Emmen will nicht mehr an der Urne einbürgern
Zwischen 1999 und 2003 hatte in Emmen das Stimmvolk bei Einbürgerungen das letzte Wort - oft mit negativem Entscheid. Das Stoppsignal des Bundesgerichts führte zur Lancierung der Einbürgerungs-Initiative, die am 1. Juni an die Urne kommt.
Man spricht nicht gerne über Einbürgerungen in der 27’000-Seelen-Gemeinde Emmen bei Luzern. Ganz sicher nicht bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Der Präsident der lokalen Sektion, Hans Schwegler, ist sehr vorsichtig: «Wir unterstützen die nationale Initiative unserer Partei vollumfänglich», sagt er.
Eine Volksinitiative, die den Gemeinden das Recht auf Einbürgerungsentscheide beispielsweise an der Urne zurückgeben will. Diese Praxis war vom Bundesgericht 2003 als verfassungswidrig verurteilt worden, nach einem Rekurs gegen die Gemeinde Emmen.
Doch Hans Schwegler gibt zu, dass es auch Vorteile habe, nicht mehr an der Urne einzubürgern. «Es ist wahr, dass die Arbeit in einer Kommission eine bessere Prüfung der Einbürgerungs-Dossiers erlaubt, und man die Leute besser kennenlernt, als bei einer Abstimmung.»
Luzia Lüchinger, SVP-Vertreterin in dieser Bürgerrechts-Kommission, hat dem Magazin «Beobachter» erklärt, eine Annahme der Initiative ihrer Partei wäre «ein Rückschritt», denn es würde dann «wieder darum gehen, ob einem ein Kopf passt oder jemand ein ‹ic› im Namen hat».
Denn zwischen 1999 und 2003 hat das Stimmvolk von Emmen 97 Personen, die alle nötigen Kriterien erfüllten, die Einbürgerung verwehrt. 85 der Abgewiesenen stammten aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.
Einige von ihnen hatten daraufhin beim Bundesgericht Rekurs wegen Diskriminierung eingereicht. Es gab ihnen recht. Emmen unterbrach in der Folge die Einbürgerungen und setzte eine Bürgerrechts-Kommission ein, deren Mitglieder zusammen mit der Exekutive und der Legislative der Gemeinde gewählt werden.
Offene Wunden
Wird die SVP Emmen auf das alte System zurückkommen, falls die Initiative vom Schweizer Stimmvolk am 1. Juni angenommen wird? «Wir werden sehen, noch ist kein Entscheid gefallen», gibt sich Schwegler vorsichtig.
Von Seiten der Stadtverwaltung ist bekannt, dass sie dem heutigen System den Vorzug gibt. «Die Schaffung der Bürgerrechts-Kommission hat die Ruhe zurückgebracht und das Vertrauen wieder hergestellt», sagt der christlichdemokratische Stadtpräsident Thomas Willi.
Bei den an der Urne abgewiesenen Einbürgerungs-Kandidatinnen und -Kandidaten sind die Wunden noch nicht verheilt. «Warum sind wir nicht eingebürgert worden? Wir sind nicht kriminell, sprechen Deutsch und sind integriert», heisst es.
Mehr
Volksinitiative
«Macht mich heute noch krank»
Marina Markovic, im März 2000 von der Gemeindeversammlung abgewiesen, spricht von einer «sehr harten» Zeit. Wenn sie daran denkt, macht es sie «heute noch krank, diese Geschichte».
Sie wollte die Schweiz verlassen. «Doch ich hätte wieder von vorne anfangen müssen, das ist nicht einfach», sagt die junge Frau, die als Verkäuferin arbeitet. Verletzt wie sie vom Entscheid war, wollte die Mutter von zwei kleinen Kindern weder Rekurs einlegen noch ein neues Einbürgerungsgesuch stellen.
Der Schneider Zoran Gajic wechselte nach negativem Entscheid die Gemeinde. Nach der vorgeschriebenen Anzahl von Jahren reichte er dort erneut ein Gesuch ein. «Seit einem Jahr warte ich auf eine Antwort zu meinem Dossier. Ehrlich gesagt, habe ich den Eindruck, dass ich an der Nase herumgeführt werde», sagt er.
