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Erneute Mobilisierung für die irakischen Flüchtlinge

Laut Antonio Guterres hat die Konferenz die Hoffnung für die irakischen Flüchtlinge am Leben erhalten. Keystone

Vier Jahre nach dem Beginn des Irak-Krieges hat die UNO in Genf eine internationale Konferenz zugunsten der vor dem Konflikt geflohenen Menschen organisiert.

Die Schweiz hat ihre Bereitschaft angekündigt, eine regionale Folgekonferenz zu organisieren, um die Hilfe für die Flüchtlinge und die Aufnahmeländer besser zu koordinieren.

Wie kürzlich die französische Tageszeitung Libération beschrieben hat, befinden sich die Menschen in Irak gleichzeitig in vier Kriegen: Die Sunniten kämpfen gegen die Besatzer, Al Kaida kämpft gegen die US-Armee wie auch gegen die Regierungstruppen, Schiiten und Sunniten liefern sich einen blutigen Kampf und nicht zu vergessen, der Krieg der schiitischen Milizen untereinander.

Die Gewaltspirale dreht sich weiter, immer mehr Menschen fliehen aus dem Land. Deshalb hat das UNO-Flüchtlings-Hochkommissariat (UNHCR) diese zweitägige Konferenz organisiert.

«Diese Konferenz kommt spät. Die internationale Gemeinschaft hat nicht gewusst, wie sie angesichts dieser Katastrophe rechtzeitig handeln sollte», erklärt der Politologe Hasni Abidi.

Vom Zusammenhang abgekoppelt

Abidi, Direktor eines Zentrums für arabische Studien in Genf, fügt weiter hinzu: «Mehrere Redner haben versucht, wie die USA oder Grossbritannien, das Problem der Flüchtlinge von ihrem politischen Zusammenhang zu lösen. Aber die Auswanderung ist eine direkte Folge des Krieges. Die Vereinigten Staaten wollen jedoch nicht als Verantwortliche für diese Flüchtlingswelle erscheinen.»

Er betont weiter, dass die irakischen Flüchtlinge und Vertriebenen kein Statut hätten. Diese Nicht-Anerkennung hat laut dem Genfer Wissenschafter triftige Gründe.

«Irak will nicht, dass ihnen das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) den Flüchtlingsstatus gewährt. Und Jordanien und Syrien befürchten ein Szenario nach palästinensischer Art. Aber diese Flüchtlinge brauchen einen Ausweis um zur Schule gehen zu können oder um sozialen Schutz zu erhalten», fügt Abidi hinzu.

Erste Resultate

Die Konferenz hat nun offenbar doch zu Ergebnissen geführt. «Das UNHCR hat seine Zielsetzung erreicht, dass die Staaten mehr als 60 Mio. Dollar überweisen», sagt Abidi. «Aber man weiss noch nicht, wer genau von dieser Hilfe profitieren wird.»

Die Schweiz hat an der Konferenz daran erinnert, dass sie bereits beschlossen hat, ihre humanitäre Hilfe für Irak zu verdoppeln. Ab diesem Jahr betragen die jährlichen Zuwendungen 4 Mio. Franken. Dieser Betrag kommt zu den 10 Mio. hinzu, die schon zwischen 2003 und 2006 zur Auszahlung kamen.

Andererseits hat sich die Schweizer Regierung noch nicht über die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge aus Irak geeinigt. Sie hat allerdings eine solche Möglichkeit auch nicht ausgeschlossen.

«Es wäre vernünftig, eine Nachfolgesitzung in der Region zu organisieren», sagt der Leiter der Schweizer Delegation, Botschafter Anton Thalmann. «Die Schweiz ist bereit, technische Unterstützung und Expertenwissen anzubieten, um die Organisation einer solchen Konferenz zu unterstützen.»

Eine alte Verpflichtung

Wie Yves Besson, Professor für internationale Beziehungen und Islam-Spezialist an der Universität Freiburg, erinnert, kümmert sich die Schweiz schon eine geraume Weile um die Belange der irakischen Flüchtlinge und Vertriebenen.

So hatte Bern schon vor dem 20. März 2003, dem Beginn der Invasion der US- und britischen Truppen, zwei humanitäre Sitzungen mit Teilnehmern aus vielen Ländern der Region organisiert. Man wollte den Empfang der künftigen Flüchtlinge vorbereiten.

«Aber diese Mobilisierung ist wie ein Soufflee in sich zusammengefallen, sagt der ehemalige Botschafter. Und das steigende Ausmass der Auswanderung innerhalb und ausserhalb Iraks wurde lange Zeit aus politischen – die USA wollten das Problem nicht anerkennen – und aus soziologischen Gründen verschleiert: Viele Irakerinnen und Iraker haben bei einem Familienmitglied Zuflucht gefunden oder bei Angehörigen ihres Clans oder bei Stammesmitgliedern in einem Nachbarland.»

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Das Ende der Konferenz in Genf fällt zusammen mit einem der blutigsten Tage, die Irak seit Monaten erleben musste. Über 200 Menschen wurden bei Autobomben-Attentaten getötet.

Der blutigste Anschlag wurde auf den Markt von Al-Sadriyah verübt, in einem Sektor mit Schiitischer Mehrheit. Mindestens 115 Personen wurden getötet und 137 verletzt. Am 3. Februar hatte ein Attentat auf diesen Markt schon 130 Menschen getötet.

Ein anderes Attentat wurde in Sadr City verübt, dem grossen Schiiten-Quartier von Bagdad. Es forderte mindestens 28 Todesopfer und 44 Verletzte.

Drei Explosionen in der Hauptstadt forderten weitere Menschenleben.

Am Ende der Konferenz in Genf hat der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres, das Engagement der irakischen Behörden begrüsst, 25 Mio. Dollar für die Vertriebenen im Land bereitzustellen, sowie die Zusage, mit Syrien und Jordanien zusammenzuarbeiten, um die dort weilenden Flüchtlinge zu unterstützen.

Guterres hat darauf hingewiesen, dass der vom UNHCR getätigte Spendenaufruf von 60 Mio. Dollar von Erfolg gekrönt sei. Dies sei angesichts der Bedürfnisse jedoch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein.

Ausserdem hat die Konferenz zu keinem Abkommen geführt, um Irak-Flüchtlinge oder Vertriebene in den Industrienationen aufzunehmen.

Laut dem UNO Hochkommissariat für Flüchtlinge, (UNHCR) fliehen jeden Monat fast 50’000 Personen von ihrem Zuhause in Irak.

1,9 Mio. haben Zuflucht im innern des Landes gesucht, 2 Mio. sind in die Nachbarländer geflüchtet, vor allem nach Syrien und Jordanien.

Die Schweiz hat über 5000 irakische Flüchtlinge aufgenommen.

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