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Die Schweiz beklagt den Tod eines grossen Cholerikers

Mann schwarzweiss fotografiert
Endo Anaconda an seinem Wohnort im Emmental. Joan Minder / 13 Photo

Der Blues-Sänger Endo Anaconda war ein notwendiges Gegenmittel zur Schweiz. Nun ist er gestorben und in der Schweiz herrscht eine Art Staatstrauer. 

In der Nacht auf den Mittwoch ist Endo Anaconda gestorben. Der Sänger der Band «Stiller Has» war keine internationale Berühmtheit. Das ist wenig überraschend, wenn man vor allem in  berndeutschem Dialekt singt. Doch in der Deutschschweiz herrscht eine Art Staatstrauer.

Selbst Bundesrat Alain Berset nimmt Abschied von ihm und trauert dem «Musiker und Poeten einer eigenen Art» auf Social Media nach, und das Bundesamt für Kultur schreibt, Anaconda habe ein «einzigartiges Universum aus bissigem Wort und melancholischem Ton geschaffen». Im Wetterbericht des Schweizer Fernsehens werden auf der Karte die Orte eingeblendet, die der Blues-Sänger in «Wallisellen»,  seinem Lied über die Schweizer Agglomeration, besungen hat.

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Anaconda hiess eigentlich Andreas Flückiger, wurde 1955 geboren, wuchs in Österreich und der Schweiz auf. Als sein Vater starb, zog seine Mutter zurück nach Österreich. Er lernt die Strenge katholischer Internate kennen, bis er einem Priester an die Gurgel ging, aber auch die Musik. Später scheitert er bei mehreren Anläufen, ein geregeltes Berufsleben zu ergreifen. Anaconda war immer stolz, eben kein Produkt einer «Popakademie» zu sein. 1981, halb auf der Flucht, halb angezogen vom Beben der Jugendrevolte, fährt er nach Bern – und bleibt.

1989 gründet er mit Balts Nill, dem er sich bei der ersten Begegnung mit der Berufsbzeichnung «Gangster» vorstellte,  «Stiller Has». Die Band prägte das Musikschaffen der Schweiz bis zu ihrer Auflösung 2020, sie stürmte die Hitparaden und wurde für ihre Arbeit mehrmals prämiert, zuletzt 2017 mit dem Salzburger Stier.

Endo und Balts Nils an einem Konzert
“Stiiler Haas” Endo Anaconda und Balts Nill am Schlagzeug während eines Konzerts am Zürcher Theaterspektakel, 1997. Keystone / Francesca Pfeffer

Das wohl meist gebrauchte Wort in den Nachrufen zu Endo Anaconda ist «Wucht» und «gewaltig». Endo Anaconda hatte etwas Explosives. Der Tages-AnzeigerExterner Link sah in ihm eine «schweissvergiessende Urkraft».  Anaconda habe «dem helvetischen Blues eine auflockernd-bewölkte Mittelland-Tristesse einverleibt» und den «Dadaismus in die hiesigen Hitradios gebracht». Der «Blick»Externer Linkschreibt, seine Lieder seien «gerade durch ihre einzigartige Widerborstigkeit jenseits des Mainstreams ins Schweizer Kulturgut eingegangen.»

Anaconda wird von vielen jetzt schon als nötiges Gegenmittel zur helvetischen Ruhe vermisst.  Die NZZExterner Link schreibt, seine Lieder seien wie Föhnfenster: «Man hat eine wunderbare Aussicht auf die Bergwelt und leidet gleichzeitig an Kopf- und Fernweh.» Anaconda sei eine für die Schweiz unübliche Figur gewesen: «Er war laut, poetisch, im privaten Leben öfters unzähmbar, ein Choleriker mit ausgeprägtem Suchtverhalten. Ein echter Rock’n’Roller, in helvetischem Format.» Die News-Plattform bluewinExterner Link meint «Der Mundartrocker tat der Schweiz gut».

Den treffendsten Kommentar zu seinem Ableben hinterliess aber wohl Endo Anaconda selbst, auf seinem letzten Album. Dort heisst es in einer Zeile: «I würd flüge mit de Chräie, u vo obe abeschysse.» (Ich werde mit den Krähen fliegen und von oben runterscheissen.)

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