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«Die Schweiz setzt ganze Bevölkerungen giftigen Produkten aus»

Nach Angaben von UNO-Experten verursachen Pestizide jährlich rund 200'000 Todesfälle durch akute Vergiftung, 99 Prozent davon in Entwicklungsländern. Keystone

Die Schweiz exportiert Atrazin und Paraquat in Entwicklungsländer – zwei Herbizide, die aufgrund ihres hohen Giftgehalts hier verboten sind. Produziert werden sie vom Basler Agrochemiekonzern Syngenta. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye verurteilt diese "Doppelmoral".

Zwischen 2012 und 2016 sind in der Schweiz vier Paraquat- und dreizehn Atrazinexporte verzeichnet worden. Diese gingen nach Argentinien, Brasilien, Kamerun, China, Indien, Pakistan, Peru und Thailand. Wegen ihrer Gefährlichkeit für Gesundheit und Umwelt sind die beiden Herbizide in der Schweiz und in der Europäischen Union (EU) verboten. Laurent Gaberell von Public EyeExterner Link im Gespräch.

swissinfo.ch: Public Eye verurteilt den Export von Atrazin und Paraquat von der Schweiz in Entwicklungsländer. Was genau weiss man über diese beiden Herbizide?

«Syngenta lobbyiert im Süden auf eine sehr aggressive Art und Weise, damit das Unternehmen die beiden Herbizide weiterhin verkaufen kann.» Laurent Gaberell, Public Eye

Laurent Gaberell: Paraquat und Atrazin gehören zu den giftigsten Herbiziden weltweit. Paraquat verursacht jährlich tausende schwere Vergiftungen und wird mit mehreren chronischen Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter Parkinson. Atrazin gilt als krebserregend und ist schädlich für die Fortpflanzung.

swissinfo.ch: Weshalb werden die beiden Herbizide denn noch hergestellt?

L.G.: Die Produzenten lobbyieren im Süden auf eine sehr aggressive Art und Weise, damit sie die beiden Herbizide weiterhin verkaufen können. Der Schweizer Agrochemieriese Syngenta mischt hier an vorderster Front mit. Ein weiterer Grund ist die riesige Wissenslücke mit Blick auf chemische und natürliche – sehr wirkungsvolle – Alternativen.

swissinfo.ch: Wie kommt es, dass diese in der Schweiz und in der EU verbotenen Pestizide in Entwicklungsländern eingesetzt werden?

L.G.: Es gibt kein Gesetz, das dies verbietet. Ob ein Pestizid auf den Markt kommt oder nicht, wird auf nationaler Ebene entschieden. Das ist das, was wir verurteilen: das Fehlen von Regulierungen. Denn wir wissen genau, dass es in den Entwicklungsländern keine Garantie für die Einhaltung der Nutzungsbedingungen dieser Pestizide gibt. Auch die Möglichkeit, sich vor diesen Produkten zu schützen, ist nicht sichergestellt.

swissinfo.ch: Public Eye zeigt mit dem Finger auf Syngenta. Aber hat Ihre Organisation dafür auch Beweise?

L.G.: In der Tat gibt es keine direkten Beweise, denn die uns vorliegenden Dokumente kommen von der Bundesverwaltung und der Absender ist nicht zu erkennen. Dennoch besteht kein Zweifel, dass es sich um Syngenta handelt: Der Basler Riese dominiert den Weltmarkt für Pestizide. Und mit einem Marktanteil von 40 und 50% auch den Verkauf von Paraquat und Atrazin. Es handelt sich hier quasi um ein Monopol, denn der Hauptkonkurrent von Syngenta beherrscht nicht einmal 1% dieses Marktes.

swissinfo.ch: Was will Public Eye unternehmen, um dieses Problem zu lösen?

«Im Rahmen der Basler Konventionen hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, keine gefährlichen Abfälle in Mitgliedsländer zu exportieren.»
Laurent Gaberell, Public Eye

L.G.: Die grüne Parlamentarierin Lisa Mazzone verlangt in einer InterpellationExterner Link eine Stellungnahme von der Schweizer Regierung zu diesem illegitimen Vorgehen. Wir behalten uns zudem vor, die Regierung dazu aufzufordern, dieses Problem gesetzlich zu regeln.

Im Rahmen der Basler Konventionen hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, keine gefährlichen Abfälle in Mitgliedsländer zu exportieren. Mehrere afrikanische Länder haben das Exportverbot auf gefährliche Substanzen ausgeweitet, die im Herstellerland verboten sind. Darunter findet sich auch Kamerun. Deshalb fordern wir von den Schweizer Behörden, dass sie diese Verpflichtungen erfüllen.

swissinfo.ch: Sie verurteilen die negative Rolle der Schweiz. Aber es steht diesen Ländern doch offen, den Einsatz dieser Substanzen auf ihrem Gebiet zu verbieten.

Natürlich handelt es sich hier um eine geteilte Verantwortung. Aber es gilt nicht zu vergessen, dass die Möglichkeit zur Regulierung und Kontrolle in diesen Ländern sehr schwach ist. Man kann nicht von den wenigen für diese Angelegenheit zuständigen Behördenvertreter verlangen, dass sie in sämtlichen nördlichen Ländern kontrollieren, welche Produkte in den Herkunftsländern aus gesundheitlichen oder umwelttechnischen Gründen verboten sind. Das ist auch der Grund, weshalb es die Basler Konventionen gibt.

Mit Blick auf den Schutz der Menschenrechte macht sich die Schweiz verantwortlich, wenn sie Bevölkerungen diesen giftigen Produkten aussetzt.

Laut Syngenta sind Paraquat und Atrazin ungefährlich

Seit einem halben Jahrhundert gehört Paraquat zu den weltweit effizientesten Herbiziden, von dem die Umwelt profitiert, wie Syngenta in einer Stellungnahme schreibt. Es habe Millionen von Bauern geholfen, produktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben. Heute werde Paraquat in zahlreichen Entwicklungsländern – aber auch in Ländern, in denen sehr strenge Regeln gelten, darunter die USA, Australien und Japan – eingesetzt.

Mit Blick auf Atrazin schreibt Syngenta, es handle sich hier um eine der am besten untersuchten Substanzen. In den letzten 50 Jahren seien hierzu 7000 Studien durchgeführt worden. Heute werde das Herbizid in mehr als 60 Ländern eingesetzt. Über die Jahre habe sich Atrazin zu einem wichtigen und effizienten Instrument für die Bauern durchgesetzt. Laut dem Basler Agrochemiekonzern ist keine in der EU durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung zum Schluss gekommen, dass es mit Blick auf die Sicherheit der Nutzer, der Konsumenten und der Umwelt Probleme gibt.

Die Konventionen von Basel betreffen den Export von giftigem Abfall, schreibt Syngenta weiter. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Paraquat und Atrazin um Produkte handle, die in zahlreichen Ländern zum Schutz von Pflanzen eingesetzt würden und es sich hierbei sicher nicht um Abfall handle, gälten die Konventionen für diese Produkte nicht.

Violaine Delli, Sprecherin von SyngentaExterner Link

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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