkeit des Dosiersystems unterstreiche.
Auch für David Piras, den Generalsekretär des Fahrerverband Routiers Suisse, zeigt die «Fase rossa» auf, dass das Verkehrsregime auf der A2 am Gotthard nicht funktioniert. Er rief die Chauffeure auf, sich über Telefonate bei den zuständigen Bundesbehörden Luft zu machen.
Keine Vorinformation
Der Bundesamt für Strassen (Astra) war indes über das Vorgehen der Tessiner Kapo nicht vorinformiert worden. «Die Kantone sind für die verkehrspolizeilichen Massnahmen selber zuständig», sagte Astra-Sprecher Michael Gehrken. Er wies darauf hin, dass die Massnahme eigentlich bereits am Mittwoch hätte angeordnet werden müssen, damit die Warteräume am Abend vollständig hätten geleert werden können.
Die Tessiner ihrerseits hatten zu Beginn dieser Woche ihrem Unmut über die «untragbare Schwerverkehrssituation» am Gotthard Luft gemacht und dabei das Konzept der «roten Phase» scharf kritisiert. Gestern wandten sie genau dieses Konzept an, ohne die Bundesbehörden vorab zu informieren.
Gerhard Lob, Bellinzona
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