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Europarat verabschiedet Marty-Bericht zu Kosovo

Dick Marty präsentiert vor dem Europarat in Strassburg seinen Bericht. Reuters

Die Abgeordneten des Europarats haben in Strassburg den Bericht des freisinnigen Schweizer Ständerats Dick Marty über mutmasslichen illegalen Organhandel im Kosovo nach einer mehrstündigen Debatte klar verabschiedet. Sie verlangen eine seriöse Untersuchung der Vorwürfe.

An der Untersuchung sollten gemäss der Resolution, die von den Abgeordneten aus den 47 Europaratsländern verabschiedet wurde, neben der Polizei- und Justizmission im Kosovo (EULEX) auch die Behörden des Kosovo beteiligt sein.

 
Laut Martys Bericht, der im Dezember veröffentlicht wurde, liessen im Kosovo-Krieg Ende der 1990er-Jahre damalige UCK-Führer, unter ihnen der heutige kosovarische Regierungschef Hashim Thaci, Organe von Gefangenen entnehmen und auf dem internationalen Schwarzmarkt verkaufen. Die Opfer waren demnach Serben oder Kosovaren, die als «Verräter» galten.

Die Abgeordneten hatten am Dienstag mehrere Stunden über den Bericht debattiert. Dabei erhielt der Schweizer Berichterstatter viel Lob und Anerkennung für seine «exzellente und schwierige» Arbeit. Gelobt wurde insbesondere Martys Mut, den Gerüchten über die Organentnahme serbischer Gefangener während des bewaffneten Konflikts im Kosovo in den 1990er-Jahren nachgegangen zu sein. 

Beweisfindung und Zeugenschutz

Wichtig ist nach Ansicht vieler Parlamentarier nun, dass für die Vorwürfe Beweise gefunden werden, obwohl bereits viel Zeit verstrichen sei. «Es braucht nun eine internationale Strafuntersuchung mit wahrem Zeugenschutz», forderte der Schweizer SVP-Nationalrat und Europarat-Abgeordnete Felix Müri.

Diese Untersuchung müsse innert nützlicher Frist beginnen, denn letztlich gehe es darum, dass sich der Kosovo weiterentwickeln könne. Auf jeden Fall falsch sei, wenn nun die ganze Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt werde.

Auch andere Abgeordnete betonten, dass Martys Bericht nicht gegen das kosovarische Volk gerichtet sei. Aber er werde helfen, die Wahrheit zu finden.

Das Leid der Mütter

Marty bedankte sich in Strassburg für das Vertrauen, das ihm entgegen gebracht wurde. Er betonte, dass auch die USA seinen Bericht sehr ernst genommen hätten. 

In der Debatte sei viel über den Organhandel gesprochen worden, sagte Marty weiter. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass der Organhandel nur ein Aspekt der begangenen Verbrechen gewesen sei.
 
Zum Schluss gedachte der ehemalige Tessiner Staatsanwalt den Zeugen, die trotz aller Drohungen und Gefahr eine Aussage gewagt hatten. «Zeugen zu bedrohen, ist eines der schlimmsten Attentate gegen die Justiz», so Marty.
 
Einen weiteren Gedanken widmete Marty den serbischen und kosovarischen Frauen, deren Söhne im Krieg verschwunden sind: «Es gibt keinen Unterschied zwischen einer serbischen und kosovarischen Mutter, die ihren Sohn verloren hat.»

Ermittlung ausserhalb der Balkanregion?

Auch die Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch (HRW) rief zu einer internationalen Untersuchung des mutmasslichen Organhandels im Kosovo auf. Mit der Aufgabe müsse ein «spezialisierter, unabhängiger Ermittler» betraut werden.

Laut dem stellvertretenden HRW-Leiter für Europa, Benjamin Ward, können die Ermittlungen ohne eine starke politische Unterstützung der USA und der EU nicht gelingen.

HRW hege einen gewissen Zweifel, dass die EULEX mit den aktuellen Kapazitäten und Mitteln in der Lage sei, gründliche Ermittlungen durchzuführen, sagte Ward.

Das Zentrum der internationalen Ermittlung muss laut HRW seinen Sitz ausserhalb der Balkan-Region haben. Nur so sei der Schutz von Zeugen und Beweisen gewährleistet.

Neue Vorwürfe gegen Thaci

Am Dienstag wurden im britischen Guardian neue Vorwürfe gegen Hashim Thaci publik. Gemäss dem Zeitungsbericht habe die Nato in Militärdepeschen den Regierungschef des Kosovo als einen der «grössten Fische» der organisierten Kriminalität beschrieben. 

Auch soll sein enger Vertrauter Xhavit Haliti Verbindungen zur albanischen Mafia gehabt haben und an Waffen- und Drogenhandel beteiligt gewesen sein. 

Ein Regierungssprecher in Kosovo wies die Vorwürfe dem Blatt gegenüber als falsche Behauptungen des serbischen Nachrichtendienstes zurück.

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geberländern des Kosovo.

Zwischen 1999 (Konflikt zwischen Serben und Kosovaren) und 2010 steuerten die Schweizer Behörden rund 200 Mio. Franken zur Entwicklung, politischen Stabilität und Wirtschaft bei. 

Seit 1999 beteiligt sich die Schweiz an der Mission der internationalen Friedenstruppe KFOR unter Leitung der NATO.

Jedes Jahr sind gegen 220 Schweizer Swisscoy-Soldaten in Kosovo stationiert. 

Die Schweiz hat Kosovo bereits zehn Tage nach der Unabhängigkeits-Erklärung vom 17. Februar 2008 als neuen Staat anerkannt.
 
Auch hatte sie sich als eines der ersten Länder schon 2005 für die Unabhängigkeit des Landes ausgesprochen.

Zu der raschen Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch die Schweiz trug auch die grosse Zahl von Kosovaren in der Schweiz bei.

Rund 170’000 Kosovaren leben in der Schweiz, das sind etwa 10% der Bevölkerung Kosovos.

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