Fallengelassene Hoffnungsträgerinnen
In der Schweiz werden nicht nur weit weniger Frauen als Männer in Regierungsämter gewählt, Frauen sind auch viel häufiger von einer Abwahl betroffen.
In einer Buch-Neuerscheinung erzählen 12 abgewählte Regierungs-Frauen, wie es dazu kam, dass sie nicht wiedergewählt wurden.
In den fünf Legislaturperioden zwischen 1983 und 2003 haben 96 Frauen (724 Männer) den Sprung in kantonale Regierungen geschafft. Der Anteil der abgewählten Frauen ist mit 9,4% mehr als dreimal so hoch wie derjenige der Männer (2,8%).
Esther Girsberger wollte mit ihrer Publikation «Abgewählt – Frauen an der Macht leben gefährlich» Gemeinsamkeiten aufspüren, welche bei den Frauen zur Abwahl geführt haben und stellt fest: «Bei allen Frauen hat sich gezeigt, dass sie zu stark arbeiten und zu wenig politisieren.»
Ohne Ruth Metzler
Das Buch ist eine Bestandesaufnahme darüber, wie in der Schweiz Frauen als Hoffnungsträgerinnen von ihren Parteien portiert, an der Urne gewählt und nach wenigen Jahren wieder abgewählt wurden.
Mit 12 Frauen hat die Autorin Gespräche geführt: Mit neun nicht wieder gewählten Regierungsrätinnen, mit der ersten Frau in der Schweizer Regierung – der 1988 abgewählten Elisabeth Kopp – und mit den beiden nicht gewählten Bundesratskandidatinnen Liliane Uchtenhagen und Christine Beerli.
Die vor einem Jahr nicht wieder gewählte Bundesrätin Ruth Metzler wollte sich nicht interviewen lassen. Sie habe in ihrem eigenen Buch alles gesagt, so ihre Begründung.
Arbeiten statt repräsentieren
«Frauen kümmern sich zu sehr um ihre Arbeit statt um ihre Wiederwahl. Das ist bei Männern anders, denke ich. Wenn die Arbeit ihnen nützt, dann wird sie erledigt. Wenn sie schaden könnte, verschwindet sie in der Schublade», hält Stéphanie Mörikofer fest.
Damit beschreibt die ehemalige freisinnige Aargauer Regierungsrätin einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Exekutivmitgliedern: Politiker denken bereits nach der Wahl an ihre Wiederwahl.
Sie haben den Hang, politisch heikle Geschäfte auszusitzen, zeigen sich an den General-Versammlungen von Jägern und Fischern, weihen am Samstag das neue Feuerwehrmagazin ein und halten am Sonntag an einer Gedenkfeier für eine Schlacht im Mittelalter die Festrede.
«Meine Sekretärin hat mir oft gesagt, ich müsse an dieser oder jener gesellschaftlichen Veranstaltung teilnehmen, weil es sich schlecht mache, wenn ich dort nicht auftauchen würde. ‹Tant pis› habe ich dann erwidert», erzählt die Sozialdemokratin Francine Jeanprêtre.
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Der Partei weniger ergeben
Die ehemalige Waadtländer Erziehungs-Direktorin stellt im nachhinein fest, sie hätte mehr an Veranstaltungen gehen und damit etwas für ihre Wiederwahl tun sollen. Stattdessen habe sie gearbeitet und in ihrer Direktion für Ordnung gesorgt.
Regierungs-Frauen legen offensichtlich mehr als ihre männlichen Kollegen Wert auf die tägliche, pragmatische Regierungsarbeit als auf das Politisieren und vernachlässigen dabei den Aufbau und die Pflege ihres Netzwerks.
«Frauen sind in der Regel direkter, unkomplizierter und greifen Themen auf, die ihnen wichtig scheinen, auch wenn sie damit von der Parteimeinung abweichen», sagt die erste Bundesrätin der Schweiz, die 1988 abgewählte Elisabeth Kopp.
Männer finden sich am Biertisch wieder
Andere Frauen beklagen Intrigen und üble Machtspiele, mit denen sie die eigene Partei im Wahlkampf fallen gelassen hat.
«Ich hätte hinter meinem Rücken vorgebrachte Vorwürfe und böse Anekdoten sofort thematisieren und neutralisieren müssen», bilanziert die 1991 von ihrer Partei für den 2. Wahlgang ausgeschlossene Roselyne Crausaz.
Einzelne der Befragten bemängeln die Rolle der lokalen Medien, die mit Negativkampagnen gegen ihre Wiederwahl angetreten seien. Dennoch haben die Frauen nicht bei den Parteifreunden auf der Chefetage interveniert.
«Ich habe es mir lange überlegt, ich habe auch Material gesammelt, aber dann habe ich es bleiben lassen», sagt Stéphanie Mörikofer und weist darauf hin, dass sie nicht besonders an Vergangenheitsbewältigung interessiert sei.
Elisabeth Kopp stellt fest: «Männer finden sich schneller wieder am Biertisch, während Frauen in der Opferrolle verharren.»
Taktik vor Transparenz
Buchautorin Girsberger ist überzeugt, dass sich Frauen bis zu einem gewissen Grad den männlichen Regeln unterstellen sollten: «Die Frauen müssen auch einmal Taktik vor Transparenz stellen.»
Die ehemalige jurassische Regierungsrätin Anita Rion ortet nicht erst bei der Regierungs-Arbeit Unterschiede. «Fragt man einen Mann, ob er kandidiere, dann rückt er seine Kravatte zurecht und sagt ‹Jaja, ich kandidiere.› Eine Frau fragt zuerst: ‹Bin ich denn kompetent genug?›.»
swissinfo, Andreas Keiser
Von den 21 Regierungs-Rätinnen, die in der Schweiz im Amt gewesen waren, sind 9 unfreiwillig zurückgetreten.
Esther Girsberger hat mit diesen 9 Frauen Gespräche geführt.
Dazu kommen Gespräche mit der abgewählten Bundesrätin Elisabeth Kopp und den beiden nicht gewählten Bundesrats-Kandidatinnen Liliane Uchtenhagen und Christine Beerli.
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