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Endingen: Spuren jüdischen Lebens

Synagoge im Dorf
Markantes Zeichen der Vergangenheit. Die Synagoge in Endingen. Ester Unterfinger /swissinfo.ch

Auf den ersten Blick scheint Endingen ein ganz normales ländliches Schweizer Dorf zu sein – mit mehreren Restaurants und Einkaufsläden, einer Schule und einem Gemeindehaus.

Auffällig ist aber, dass im Dorf im aargauischen Surbtal keine Kirche steht – dafür eine Synagoge.

Welchen Weg man auch wählt durch das knapp 2000 Seelen zählende Dorf, immer wieder kommt man zur Synagoge, dem Zentrum der Gemeinde Endingen. Stattlich steht sie da – die in Stein gehauene Zeugin früherer Zeiten.

Erbaut wurde sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Gemeinde Endingen über 900 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner zählte, ebenso viele wie christliche.Als grosse Besonderheit hat die Endinger Synagoge eine Uhr mit Glockenschlag. Dies, weil es im Dorf keine Kirche gibt, weder eine katholische noch eine reformierte.Das sei nie ein Problem gewesen, sagt Jeanne Schneider, Gemeindeammann von Endingen. Soviel sie wisse, sei der Bau einer Kirche nie zur Diskussion gestanden, auch wenn im Dorf nur noch zwei jüdische Familien lebten.

Asyl im Surbtal

Die Juden, im Mittelalter aus den Städten ausgewiesen und verbannt, durften sich gemäss einem Beschluss der Tagsatzung der 8 alten Orte von 1678 in den beiden Surbtaler Dörfern Endingen und Lengnau niederlassen. Für lange Zeit durften sie nirgends sonst leben.

«Endingen und Lengnau waren Asyldörfer. Die Juden durften dort gegen Abgabe eines Obulus wohnen», sagt Rolf Bloch, ehemaliger Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Die Juden durften in dieser Zeit nicht mit den Christen unter einem Dach wohnen. Die Endinger bauten darauf Häuser mit zwei Eingängen – einen für die Juden, einen für die Christen. Noch heute sind mehrere dieser «Judenhäuser» an ihren doppelten Türen zu erkennen.

Die jüdische Bevölkerung durfte weder Boden besitzen noch ein Handwerk ausüben. Ihr blieb nur die Geldausleihe sowie der Handel mit Vieh und Kleinwaren.

So auch dem Urgrossvater von Jules Bloch, der nebst einer weiteren Familie noch in Endingen ansässig ist – in der 6. Generation. «Er war Viehhändler, wie später mein Grossvater und mein Vater. Auch ich habe noch ein Händlerpatent.»

Ältester Friedhof der Schweiz

Synagoge im Dorf
Die alten Gräber aus dem aus dem 18. Jahrhundert sind von Moos überwachsen. Ester Unterfinger /swissinfo.ch

1750 durften die Surbtaler Juden zwischen Lengnau und Endingen einen Friedhof anlegen. Er liegt leicht erhöht in einer Oase der Ruhe, umgeben von alten Laub- und Nadelbäumen. 2500 Menschen liegen dort begraben.

Schändungen habe es auch schon gegeben, sagt Frau Gemeindeammann Schneider. Das sei während der Holocaust-Debatte in den 90er-Jahren gewesen. Wohl auch aus diesem Grund ist der Friedhof in der Regel abgeriegelt.

Zweiklassen-Gesellschaft

Erst 1866 erhielten die Juden den Status gleichberechtigter Schweizer Bürger und damit die Niederlassungs-Freiheit. Darauf zogen die Familien Bollag, Bloch, Dreifuss, Picard, Wyler und andere weg aus dem provinziellen Surbtal – in die Städte und die weite Welt.

Die volle Gleichberechtigung folgte, laut Jules Bloch, allerdings erst 1983. «Bis vor 20 Jahren waren wir Juden Bürger von Neu-Endingen. Der Ortsbürger-Gemeinde gehörten wir jedoch nicht an, obwohl wir seit Generationen hier leben. Bei Versammlungen hatten wir keinen Zutritt.»



Jeanne Schneider, Gemeindeammann von Endingen, bestätigt, dass bis ins Jahr 1983 für Juden ein separates Register geführt wurde.

Gottesdienst im Altersheim

Esther Krammer-Bloch leitet zusammen mit ihrem Mann das israelitische Alters- und Pflegeheim im Nachbarsdorf Lengnau. Das Altersheim wird jüdisch geführt, serviert wird koscheres Essen.

Begangenen werden lediglich die jüdischen Feiertage, auch wenn von den 68 Insassen nur 12 jüdisch sind.

Obwohl auch Lengnau eine Synagoge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat, werden die wöchentlichen Gottesdienste im Altersheim abgehalten. Auch in der Endinger Synagoge finden nur an Feiertagen und zu besonderen Anlässen Gottesdienste statt.

«An den Samstagen gehen wir zu Fuss von Endingen nach Lengnau zum Gottesdienst, da am Sabbat nicht gefahren werden darf», sagt Jules Bloch.

Intaktes Zusammenleben

Laut Esther Krammer bringt Endingen den Juden mehr Respekt entgegen als Lengnau. «Das hängt wohl damit zusammen, dass in Endingen mehr ältere Leute leben, die teils noch das Endingen-Jiddish verstehen.»

In Endingen sei das Klima gut, bestätigt auch Esthers Mutter, Raymonde Bloch, die seit 30 Jahren im Dorf lebt. Es gebe keine Probleme, sie fühle sich hier wohl.

«50% der Endinger kennen die beiden jüdischen Familien. Es sind Leute wie du und ich», betont Gemeindeschreiber Patrick Sandmeier.

Endingen kenne und akzeptiere seine Geschichte, ja sei gar stolz auf diese Vergangenheit, erklärt Gemeindeammann Jeanne Schneider. «Auch wenn nicht alle das zugeben würden.»

Jedenfalls ist die markante Synagoge im Dorf für die Bewohnerinnen und Bewohner kein Fremdkörper. Alle sind sie schon mal drin gewesen, sei das als Schulkind während des Heimatkunde-Unterrichts, sei das während einer jüdischen Hochzeit.

«Der historische Hintergrund ist wichtig», so Schneider. «Und möglicherweise gibt es bei uns mehr Toleranz – dank den Juden.»

swissinfo, Gaby Ochsenbein in Endingen und Lengnau

In der Schweiz leben rund 18’000 Juden.
Der SIG, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund ist dieses Jahr 100 jährig.
In Endingen und Lengnau wohnen noch je zwei jüdische Familien.
Mitte des 19. Jahrhunderts war die Hälfte der dortigen Bevölkerung jüdisch.

In den beiden «Judendörfern» Endingen und Lengnau stehen verschiedene Zeichen aus der Zeit, als sich jüdische Menschen nur in diesen beiden Gemeinden niederlassen durften:

Zwei Synagogen aus den 1850er-Jahren, der israelitische Friedhof von 1750, das alte Gebetshaus, das Reinigungsbad und die ehemalige jüdische Schule in Endingen.

Zudem hat Lengnau ein 100-jähriges israelitisches Alters- und Pflegeheim.

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