Für Janko Cvitic und seine Frau Mileva, die in Emmen geblieben sind, ist der Schweizer Pass nicht mehr so dringend. «Damals hatte ich keinen Pass», sagt der über 50-Jährige, der seit 30 Jahren in der Schweiz lebt. «Doch heute habe ich den kroatischen und den serbischen, habe dort ein Haus und möchte einmal zurückkehren. Aber meine Frau…»
Kommissionen in Glückssträhne
Der Anwalt, der erfolgreich vor Bundesgericht geklagt hat, ist Peter Wicki. «Viele luzernische Gemeinden haben die Einbürgerung an der Gemeindeversammlung durch spezielle Kommissionen ersetzt», sagt er. «Diese arbeiten gut, auch dort, wo die SVP stärkste Partei ist. Die Mehrheit will nicht mehr zurück.»
Der Sozialdemokrat Beat Marti war Mitglied der alten Einbürgerungs-Kommission, die in Emmen vor Abstimmungen die Empfehlungen formuliert hat. Für ihn waren die Abstimmungsresultate voraussehbar: «Das Klima war beherrscht von Vorurteilen gegen Menschen vom Balkan», betont er.
«Doch ich muss auch zugeben, dass die Linke grosse Fehler gemacht hat, namentlich weil sie sagte, es gebe keine Immigrationsprobleme. Es gibt sie, darüber muss man sprechen, daran muss man arbeiten.»
Für Marti ist klar: «Der Mythos der multikulturellen Gesellschaft ist tot. Die verschiedenen kulturellen Gemeinschaften leben nebeneinander, aber nicht miteinander.»
swissinfo, Ariane Gigon, Zürich
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
Die Einbürgerung an der Urne war in Emmen nach einer Initiative der Schweizer Demokraten im Juni 1999 eingeführt worden. Das gleiche Begehren war in den Luzerner Gemeinden Kriens und Horw abgelehnt worden.
Die Änderungen fanden in einer Zeit statt, in der einige Zwischenfälle mit Ausländern vorgekommen waren, namentlich Angriffe mit Messern.
Zwischen dem 12. September 1999 und dem 29. Juni 2003 fanden in Emmen 7 Abstimmungen über Einbürgerungen statt. Von 163 Kandidatinen und Kandidaten waren 97 vom Volk abgelehnt worden, darunter 85 Personen aus Ländern Ex-Jugoslawiens.
Bei der zweiten Abstimmung am 12. März 2000, die wegen ihres Ausmasses alle Blicke auf Emmen zog, waren 48 Personen vom Balkan, aus Ungarn und der Türkei sowie ein polnisch-holländisches Ehepaar abgelehnt worden.
Einzig italienische Antragstellende hatten die Staatsbürgerschaft erhalten. Fünf abgelehnte Familien waren daraufhin ans Bundesgericht gelangt, das am 9. Juli 2003 zu einem Urteil kam.
Nach dem Urteil hat Emmen wie auch viele andere luzernische Gemeinden eine Bürgerrechts-Kommission geschaffen. Diese war in Emmen im Februar 2005 vom Volk gutgeheissen worden.
Sie besteht in Emmen aus 9 Personen, entsprechend der Parteistärke: 3 Mitglieder der SVP, darunter der Kommissionspräsident, 2 Sozialdemokratinnen, 2 Freisinnige, 1 Christlichdemokrat und 1 Vertreter der Vereinigung Sicherheit für Emmen (SIFE). Wie alle kommunalen Behörden im Kanton Luzern wird sie am 20. April erneuert.
Die Volksinitiative der SVP Schweiz «Für demokratische Einbürgerungen» will den Gemeinden das Recht zurückgeben, alleine über die Art und Weise der Einbürgerung sowie über das Einbürgerungs-Organ zu entscheiden.
Entscheide sollen endgültig sein und nicht mehr vor einem Gericht angefochten werden können.
Die Initiative wurde als Reaktion auf zwei Urteile des Bundesgerichts aus dem Jahr 2003 lanciert.
Das erste hatte Emmen betroffen, das zweite einen Unzulässigkeits-Entscheid der Stadt Zürich gegen eine Initiative der SVP, welche die Einbürgerung vors Volk bringen wollte.
Das Bundesgericht verpflichtete die Gemeinden dazu, staatsrechtlich konforme Prozeduren einzuführen, inklusive einem Rekursrecht.
«Gehören Einbürgerungen an die Urne?» fragte swissinfo die Leserschaft zwischen dem 21.4. und dem 1.5.2008.
An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 536 Personen. Das Resultat: 206 (38%) sagten Ja, 317 (59%) Nein. 13 Personen (2%) wussten noch nicht, wie sie abstimmen wollen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch